Lebenswerte Städte durch mehr biologische Vielfalt

Wiesen, Wälder, Moore: Geht es um die Vielfalt von Pflanzen und Tieren, tauchen in der Regel Bilder vom ländlichen Raum vor dem geistigen Auge auf. Doch auch in Städten findet sich eine große Artenvielfalt. Zu einer lebenswerten Stadt gehört eine intakte Natur dazu. Umso mehr, da sie wichtige Ökosystemleistungen wie etwa zur Klimaanpassung erbringt.

Immer größer werdende Ackerflächen, die Zerschneidung von Biotopen durch neue Wohngebiete und Verkehrsinfrastrukturen sowie der Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel drängen Tiere und Pflanzen im ländlichen Raum mehr und mehr zurück. In den Städten wiederum gewinnt die naturnahe Gestaltung von urbanen Flächen zunehmend an Bedeutung. „Da entstehen dann wieder Möglichkeiten, wo Tiere und Pflanzen neue Lebensräume finden“, weiß Robert Spreter, Geschäftsführer des Vereins „Kommunen für biologische Vielfalt e.V.“.

In dem Verein können sich Kommunen zusammenschließen und sich gegenseitig dabei unterstützen, biologische Vielfalt zu schützen und zu fördern. Es gibt ihn bereits seit 2012, inzwischen ist er auf 391 Mitglieder angewachsen. Seit kurzem ist das kommunale Netzwerk auch dem Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit beigetreten. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) hat diese Plattform im Herbst 2022 ins Leben gerufen, um Organisationen zu vernetzen und so die Nachhaltigkeitstransformation zu beschleunigen. „Gerade in den Städten liegt ein Schlüssel für die Regeneration der biologischen Vielfalt“, sagt Jan Korte, Koordinator des Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit. „Ob Renaturierung, Entsiegelung, Schwammstadt-Projekte oder grüne Gewerbegebiete: Viele kommunale Ansätze zahlen auf mehr als nur ein Nachhaltigkeitsziel ein. Mit dem Gemeinschaftswerk wollen wir diesen Beispielen zu mehr Sichtbarkeit verhelfen und zum Nachahmen anregen.“

Der städtische Raum ist vielfältig. Sogar bedrohte Arten siedeln sich hier laut Spreter von den „Kommunen für biologische Vielfalt“ an. Neben zahlreichen Wildpflanzen und Insekten, wie etwa Wildbienenarten, ist das etwa der Gartenschläfer, der in der Roten Liste in Deutschland als stark gefährdet eingestuft ist. „Der ist wirklich gerne in der Stadt und ist dort eher anzutreffen als woanders“, sagt Spreter. Naturnahe, biodiverse Städte bedeuten aber auch mehr Wohlbefinden und Lebensqualität für die Menschen, die dort wohnen. Die Natur wirkt sich positiv auf die Gesundheit von Menschen aus. Grünflächen, Sträucher, Bäume und Blumen in Städten tragen zu einer höheren Luftqualität bei, während Naturerleben nachgewiesenermaßen Stress absenkt. Natur erbringe auch wichtige Ökosystemleistungen wie Klimaanpassung. „So halten zum Beispiel Bäume die Städte einfach kühl und sie überhitzen nicht“, weiß Spreter.

Von international zu kommunal: Strategien für mehr Biodiversität

2007 hat Deutschland seine „Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt“ (NBS) verabschiedet, die der Bundesregierung als zentrale Naturschutzstrategie und Instrument zur Umsetzung internationaler Verpflichtungen zum Schutz der Biodiversität in Deutschland dient. Damit die NBS erfolgreich umgesetzt werden kann, bedarf es der breiten Unterstützung aller wichtigen staatlichen und gesellschaftlichen Gruppen, so auch der Kommunen.

Die Stadt Bonn etwa hat 2010 seine erste Biodiversitätsstrategie „Aktionsprogramm Biodiversität 2010“ beschlossen. Damit Biodiversität in Städten entstehen kann, braucht es zunächst unbebaute Flächen. Hier spielen etwa städtische Wiesen auf öffentlichen Grundflächen eine Rolle, oder auch Gehölze und Hecken. Doch auch Privatgrundstücke mit Gärten sind teilweise sehr artenreich. „Die Kunst ist es, dass Städte und Gemeinden diese Flächen miteinander vernetzen, um das Beste für Mensch, Pflanze und Tier dabei herauszuholen“, sagt Spreter.

