Arztbesuch ohne Angst

Rostocker Studierende organisieren medizinische Behandlungen für Menschen, die das Gesundheitssystem übersieht.

Die schwangere junge Frau kommt aus Algerien in Nordafrika. Sie hat kein Aufenthaltsrecht in Deutschland. Und deswegen geht sie nicht zum Arzt, obwohl ihr Bauch dicker und dicker wird. Erst als sie ungefähr im fünften Monat ist, entdeckt sie den Flyer vom Medinetz Rostock e.V. und meldet sich bei der Hilfsorganisation.

„Sie hat Angst gehabt, dass ein Arztbesuch dazu führt, dass sie abgeschoben wird”, sagt Magdalena Emmerich. Emmerich ist eine von rund 30 Freiwilligen, viele davon Medizinerinnen und Mediziner, die sich ehrenamtlich für den Verein engagieren. Seit 2009 organisieren sie medizinische Behandlungen, vor allem für Menschen ohne Papiere. Oder für Patientinnen und Patienten in laufenden Asylverfahren. Denn die dürfen nur im akuten Krankheitsfall behandelt werden, chronische Krankheiten bleiben unversorgt.

Auch Dolmetscherinnen und Dolmetscher besorgt der Verein und er unterstützt die Hilfesuchenden dabei, den Papierkram zu bewältigen. Etwa 30 Ärztinnen und Ärzte in der Region haben sich bereit erklärt zu helfen. Das Medinetz betreut jährlich rund 15 Patientinnen und Patienten, Tendenz steigend, entweder kostenlos oder auf Rechnung des Vereins. Und sie machen das anonym, wie im Falle der schwangeren Nordafrikanerin. Allerdings traute sich die Schwangere erst so spät zum Arzt, dass sie wichtige Vorsorgeuntersuchungen verpasst hatte und auch der Geburtstermin des Babys nicht mehr genau errechnet werden konnte. Kurz nach dem Erstkontakt mit dem Verein meldete sich die werdende Mutter wegen eines Notfalls wieder – mit dem Verdacht auf vorzeitigen Blasensprung und Angst vor einer Frühgeburt. Immerhin hatte sie inzwischen die Telefonnummer des Medinetz-Bereitschaftshandys. Zwei Helferinnen brachten sie zur Ärztin, die die Befürchtungen ausräumen konnte. Dreieinhalb Monate später kam das Kind zur Welt – gesund.

Nicht alle Medinetz-Mitglieder studieren Medizin – das muss auch nicht sein, findet Magdalena Emmerich: „Es geht uns darum, Menschen im Notfall zu helfen.“ Allerdings: Je mehr sie machen, desto bewusster wird ihnen, dass sie nur eine Lücke stopfen. Sie fordern vom Staat, dass er sich mehr um die Menschen in Not kümmert und das Medinetz überflüssig macht. Regelmäßig tauschen sie sich deswegen mit anderen Initiativen in ganz Deutschland über Ideen wie den anonymen Krankenschein aus. Ihr Ziel: ein Gesundheitssystem, das wirklich alle versorgt.

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Die Publikationsreihe „17 Ziele – Einfach machen“ wird mit einer Ausgabe pro Bundesland ab sofort bis Ende Mai veröffentlicht. Foto: RENN-Leitstelle
Foto: RENN-Leitstelle

Dieser Text ist Teil der Publikationsreihe „17 Ziele – Einfach machen“ der RENN und wurde zuerst im Booklet zur praktischen Umsetzung der SDGs in Mecklenburg-Vorpommern veröffentlicht. Hier geht es zum vollständigen Booklet sowie zu den 16 Ausgaben der einzelnen Bundesländer.

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