Die soziale Seite der Energiewende

Steigende Kosten für Heizung und Strom belasten Haushalte mit geringem Einkommen überproportional. Die hohen Kosten der energetischen Sanierung könnten dieses soziale Problem verschärfen. Deshalb fordern Experten jetzt konsistente Rahmenbedingungen und mehr Unterstützung beim Energiesparen insbesondere für Einkommensschwache.

Kürzlich fand sich eine ungewöhnliche Allianz zu einem gemeinsamen Auftritt vor der Presse zusammen. Franz-Georg Rips, Präsident des Deutschen Mieterbunds (DMB), und Ralf Kornemann, Präsident des Eigentümerverbands Haus & Grund, schlagen Alarm. Beide Verbände befürchten, dass die Ziele der energetischen Gebäudesanierung verfehlt werden. „Wir fordern gemeinsam eine sozial verträgliche Energiewende, Fragen der Wirtschaftlichkeit und der mietrechtlichen Rahmenbedingungen gehören auf den Prüfstand“, sagt Rips.

Rips warnt vor drastischen Mieterhöhungen in Folge von Modernisierungen. Bei einer Investition von 200 Euro pro Quadratmeter für die energetische Sanierung bei einer Wohnung mit 70 Quadratmetern Fläche werde die monatliche Miete theoretisch um 130 Euro erhöht. „Die Heizkostenersparnis für den Mieter beträgt allerdings höchstens 60 Euro im Monat“, klagt der DMB-Chef.

Als Folge dessen rechnet er mit der Verdrängung finanziell schwächerer Haushalte aus besseren Wohnlagen, weil dort sanierungsbedingte Mieterhöhungen vergleichsweise leicht durchgesetzt werden können. Nach geltender Rechtslage dürfen die Eigentümer elf Prozent der Investitionskosten auf die Miete umlegen. Dass die große Koalition den Anteil auf zehn Prozent absenken will, wird keine ausreichende Kostenersparnis bei den betroffenen Mietern erbringen.

Auch für die Hausbesitzer ist die energetische Modernisierung oftmals unattraktiv. „Nicht immer lassen sich die Kosten kompensieren“, erläutert Kornemann. Es komme häufig zum Streit mit den Mietern, was den Rechtsfrieden gefährde. Auf gut deutsch: Es gelingt den Vermietern oft nicht, die notwendigen Mieterhöhungen auch durchzusetzen.

Problem mit KfW-Förderung bei alten Gebäuden

Haus & Grund sieht noch viele Unzulänglichkeiten bei der Umsetzung der Klimaschutzziele. Ein Beispiel ist die Förderung von Investitionen in einen niedrigeren Energieverbrauch durch die KfW. Die bundeseigene Bank unterstützt nur Projekte, deren Verbrauchswerte anschließend im Bereich von Niedrigenergiehäusern liegen. Eigentümer von Gebäuden mit extrem hohen Verbrauchswerten gehen leer aus, wenn sie diesen Standard nicht erreichen, selbst wenn sie prozentual sehr hohe Einsparungen vorweisen können.

Probleme bereitet den Eigentümern auch die ungeschützte Berufsbezeichnung Energieberater. Laut Kornemann schreiben sich viele Handwerksbetriebe diese Fertigkeit zu, um unter dem Deckmantel des Klimaschutzes ihre üblichen Produkte und Dienste zu verkaufen. Die Energieeinsparung bleibe dann oft weit hinter den Erwartungen zurück.

Unter diesen Bedingungen hinkt die energetische Sanierung hinter den Plänen der Bundesregierung her: Das Fraunhofer Institut für Bauphysik hat errechnet, dass bei der gegenwärtigen Sanierungsrate von einem Prozent der Gebäude im Jahr der Bedarf an Heizenergie bis zum Jahr 2050 nur um 64 Prozent sinkt. Das Ziel der Bundesregierung von 80 Prozent würde damit erst 2075 erreicht.

Der Deutsche Mieterbund und der Eigentümerverband Haus & Grund fordern nun gemeinsam eine andere Aufteilung der Kosten. Rips plädiert für eine Drittelung. Einen Teil sollen die Vermieter aufbringen, einen die Mieter und den dritten der Staat über neue Förderprogramme.

So könne die energetische Sanierung für die Mieter kostenneutral gestaltet werden, weil sich Aufwand und Heizkostenersparnis die Waage hielten. Angesichts der Schuldenbremse und dem festen Vorsatz der großen Koalition, ohne Steuererhöhungen auszukommen, erscheint dieser Vorschlag derzeit unrealistisch. So bleibt die Gefahr, dass sich viele Haushalte ihre vier Wände nach der Sanierung nicht mehr leisten können. „Menschen werden gezwungen, ihre Wohnungen zu verlassen“, kritisiert Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, auf Anfrage.

