Brüssel bringt bei nachhaltiger Finanzwirtschaft Schwung nach Deutschland

Auf dem zweiten Sustainable Finance Gipfel Deutschland zeigte sich: Nachhaltige Finanzwirtschaft hat ihr Nischendasein verlassen und ist mittlerweile Thema hierzulande. Wichtigster Treiber sind Reformen auf EU-Ebene.

Konferenzen zum Thema nachhaltige Finanzwirtschaft haben stets eines gemeinsam: Zu Beginn steht die Feststellung, dass die Branche eine Nische ist und sich weltweit nur ein winziger Bruchteil der Finanzströme an mehr als kurzfristiger Rendite orientiert. So begann auch der zweite Sustainable Finance Gipfel Deutschland in Frankfurt mit einer kritischen Analyse von Joachim Faber, dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Deutschen Börse.

„Wir reden nach wie vor enorm viel, aber es kommt einfach wenig dabei raus. Es wird wenig wirkungsorientiert diskutiert“, sagte Faber und kritisierte sowohl die Politik als auch die eigene Branche, die sich kaum bewege. Viele Papiere zum Thema, auch aus Wirtschaftskreisen, seien als Fensterrede geplant und nicht mit wirklichen Zielen hinterlegt, wie man zu mehr Nachhaltigkeit komme.

Doch allmählich scheint sich der Wind zu drehen. Zum zweiten Mal veranstaltete der von der Deutschen Börse und dem Rat für Nachhaltige Entwicklung gegründete Hub for Sustainable Finance den Sustainable Finance Gipfel Deutschland – mit doppelt so viel Teilnehmenden aus Politik, Finanzwirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft wie im vergangenen Jahr. Das große Interesse scheint einen Grund zu haben: Alexander Bassen, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Hamburg und Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung, sprach vom „Damoklesschwert der Regulierung“.

EU-Aktionsplan sorgt für Action

Bassen sprach vom Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums der EU-Kommission vom März 2018. Der soll dafür sorgen, dass die EU das Pariser Klimaschutzkommen und die Agenda 2030 der Vereinten Nationen umsetzt. Bereits im Mai folgte ein Maßnahmenpaket, um den Aktionsplan umzusetzen. Zwei Punkte aus den Brüsseler Entwürfen wurden auf der Tagung in Frankfurt intensiv diskutiert:

Taxonomie: Der eine sieht vor, dass sich alle EU-Staaten auf eine einheitliche Definition dessen einigen, was eine im Sinne der Umwelt nachhaltige ökonomische Aktivität ist – im Fachjargon nennt sich diese Definition Taxonomie. Sie kann später als Grundlage für ein EU-weit einheitliches Label für nachhaltige Geldanlagen fungieren, möglicherweise ähnlich dem Biosiegel für Nahrungsmittel. Dieses Klassifizierungssystem soll laut des gegenwärtigen Entwurfs der Kommission für alle Finanzmarktakteure gelten, die grüne, nachhaltige, ökologische oder ähnlich bezeichnete Finanzprodukte anbieten wollen. Seit Juni arbeitet eine Expertengruppe daran. Im ersten Schritt enthält die Taxonomie nur Umweltkriterien, jedoch noch keine sozialen und Governance-Kriterien im Sinne der Nachhaltigkeit. Am 18. Oktober findet dazu eine Expertenanhörung in Brüssel statt. Ziel der Kommission ist es, eine Fragmentierung des EU-Marktes bei grünen, ökologischen oder nachhaltigen Finanzprodukten zu verhindern, erklärte Martin Koch, Policy Officer in der DG FISMA der EU-Kommission, auf der Tagung. Es brauche einen klaren Rahmen, gerade auch für grenzüberschreitende Investitionen.

Die Teilnehmenden des Sustainable Finance Gipfels diskutierten die geplante Taxonomie intensiv. Kritik gab es, weil sie nur für explizit grüne Finanzprodukte gelten soll. Das heißt, wer einen Fonds, eine Versicherung oder sonst ein Finanzprodukt nicht als nachhaltig, grün, öko oder ähnlich etikettieren will, für den ändert die Klassifizierung nichts. Sie gilt auch nur für Finanzprodukte, nicht für Firmen – so könnte also ein Konzern in Kohle investieren und dennoch ein als grün gelabeltes Finanzprodukt zur Finanzierung von Windparks auf den Markt werfen. Molly Scott Cato, die für die Green Party of England and Wales im EU-Parlament sitzt, nannte die Taxonomie zwar einen Durchbruch, den es zu feiern gelte. „Es gibt aber keine schwarze Liste, was definitiv nicht grün ist. Ohne das ist die Taxonomie nicht besonders nützlich“, kritisierte sie. Koch verteidigte die Taxonomie, sie habe sechs klare ökologische Grundprinzipien. Grüne Investitionen müssen demnach mindestens einem davon nutzen, etwa dem Schutz des Klimas, und dürfen keinem der sechs schaden, etwa dem Schutz der Meere. Levin Holle, Leiter der Finanzmarktabteilung im Bundesfinanzministerium, nannte die Taxonomie “sehr wichtig“, warnte aber vor zu viel Eile: „Wenn wir die Taxonomie einmal fehljustiert haben sollten, dann laufen wir in ein großes Risiko, vieles in die falsche Richtung zu lenken“, sagte er.

