„Es geht nicht nur um CO2-Reduktion oder Umweltschutz, sondern um Friedenspolitik“

Christian Thimann leitet eine Gruppe von 20 Expertinnen und Experten, die im Auftrag der EU eine Strategie erarbeiten, wie das Finanzsystem nachhaltiger werden kann. Im Interview erklärt das Vorstandsmitglied des Versicherers Axa: Es geht um die große Vision und um viele kleine Regeln.

Herr Thimann, die Expertengruppe der EU arbeitet an einer der größten Fragen der Nachhaltigkeit – wie können Märkte so gesteuert werden, dass sie die Agenda 2030 und die Klimaziele der UN umzusetzen helfen. Haben Sie die Instrumente dazu schon in der Schublade?

Christian Thimann: Zunächst muss ich ein großes Kompliment an die Europäische Union machen. Sie ist wirklich dran an der Umsetzung der Lösungen der Klima- und Umweltprobleme. Jetzt soll das finanzpolitische Regelwerk der Union angepasst werden, das ist ein wichtiger Schritt, um die Kapitalströme langfristig nachhaltiger zu lenken.

Was sind denn die konkreten Instrumente, die Sie umsetzen wollen?

Zunächst geht es uns in den Expertengruppen um eine Vision für ein nachhaltiges Finanzsystem. Richtig konkret wird es, weil wir direkt für den Regulierer, also die EU-Kommission, arbeiten. Unsere Ideen schweben also nicht im leeren Raum. Wir wollen konkrete Maßnahmen beschließen. Wir analysieren: Wie laufen Investitionsentscheidungen heute? Wir schauen uns beispielsweise an, ob Regeln für sogenannte Green Bonds standardisiert werden können, also Anleihen, mit denen beispielsweise Erneuerbare Energien oder Projekte für mehr Energieeffizienz finanziert werden. Ein weiteres Thema ist, die Berichtspflicht von Unternehmen um Klimarisiken zu erweitern. Wir wollen dahin kommen, dass bei Investitionsentscheidungen Kriterien der Nachhaltigkeit eine größere Rolle spielen.

Was bedeutet es für einen Versicherer wie die Axa, wenn die Finanzmärkte im Sinne von Klimaschutz und Nachhaltigkeit umgebaut werden?

Das ist extrem kompatibel mit unserem Geschäftsmodell, weil wir als Versicherer lange Zeiträume betrachten. Wir haben großes Interesse an einem entsprechend ausgerichteten Finanzsystem. Die Statistik der Elementarschäden zeigt uns: Extremwetterereignisse nehmen zu, und der Klimawandel wird ihre Frequenz und Intensität in Zukunft noch verstärken. Axa hat beispielsweise 2014 weltweit etwa eine Milliarde Euro für Schäden ausgezahlt, die im weitesten Sinne mit Klimaereignissen zusammenhängen. Wir haben als Axa 2015 beschlossen, Anteile an Firmen, die mehr als die Hälfte ihres Geschäfts mit Kohle machen, zu verkaufen. Wir wissen schon jetzt, dass die Frequenz von Naturkatastrophen wegen des Klimawandels zunimmt. Eine Welt, die sich im Schnitt um zwei Grad erwärmt, wäre noch versicherbar. Eine, die sich um vier Grad erwärmt, nicht mehr. Der ganzen Branche ist das bewusst.

Wie kooperieren Sie denn mit anderen Institutionen, die gerade an einer Reform der Finanzmärkte arbeiten?

Ich bin einer der vier Vorsitzenden der Arbeitsgruppe des Rats für Finanzstabilität FSB, die sich mit klimabezogenen Offenlegungen von Finanzinformationen befasst. Gerade in diesen Tagen arbeiten wir die Reaktionen auf unseren Bericht von Dezember ein. Im Juli wird dann die endgültige Version des Berichts den G20-Staaten vorgestellt. Die EU nimmt die Empfehlungen unmittelbar auf und will daraus Regeln ableiten. Daran arbeiten wir in der Expertengruppe.

Wie ist Ihr Ausblick für die nächsten Jahre? Gelingt es, die Finanzmärkte neu zu regulieren?

In Europa sind schon viele Weichen gestellt worden. Bisher ging es eher darum, dass das Problem Politikern und Entscheidern der Wirtschaft bewusst wird und der politische Wille entsteht, den Märkten eine neue Richtung zu geben. Es geht ja nicht nur um CO2-Reduktion oder Umweltschutz, sondern um Friedenspolitik. Die Abhängigkeit vom Erdöl zu reduzieren, heißt auch geopolitische Spannungen zu reduzieren. Eine faszinierende Aufgabe, die uns noch lange beschäftigen wird.

Das Interview führte Ingo Arzt