Hartz IV-Regelsätze werden zu spät angepasst

Doch selbst wenn es an dieser Stelle zu einer sozial verträglichen Gestaltung der Energiewende kommen sollte, bleibt eine weitere Baustelle offen. Insbesondere ärmere Haushalte leiden unter dem starken Anstieg der Strompreise in den vergangenen Jahren. So liegt der Stromkostenanteil für Haushalte der zweituntersten Einkommenskategorie von 500 bis unter 1 000 Euro bei 4,9 Prozent, während er bei einkommensstarken Haushalten nur 1,4 Prozent beträgt.

Die EEG-Umlage zur Förderung erneuerbarer Energien trägt zu den hohen Kosten bei. Die Wissenschaftler der Paritätischen Forschungsstelle weisen darauf hin, dass die betreffenden Haushalte Strompreiserhöhungen praktisch vorfinanzieren müssen, da die Hartz IV-Regelsätze erst im Nachhinein angepasst werden . „Wesentliche Einsparungen oder Umschichtungen im Verbrauchsverhalten sind für solche Haushalte kaum möglich“, schreiben die Forscher.

Hinzu kommen ebenfalls stark gestiegene Heizkosten. Zwischen 2002 und 2012 erhöhte sich der Preis für einen Liter Heizöl einer Studie des Hamburger Forschungsbüros Energycomment für die Grünen um 153 Prozent auf 90 Cent. Bis 2030 rechnet Autor Steffen Bukold mit einer weiteren Verdoppelung des Preises. Dies betrifft Hartz-IV-Empfänger weniger, weil die Heizkosten von den Jobcentern übernommen werden. Andere Haushalte mit niedrigem Einkommen macht die Kostensteigerung jedoch zu schaffen.

Es gibt weitere Vorschläge zur Bekämpfung der „Energiearmut“. „Wir müssen den Energiezuschlag beim Wohngeld wieder einführen und die Energiekostenentwicklung bei den Hartz-IV-Sätzen berücksichtigen“, verlangt Schneider. Der Anteil der Stromkosten am Lebensunterhalt werde zu niedrig angesetzt, kritisiert der Sozialverband. Er liege um 27 Prozent unter den tatsächlichen Ausgaben.

Um diese Lücke zu schließen, müsse der Regelsatz entsprechend erhöht werden. Das entspräche einem Betrag von 9,26 Euro im Monat. In Relation zum Regelsatz von 391 Euro für einen Alleinstehenden ist das für die Betroffenen viel Geld. Diese Maßnahme würde nach Schneiders Angaben rund eine Milliarde Euro mehr im Jahr kosten. Die Zahl der Bezugsberechtigten stiege dann von 800.000 auf eine Million an.

Kritik vom DIW

Die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) nennt auf Anfrage drei Ansatzpunkte. „Wenn man einkommensschwachen Haushalten wirklich helfen will, dann hilft man beim Energiesparen und sorgt für bezahlbare Mobilität“, sagt Kemfert. Zudem müsse die Befreiung von Unternehmen von der EEG-Umlage auf ein vernünftiges Maß reduziert werden.

Im Koalitionsvertrag wird das Thema eher allgemein abgehandelt. Zentraler Punkt ist die Energieeffizienz. Es soll eine kostenlose Energieberatung für Haushalte mit niedrigen Einkommen geben und der Kauf sparsamer Geräte erleichtert werden. Auch will die Koalition einen besseren Schutz vor Strom- und Gassperren erreichen, zum Beispiel durch Prepaid-Zähler.

Kemfert gehen die Pläne nicht weit genug. Unklar bleibe die Verminderung der Ausnahmen für die Industrie. Das Thema Energiesparen werde nicht ausreichend behandelt, kritisiert die Forscherin und fordert finanzielle Anreize für die energetische Sanierung, eine Abwrackprämie für verbrauchsintensive Geräte und Energieeffizienzstandards.

Schneider ist ebenfalls noch unzufrieden mit den Regierungsplänen. Fast wäre seine Forderung nach einem Energiezuschlag beim Wohngeld zwischen Union und SPD vereinbart worden. „Bis zur letzten Spitzenrunde stand es im Vertrag“, erinnert er sich. Doch dann sei der Energiezuschlag gestrichen worden.

Weiterführende Informationen

Pressemitteilung von Haus & Grund

KfW-Förderung von Gebäudesanierung

Studie Fraunhofer Institut für Bauphysik zu Energieplänen der Bundesregierung

Caritas zur Energiearmut