Nachhaltigkeit als Standard in der Ausbildung

Die Arbeitswelt muss sich ändern. Darin sind sich Expertinnen und Experten einig. Wie Nachhaltigkeit zum festen Bestandteil der beruflichen Bildung werden kann.

Carla will Milchtechnologin werden. Zu ihrem Beruf gehört es, alles über Produktion, Kennzeichnung, Verpackung, Vertrieb und Verkauf von Milch zu wissen. Doch wie steht es um nachhaltiges, ressourcenschonendes und ökologisches Arbeiten in der Milchtechnologie? Über das Projekt NaMiTec (kurz für “Nachhaltige Entwicklung in der Milchtechnologie”) wurde ein Aus- und Weiterbildungskonzept für Auszubildende und ihre Ausbildenden in der Branche entwickelt. Carla ist eine zentrale Figur in den Lehrmaterialien. So wird etwa ihre Suche nach der umweltfreundlichsten und zugleich praktikabelsten Verpackung über Videos und Infoblätter thematisiert.

NaMiTec ist einer von 18 Modellversuchen zur Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung (BBNE), die aus Mitteln des Bundesbildungsministeriums finanziert und vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) gefördert wurden. Dabei sind Vertreterinnen und Vertreter aus der Wissenschaft, aber auch aus der Praxis. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Lebensmittelbranche. Das Ziel der Modellversuche: Mehr Bewusstsein für das Thema Nachhaltigkeit zu schaffen und mehr Wissen für Ausbilderinnen und Ausbilder darüber, wie Nachhaltigkeit in den Betrieben umgesetzt werden kann.

Nachhaltigkeit muss man nicht nur wollen

Eine erste Bilanz zu den Modellversuchen zogen Vertreterinnen und Vertreter der Industrie- und Handelskammer, der Handwerkskammer, von Nichtregierungsorganisationen, von Bildungsträgern und von Hochschulen bei einer Fachtagung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). Dem Titel der Konferenz „Nachhaltig ausbilden: Standard!“ stimmen alle Expertinnen und Experten zu. Die Umsetzung ist eine Herausforderung. Aber: Nachhaltigkeit ist kein Nischenthema mehr, sondern notwendig.

Für die geschäftsführende Bundesbildungsministerin Anja Karliczek sind qualifizierte Fachkräfte Grundlage dafür, dass sich ein Wandel in den Branchen vollzieht. „Nachhaltigkeit muss man ja nicht nur wollen, sondern am Ende auch können“, sagte Karliczek in einem Grußwort an die Teilnehmenden der Tagung. Ob in der chemischen Industrie, im Bäckerhandwerk oder in kaufmännischen Berufen – bereits in der Ausbildung müssten junge Menschen lernen, wie nachhaltig gehandelt werden könne.

In den von der Bundesregierung geförderten Modellversuchen wurde und wird erprobt, an welchen Stellen in der Ausbildung den Fachkräften von morgen Nachhaltigkeit nahe gebracht werden kann und wie Maßnahmen in den Betrieben umgesetzt werden können. Wie Moritz Ansmann, Leiter des Programms des Modellversuchsförderschwerpunkts „Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung“ im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) skizziert, geht es bei den Modellversuchen darum, Wissenschaft und Praxis zusammenzubringen, um dann Module aus der Praxis für die Praxis zu entwickeln.

Modellversuche sollen Praxis ändern

Grundlage sind die Kompetenzen, die den Auszubildenden vermittelt werden, Didaktik und die Qualifikation und Motivation des Ausbildungspersonals. Der Ansatz sei nicht Nachhaltigkeit überzustülpen, sondern aus den Berufen heraus zu entwickeln, sagte Ansmann. Die Modellversuche sollten die Praxis ändern. Damit ökologisches, soziales und ökonomisches Handeln zusammenspielen, müssten insbesondere auch die Ausbilderinnen und Ausbilder weiterqualifiziert werden.

