Die Wirtschaft beginnt in der Natur

Der Erhalt der Biodiversität ist eine Voraussetzung für erfolgreiches Wirtschaften – wie sehr, ist vielen Unternehmen bisher gar nicht bewusst. Das sollte sich jedoch bald ändern, denn mit der neuen EU-Richtlinie zur Offenlegung von Nachhaltigkeitsinformationen müssen Unternehmen künftig auch Angaben zu ihren Auswirkungen auf Biodiversität darlegen.

Die erste Frage, die sich viele Unternehmen stellen, wenn es darum geht, den eigenen Einfluss auf die Biodiversität in Deutschland zu betrachten: Wo sollen wir bloß anfangen? Und das hängt vor allem davon ab, in welcher Branche ein Unternehmen tätig ist. Denn je nach Art der unternehmerischen Tätigkeit wird unterschiedlicher Druck auf die Biodiversität ausgeübt.

Zuallererst sollte aber vermutlich geklärt werden, was Biodiversität eigentlich ist. Auch wenn Biodiversität und Artenvielfalt als Wörter gerne synonym verwendet werden, ist Artenvielfalt nur ein Teilaspekt der Biodiversität. Denn auch die genetische Vielfalt innerhalb der Arten und in den Lebensräumen zählt dazu, genau wie die Vielfalt an Ökosystemen und ihren Funktionen – etwa wie Samen verbreitet oder Blüten bestäubt werden.

„Biodiversität ist also im Grunde alles, was wir brauchen, um zu produzieren, um Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen. Auch wenn das oft vergessen wird: Wir reden von unserem wichtigsten Lieferanten, der Natur”, sagt Veronica Veneziano, Geschäftsführerin der Initiative “Biodiversity in Good Company”, die sich vor kurzem dem Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit angeschlossen hat. „Denn was wir uns aus der Natur holen, hat einen monetären Wert, genauso wie einen soziokulturellen Wert, den wir zu lange ignoriert haben. Und die Ressourcen sind nicht endlos.” Wenn wir von Biodiversität sprechen, reden wir also von der Lebensgrundlage – von allem, was wir brauchen, um zu existieren, als Menschen, aber auch als Unternehmen.

Ein Thema für alle Branchen

Biodiversität betrifft also grundsätzlich alle Branchen. Konkret geht es dabei etwa um die Flächennutzung, sprich die Frage, wie viel Land, wo und wie genau genutzt wird. Aber auch der Wasserverbrauch, die Umweltverschmutzung, die Lichtverschmutzung und natürlich die Entnahme von natürlichen Ressourcen sind ein Thema. Es gibt wohl kaum ein Unternehmen, das seine Umwelt unberührt lässt.

Zwar kommen einem beim Schutz der Biodiversität zuallererst die Landwirtschaft, die Forstwirtschaft und die Fischerei in den Sinn, aber laut Veneziano haben beispielsweise auch Chemie- und Pharmaunternehmen einen starken Effekt auf Biodiversität und sind zugleich wirtschaftlich auf sie angewiesen. „Denn eine ihrer grundlegenden Ressourcen – auch für Medikamente – sind Pflanzen. Das bedeutet, dass wir für den Ressourcenerhalt Pflanzenschutz brauchen. Und das bedeutet, dass wir auch über Pestizide und über den Erhalt eines gesunden Bodens sprechen müssen. Denn salopp gesagt gilt: Keine Pflanzen, keine Medikamente.”

Doch auch die Baubranche hat mit der Entscheidung, wie und wo Baumaterialien gewonnen werden, einen großen Einfluss auf den Erhalt der Biodiversität. „Woran man hingegen nicht gleich denkt, sind viele Dienstleistungen – etwa der Finanzbereich, der Tourismus, bis hin zu Bestattungen, denn alles fängt in der Natur an”, sagt Veneziano.

Dass die Wirtschaft in der Natur anfängt, zeigt auch der Global Risk Report des Weltwirtschaftsforums, laut dem mehr als die Hälfte des globalen Bruttoinlandprodukts von Biodiversität abhängig ist. Unternehmen drohen also finanzielle Einbußen, wenn sie sich nicht aktiv am Erhalt der Biodiversität beteiligen.

Best Practice seit den 90er-Jahren

Aber woher wissen Unternehmen überhaupt, welchen Einfluss sie auf die Biodiversität haben – und was können sie dagegen tun? Ein Unternehmen, das sich bereits seit den 90er-Jahren mit dem eigenen Einfluss auf die Biodiversität beschäftigt, ist die Bio-Brauerei Neumarkter Lammsbräu.

„Wichtig ist, zu verstehen, dass die Expertise meistens nicht im Haus sitzt. Auch bei uns nicht. Wir sind eine Brauerei, also sind wir beim Thema Biodiversität auf Expert*innen von außen angewiesen. Und da haben wir in der Region tolle Berater*innen gefunden”, sagt Simone Spangler, die im Nachhaltigkeitsmanagement der Brauerei arbeitet.

