RENN-Tagung über Rezepte für eine starke Nachhaltigkeitspolitik

Die Transformation von Alltag und Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit schreitet voran in Deutschland. Damit der Prozess Zukunft hat, müssen vor allem junge Menschen zum Mitmachen bewegt werden.

Nachhaltige Projekte brauchen Unterstützung von Jung und Alt, damit sie den gesellschaftlichen Wandel vorantreiben. Bei der 2. Jahrestagung von RENN.west (Regionale Netzstelle Nachhaltigkeitsstrategien West) in Frankfurt diskutierten Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wissenschaft, von Nichtregierungsorganisationen und aus der Wirtschaft über „Neue Rezepte für eine starke Nachhaltigkeitspolitik“.

Damit Nachhaltigkeit zum Standard wird, brauchen die Projekte einerseits mehr Unterstützung. „Aber auch landesweit eine bessere Sichtbarkeit“, sagt Beatrix Tappesser, Staatssekretärin im Hessischen Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Hessen hat als erstes Bundesland einen externen Peer Review herausgebracht. Dabei geht es darum herauszufinden, wer die Schlüsselakteure sein könnten und wie Nachhaltigkeitsstrategien weiter verbreitet werden können.

Dass die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele ein weiter Weg ist, weiß auch Michael Schlecht, Vorstand Arbeitsgemeinschaft Natur und Umweltbildung Hessen und Partner von RENN.west. Er fordert mehr Einsatz von allen gesellschaftlichen Akteuren, damit nachhaltige Strategien auch in der Wirklichkeit ankommen.

Ein Nenner für ökologische, soziale und wirtschaftliche Fragen

Einer, der den Internationalen Peer Review, der 2018 veröffentlicht wurde,  sehr gut kennt, ist Karl Falkenberg. Er ist ehemaliger Sonderberater für Nachhaltige Entwicklung beim European Political Strategy Center der EU-Kommission und war Mitglied der Internationalen Expertengruppe des Berichts. Die UN-Nachhaltigkeitsziele, die Sustainable Development Goals (SDGs), würden einen gesellschaftlichen Wandel einläuten, der neue Chancen böte, sagte Falkenberg. Aus seiner Sicht besteht eine absolute Dringlichkeit, die Ziele schnell umzusetzen.

Laut Falkenberg hakt es einerseits beim Verständnis über das Thema Nachhaltigkeit. „Viele Akteure sehen nicht die ganze Bandbreite eines nachhaltigen Lebensalltags.“ Die Kombination aus ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Fragen, die auf einen Nenner gebracht werden müssen, wird oft nicht mitgedacht, sagte Falkenberg.

Andererseits kritisierte der Nachhaltigkeitsexperte den mangelnden politischen Willen bei der Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele. „In Deutschland haben wir da noch erhebliche Probleme“, sagte Falkenberg. Um das zu ändern, schlägt er vor, den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung im Bundestag  zu stärken und ihm etwa mehr Mitbestimmungsrechte zu geben. Zum anderen setzt er auf mehr Druck auf die Finanzwirtschaft. Auch auf EU-Ebene müsse in der Steuergesetzgebung oder bei Verordnungen für die Industrie nachhaltiges Wirtschaften eingefordert werden.

Falkenberg sieht in den Europawahlen im kommenden Jahr eine riesige Chance für die EU, Nachhaltigkeitsaspekte zum Thema zu machen. „Auf EU-Ebene werden viele wichtige Entscheidungen getroffen“, sagte er. „Das hat Auswirkungen auf Europa, auf Deutschland, auf Hessen und auf Kommunen.“

RENN-Netzwerk ist Treiber für nachhaltige Ideen

Dass die Zeit abläuft, die Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen noch länger hinauszuzögern sieht auch Günther Bachmann so, Generalsekretär des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE). Die vier Regionalen Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien (RENN) bezeichnete er als Inkubatoren neuer Ideen. Zudem sprach er sich für klare Regeln für mehr Nachhaltigkeit aus, zum Beispiel, wenn es um Nitrat im Wasser geht, die Verwendung von Glyphosat oder das Ausmaß von Lebensmittelverschwendung. Ideen dazu könnten vor allem auch die Hochschulen und die Wissenschaft liefern.