Bianca Bilgram, Leiterin der Geschäftsstelle „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ der deutschen UNESCO-Kommission, betonte die Bedeutung der Agenda 2030 und die Verwirklichung der 17 globalen Nachhaltigkeitsziele. Aber: Was verstehen wir unter Nachhaltigkeit? „Wir können nicht genug betonen, wie wichtig der Aushandlungsprozess ist“, sagte Bilgram. Es brauche einen Dialog und eine Plattform, den strukturellen Wandel anzugehen. 2015 hat die UNESCO das Weltaktionsprogramm „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ausgerufen. Es leistet einen wesentlichen Beitrag zur Agenda 2030. Die Modellversuche sind Teil der Umsetzung konkreter Maßnahmen.

Um Akteurinnen und Akteure, die sich in der Bildung für nachhaltige Entwicklung besonders engagieren, zu würdigen, schreibt die Deutsche UNESCO-Kommission und das Bundesbildungsministerium den „Nationalen Preis – Bildung für nachhaltige Entwicklung“ aus. Bis 30. November können sich Kitas, Schulen, Unternehmen, Vereine, Kommunen oder auch Einzelpersonen bewerben. Der Preis ist dotiert.

Auch Friedrich Hubert Esser, Präsident des BIBB, bezeichnete die Modellversuche als gutes Instrument, um Erkenntnisse zu sammeln und Konzepte zu erproben. Aber: Nachhaltigkeit sei ein übergreifendes Thema und müsse anschlussfähig bleiben. Für Esser müssten bei der Umsetzung neuer Konzepte sowohl die Ausbilderinnen und Ausbilder als auch die Prüferinnen und Prüfer mitgenommen werden.

Mehr Mut zur Nachhaltigkeit

Die nachhaltige Transformation ist keine Frage des ob, sondern des wie – darin sind sich Expertinnen und Experten aus den unterschiedlichsten Bereichen einig. Theorie und Praxis sollen zusammenkommen. Aber wie? Volker Born, Leiter der Abteilung „Berufliche Bildung“ des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, sieht im nachhaltigen Wirtschaften vor allem auch eine gesellschaftliche Frage. Ein Beispiel: Im ländlichen Raum sind Handwerksbetriebe ein wichtiger Teil der Versorgungsstruktur. Häufig fehlt allerdings eine gute Anbindung durch Bus und Bahn für die Auszubildenden, um zur Berufsschule oder zum Betrieb zu kommen. Nachwuchs in diese Betriebe zu bekommen wird dadurch schwieriger. Born appellierte auch an die Politik, die nötigen Rahmenbedingungen für mehr Nachhaltigkeit zu schaffen.

In den Modellversuchen steht das Thema Selbstverantwortung ganz oben auf der Agenda. Ziel ist es, dass die Auszubildenden aktiv Nachhaltigkeitsthemen in den Betrieb einbringen und dabei auch lernen, wie sie mit Konflikten umgehen können. Häufig stehen sich die ökonomischen, die ökologischen und sozialen Aspekte entgegen. Mit Hilfe von Rollenspielen sollen die Auszubildenden üben, wie die Chefin oder der Chef sowie Kolleginnen und Kollegen überzeugt werden können. Die Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung ist auf einem guten Weg, sie braucht jedoch einen langen Atem. So lautet das Fazit der Tagung. Vor allem der Nachwuchs ist gefragt. Dass für die Fachkräfte von morgen das Thema Nachhaltigkeit ganz oben auf der Agenda steht, zeigte Niklas Schmucker von den Azubis4Future. „Nachhaltigkeit, die Klimakrise, müssen in der Ausbildung verankert werden“, forderte der angehende Europakaufmann im Rahmen der Online-Tagung. Und zwar nicht nur in den Betrieben, sondern auch in allen Unterrichtsfächern an der Berufsschule. „Die Berufe sind entscheidend für die Transformation unserer Wirtschaft.“