Zudem hat das Unternehmen einen regionalen Unternehmerstammtisch zum Thema Biodiversität gegründet, der gemeinsam mit Expert*innen vom Landschaftspflegeverband seit über zehn Jahren veranstaltet wird. Das habe zur Umsetzung einiger biodiversitätsfreundlicher Maßnahmen an den Standorten der teilnehmenden Unternehmen geführt. „Auch bei Lammsbräu haben wir etwa gemeinsam geguckt, wie hoch der Anteil der Fläche vom Betriebsgelände ist, der naturnah gestaltet ist und, was wir da noch umsetzen können.” Dabei ging es etwa um Fassaden- und Dachbegrünung, um die Umgestaltung von Rasenflächen und um die Einbindung von Mitarbeitenden bei der Flächenumgestaltung – aber auch um das Thema Lichtverschmutzung. „Wir haben für die Begrünung nur Pflanzen verwendet, die in der Region vorkommen und ein Nahrungs- und Nistangebot für die heimische Fauna bieten. Bei uns gibt es nun Vögel und Insekten, denen wir mit passenden Bedingungen einen Lebensraum bieten.”

Zu messen, was umgesetzte Maßnahmen bringen, sei dennoch schwierig, sagt Spangler. „Man sieht zwar Effekte, aber um sie messbar zu machen, müsste man zum Beispiel Insekten zählen.” Diese Managementebene fehle im Bereich Biodiversität. „Wobei die Landwirte, mit denen wir zusammenarbeiten, durchaus Veränderung wahrnehmen, wenn sie Nistkästen anbringen, Biotopverbünde schaffen oder wildtierfreundlich mähen. Aber das ist eben kaum in Ziffern zu bemessen”, sagt Spangler.

Verpflichtung zum Bericht

Mit der EU-Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (Corporate Sustainability Reporting Directive, CSRD) greift für viele Unternehmen schrittweise ab 2024 die Berichtspflicht auch zum Thema Biodiversität. Betroffen sind davon alle an einem EU-regulierten Markt notierten Unternehmen, die unter die entsprechenden Größenkriterien fallen, inklusive kapitalmarktorientierte kleine und mittlere Unternehmen (KMU). In Deutschland betrifft das Schätzungen zufolge etwa 13.000 Unternehmen – sowie indirekt viele tausende weitere Unternehmen, die in der Lieferkette der Berichtspflichtigen stehen.

„Für viele Unternehmen kommt das nun abrupt, andere beschäftigen sich schon lange damit, von diesen Pionierunternehmen kann man sich inspirieren lassen”, sagt Veronica Veneziano. „Heute gibt es auch eine sehr dynamische Landschaft an Initiativen, an Umweltorganisationen und Unternehmensnetzwerken, die hilfreiche Tools für die Berichte zur Verfügung stellen. Auch einige Startups haben innovative Instrumente zur Datenerhebung entlang der Lieferkette entwickelt.” So gäbe es etwa Workshops, sowie Leitfäden für die Berichterstattung, Infomodule zu relevanten Themen – wie Lieferketten-Management oder naturnahe Betriebsgelände –, regionale Biodiversitätsbündnisse der IHKs und vieles mehr. „Es gibt heute konkrete Hilfestellungen für viele Branchen, für Anfänger und Profis, und als Initiative teilen wir diese Informationen gerne.” Auch der 2011 vom RNE initiierte Deutsche Nachhaltigkeitskodex wird nun weiterentwickelt und an die gesetzlichen Vorgaben angepasst. Ziel ist, mit dem DNK ein niedrigschwelligen Berichtsstandard anzubieten und im Rahmen einer umfangreichen Unterstützungsstruktur auch bei den Anforderungen an Biodiversität zu unterstützen.

Bei diesem Teilen von Wissen und Best Practices setzt in diesem Jahr auch der Rat für Nachhaltige Entwicklung mit dem Schwerpunktthema Biodiversität im Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit. Myriam Rapior ist Ratsmitglied, Biodiversitätsmanagerin der Universität Hamburg und Stellvertretende Bundesvorsitzende des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND). Auch sie sieht, dass viele Unternehmen derzeit noch etwas ratlos sind, wenn es um die genannte Berichtspflicht geht. „Viele Unternehmen sind nun auf der Suche nach der Frage, was sie messen sollen. Es geht da aber nicht nur um quantitative Indikatoren, sondern auch um Transformationspläne. Also auch darum, welche Strukturen geschaffen werden, um das Thema zu bewerkstelligen – wird es etwa im Vorstand beraten, gibt es eine Biodiversitätsrichtlinie und so weiter.”

Dabei sollte vor lauter Hürden nicht vergessen werden, die Chancen zu sehen, denn es sei jetzt vor allem wichtig, sich auf den Weg zu machen, sagt Rapior. „Es geht jetzt nicht darum, sofort alles perfekt zu machen. Im Bereich Biodiversität sind gerade alle am Lernen. Auch die Wissenschaft sucht noch nach Antworten, insbesondere in der Frage, wie wirtschaftliches Handeln entlang der Lieferkette mit dem Erhalt der Biodiversität in Einklang gebracht werden kann oder wie die genetische Vielfalt durch Unternehmen gewahrt werden kann. Und die Unternehmen sowieso. Man kann also nur alle ermutigen, das als gemeinsamen Lernprozess zu verstehen.“

 

Biodiversität im Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit

Dieser Artikel ist Teil einer Reihe des Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit, in dem Biodiversität als Fokusthema 2024 ausgerufen wurde. Denn neben der Klimakrise ist der dramatische Rückgang an biologischer Vielfalt die existentielle Bedrohung unserer Zeit. Biodiversität ist die Grundlage für unser Leben auf dieser Erde. Ob in der Stadtplanung, am Bau, in den Lieferketten von Unternehmen, in unserem Konsumverhalten, in Landwirtschaft und Landnutzung oder bei der Bekämpfung der Klimakrise – überall spielt biologische Vielfalt eine entscheidende Rolle. Mehr Informationen, Angebote und Materialien zum Thema gibt es hier.