Die Politik muss agieren, die Zivilgesellschaft, die Wissenschaft – aber vor allem auch die Wirtschaft muss sich bewegen. EU-Experte Karl Falkenberg sieht Deutschland als Vorbild zum Beispiel bei den Ansätzen für mehr Klimaschutz. Man müsse nun zeigen, wie man trotz Regulierung erfolgreich wirtschaften kann. „Wenn die Welt nicht mitzieht, haben wir keinen Erfolg.“

Marlene Haas, selbstständige Unternehmerin und Preisträgerin des Projekts Nachhaltigkeit 2018, fühlt sich als Firmenchefin und junge Gründerin vernachlässigt in der Debatte. Sie wünscht sich mehr Gründerzentren, die zum Beispiel an die Industrie- und Handelskammern angedockt sind und über die Nachhaltigkeitsthemen auf die Agenda gesetzt werden. Sie setzt auf Austausch auf Augenhöhe, auf die Zusammenarbeit zwischen den Kommunen, Initiativen und den Unternehmern und Unternehmerinnen.

Klaus Reuter, Leiter von RENN.west und Geschäftsführer der Landesarbeitsgemeinschaft Agenda 21 Nordrhein-Westfalen sieht die Möglichkeiten für den Austausch mit Unternehmen vor allem in den Gemeinden und Kommunen. Man müsse den Dialog führen, brauche aber Unterstützung etwa von politscher Seite.

Hessen hat Nachhaltigkeit nach einer Volksabstimmung im Oktober 2018 als Verfassungsziel aufgenommen. Renate Labonté vom hessischen Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hält diesen Ansatz für die Chance, die Industrie einzubeziehen. „Das schafft Bewusstsein“, sagte Labonté. Sie mahnt zugleich, dem Prozess mehr Zeit zu geben. Innerhalb der kommenden zehn Jahre könne man evaluieren, welche Maßnahmen greifen würden.

Jugendbeteiligung zentrales Thema

Eine wichtige Rolle spielte bei der Jahrestagung die Frage, wie Akteure direkt vor Ort in den Städten und Gemeinden eingebunden werden können, vor allem Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Jennifer Gatzke von ANU Hessen aus dem RENN.west-Netzwerk wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass in der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie diese Zielgruppe so gut wie gar nicht vorkommt. Dabei könnten gerade junge Leute diejenigen sein, die die Idee der Nachhaltigkeit langfristig etablieren.

Schwierig sei vor allem diese Zielgruppe für das Thema zu begeistern und ihnen Räume für Ideen zu schaffen. In Hessen hat der Runde Tisch Bildung Nachhaltige Entwicklung (BNE) ein eigenes Forum für die Jugend. Oft gibt es in den Schulen Arbeitsgemeinschaften oder Gremien, auf Länderebene sind es etwa die Jugendbeiräte, die Nachhaltigkeit als Thema setzen können.

Allerdings ist das Engagement der jungen Leute häufig nur eingeschränkt möglich. So finden Treffen und Veranstaltungen während der Schulzeit statt oder während der Ausbildungszeit. Hinzu kommt, dass Möglichkeiten, um sich politisch zu beteiligen oft nur in Berlin angeboten werden. Diese ganz praktischen Hürden sorgen in vielen Fällen dafür, dass Jugendliche oder junge Erwachsene aus ehrenamtlichen Tätigkeiten aussteigen – oder gar nicht erst einsteigen. Etliche Teilnehmende der Jahrestagung sprachen sich für neue Lernorte aus, die in den Schulalltag integriert werden.

„Junge Leute wollen mitbestimmen und mitentscheiden“, sagt Christoph Röttgers vom Deutschen Bundesjugendring. Die Organisation vertritt rund sechs Millionen Menschen in Deutschland. Ihre Interessen müssen anerkannt, ernst genommen und gefördert werden. Sowohl strukturell als auch finanziell. Das sieht auch Jeanne Freitag von YouPaN so. „Die Erwartungen der Politik sind sehr hoch. Es fehlt an Freiräumen.“ Zudem kritisierte sie, dass sich in der Regel vor allem Jugendliche und junge Erwachsene mit hohem Bildungsstandard einbringen. Das müsse sich ändern. Nachhaltigkeit gehe nicht nur alle an, sondern müsse auch von allen gestaltet werden können.

Neben der Beteiligung der Jugend bei der Erstellung und Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien diskutierten die Teilnehmenden der RENN.west-Jahrestagung über Bildungsformate, die Digitalisierung in ländlichen Räumen und Landwirtschaft versus Artenvielfalt. Bei allen Aspekten forderten die Beteiligten interdisziplinäre Ansätze und mehr Mut, neue Technologien und digitale Anwendungen einzusetzen.

„Wir müssen schneller werden“, sagte Klaus Reuter von RENN.west zum Abschluss der Jahrestagung. Im RENN-Netzwerk sieht er eine Möglichkeit, Ideen auszutauschen und sowohl landesweit als auch im ganzen Bundesgebiet gute Strukturen aufzubauen.