Doch unbebaute Grundflächen sind in Städten rar, weswegen auch Gebäude als potenzielle Grünflächen im Fokus von Begrünungsmaßnahmen sind. Über Dach- und Fassadenbegrünung lässt sich die Natur im wahrsten Sinne des Wortes ins beziehungsweise aufs Haus holen. Mit der konkreten Umsetzung von Maßnahmen, um Städte klimaresilienter zu machen, befasst sich Doris Kube vom Bonner Amt für Umwelt und Stadtgrün, wo sie im Sachgebiet Klimaanpassung und -vorsorge tätig ist. Seit 2021 werden in Bonn die Entsiegelung von Böden und die Begrünung von Gebäuden gefördert.

Denn der fortschreitende Klimawandel und der Stadtklimaeffekt lassen gerade Wohn- und Gewerbegebiete aufgrund der hohen Versiegelung und dichten Bebauung zu urbanen Hitzeinseln werden. Fassaden- und Dachbegrünung können dem entgegenwirken. Begrünte Dächer etwa tragen wesentlich zur Kühlung des Mikroklimas bei, indem sie über ein darunter liegendes Substrat Regenwasser speichern, das bei Hitze für Verdunstungskühle sorgt. „Das ist eine wichtige Maßnahme der Klimaanpassung“, so Kube. Zusätzlich schafft man damit auch kleine Biotope, die sich positiv auf die Artenvielfalt auswirken, wie Forschungsprojekte zeigen. Gründächer sind Lebensraum und Nahrungsquelle für Insekten, Vögel und andere Tiere.

Von grau zu grün: Begrünung von Gebäuden als Hebel für Klimaanpassung und Biodiversität

Das Förderprogramm der Stadt Bonn bezuschusst Begrünungsmaßnahmen vor allem im Bestand. “Maßnahmen im Neubau können nur gefördert werden, wenn zur Gebäudebegrünung keine Auflagen, zum Beispiel über einen Bebauungsplan bestehen“, sagt Kube. Gefördert werden Eigentümer*innen von gewerblich wie auch privat genutzten Grundstücken. Dieser finanzielle Anreiz ist laut Kube oft der Auslöser dafür, dass eine Begrünungsmaßnahme überhaupt in Erwägung gezogen wird. Zentral für die Umsetzung ist daneben auch die ebenfalls durch die Stadt Bonn angebotene vorherige Beratung. Dabei geht es nicht nur um die Frage „ob“ sich das eigene Dach für eine Begrünung eignet, sondern auch darum, „wie“ man es im Sinne der Artenvielfalt gut macht. Das Förderprogramm ist hier zentral, denn „86 Prozent der Flächen in Bonn liegen in privater Hand – hier besteht ein großer Hebel für die Klimaanpassung und Biodiversität.“

Eine sehr erfolgreiche Aktion waren zum Beispiel auch Obstbaumpflanzungen. Die Stadt Bonn hat dazu im Herbst 2023 1.000 Obstbäume an Privatgartenbesitzer ausgegeben. „Die Resonanz war riesig. Innerhalb kürzester Zeit konnten wir so unglaublich viele neue Baumstandorte für Bonn realisieren. Das schafft einen Mehrwert für Klimaanpassung und Biodiversität“, so Kube. Spreter vom Verein „Kommunen für biologische Vielfalt“ betont, dass Natur die Städte bereichert: „Eine Stadt ohne Natur ist keine lebenswerte Stadt. Natur ist wichtig für die Gesundheit, für die Erholung und damit es den Menschen einfach gut geht.“

Biodiversität im Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit

Dieser Artikel ist Teil einer Reihe des Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit, in dem Biodiversität als Fokusthema 2024 ausgerufen wurde. Denn neben der Klimakrise ist der dramatische Rückgang an biologischer Vielfalt die existentielle Bedrohung unserer Zeit. Biodiversität ist die Grundlage für unser Leben auf dieser Erde. Ob in der Stadtplanung, am Bau, in den Lieferketten von Unternehmen, in unserem Konsumverhalten, in Landwirtschaft und Landnutzung oder bei der Bekämpfung der Klimakrise – überall spielt biologische Vielfalt eine entscheidende Rolle. Mehr Informationen, Angebote und Materialien zum Thema gibt es hier.