Offenlegungsvorschriften: Laut Holle sind für das Bundesfinanzministerium mit Hinblick auf die knappe Zeit bis zu den EU-Wahlen in sechs Monaten zwei andere Teile der EU-Reformen dringlicher, die sogenannten low-carbon benchmarks und die Offenlegungsvorschriften zu Nachhaltigkeitsaspekten. Bei Ersteren handelt es sich um EU-weit einheitliche Maßstäbe dafür, wie klimaschädlich wirtschaftliche Aktivitäten sind, in die Investoren finanzieren – damit könnten diese ihr Geld ökologischer anlegen. Dazu kommen ebenso einheitliche Maßstäbe dafür, wie man die positive Wirkung von Investitionen in Klimaschutz misst – hier spricht man von positive carbon.

Die Offenlegungsvorschriften, auf Englisch disclosures, wurden kontrovers auf der Tagung diskutiert. Sie sollen im Gegensatz zur Taxonomie nicht nur für grüne Finanzprodukte, sondern für den gesamten Finanzmarkt gelten. Dazu hat die EU-Kommission im Mai einen Entwurf vorgelegt. Die Regulierung lege die Grundlage dafür, dass Aspekte der Ökologie, des Sozialen und der Governance, kurz ESG-Kriterien, im Herz des Finanzsystems verankern werden. Sie solle zudem dabei helfen, die Wirtschaft Europas grüner und widerstandsfähiger zu machen und eine Kreislaufwirtschaft zu etablieren, schreibt die EU-Kommission in dem Entwurf.

Geplant ist, mehrere bestehende Richtlinien und Verordnungen zu ändern. Alle Finanzmarktakteure, die Geld für ihre Kunden verwalten – vom Risikokapitalfonds bis zur Rentenversicherung – sollen künftig verpflichtet sein, ESG-Kriterien bei allen Investitionsentscheidungen mit zu bedenken. Wie sie dies tun, darüber müssen sie ihre Kunden aufklären und regelmäßig berichten. Zudem sollen sie verpflichtet werden, Kunden stets auch darüber zu beraten, wie sich Nachhaltigkeitsaspekte auf den Wert einer Investition auswirken. „Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien gehört bei der Analyse von Chancen und Risiken von Finanzunternehmungen dazu“, sagte BMF-Vertreter Holle.

Dahinter steckt die mittlerweile gesicherte Erkenntnis, dass Unternehmen oder Portfolios, die auf ESG-Kriterien achten, bei gleicher Rendite weniger Risiken aufweisen. „Was ich sehr vermisse ist, dass man diese Geschäftschance innerhalb der Finanzwirtschaft stärker sieht“, sagte Deutsche-Börse-Aufsichtsratschef Faber. Dieser sogenannte risk adjusted return von nachhaltigen Geldanlagen ist neben Klimaschutz und Agenda 2030 der UN der zweite Grund, warum die EU-Kommission das Thema forciert: Sie glaubt, dass ein Finanzsystem, das auf ESG-Kriterien achtet, stabiler, weil risikoärmer ist. Einer der Kritikpunkte bei den Offenlegungsvorschriften war auf der Tagung, dass eine Finanzaktivität nicht automatisch dadurch nachhaltiger wird, dass sie ESG-Kriterien in ihr Risikomanagement aufnehmen muss. Auch war vielen Zuhörenden noch völlig unklar, wie die neuen Vorgaben am Ende praktisch im Alltag etwa eines Portfoliomanagers umgesetzt werden sollen.

Kompetenzen, Primat der Politik und Bildung

Die EU-Reformen waren nicht das einzige Thema des Gipfels. Zu den Kernbotschaften der Vortragenden und Diskutanten gehörten unter anderem die folgenden:

  • Es braucht ein Primat der Politik über die Märkte: Die Politik muss dafür sorgen, dass die neuen Grundsätze und die Transparenz in Nachhaltigkeitsfragen in der Finanzwelt auch eingehalten werden. Und sie darf nicht abrücken von bereits Beschlossenem: „Die wichtigste politische Schlacht der nächsten Jahre wird sein, dass Politiker aller Spektren an den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens festhalten“, sagte Molly Scott Cato.
  • Vorbildfunktion entwickeln: Öffentliche Institutionen und Politik müssen die Werte vorleben und Nachhaltigkeit als Chefsache begreifen. Marlehn Thieme, Vorsitzendes des Rates für Nachhaltige Entwicklung forderte, dass die Politik nicht nur die Finanzmärkte regulieren müsse, sondern bei staatlichen Investitionen selbst vorbildhaft handeln müsse.
  • Kompetenzen entwickeln: Egal ob in der Ausbildung, im Studium, in der Berufspraxis oder in Aufsichtsräten und Bundesinstitutionen, es fehlt an vielen Stellen an Grundwissen über nachhaltiges Wirtschaften. Deshalb braucht es Fortbildungen und neue Lehrbücher. Ralf Frank, Geschäftsführer und Generalsekretär des deutschen Verbandes der Investment Professionals DVFA, hat sich beispielsweise im Rahmen einer Studie verschiedene Ausbildungsprogramme von Investmentprofessionals angeschaut. „In keinem der Textbücher taucht das Thema ESG oder Nachhaltigkeit auf“, bemängelt er.

Eine Dokumentation mit den Ergebnissen des Gipfels wird in den nächsten Wochen auf der Webseite des Hub for Sustainable Finance veröffentlicht.

Michael Schmidt, Leiter Asset Servicing & Alternative Investments bei Deka Investment, fasste die wohl wichtigste Erkenntnis des Gipfels am Ende so zusammen: „Der Kreis ist weiter geworden. Der Stein, der durch die EU ins Wasser geworfen wurde, zieht seine Kreise. Er geht mittlerweile weit über die von Nachhaltigkeit Beseelten hinaus“, sagte er.