„Wir müssen alle enger zusammenrücken“

Weltweit ist der Trend zur Urbanisierung ungebrochen. Mitte des Jahrhunderts werden doppelt so viele Menschen in Städten leben wie heute. Die Entwicklung hin zu nachhaltigen Wohnorten wird durch Zielkonflikte erschwert. Da sind sich Experten auf der 15. Jahreskonferenz des Rates Nachhaltige Entwicklung einig.

Parkhäuser aus den 1970er Jahren sind in der Regel keine städtebaulichen Vorzeigeobjekte. Doch es gibt Ausnahmen. Das “Alte Parkhaus“ in der Innenstadt Münsters ist eine. Denn aus dem Gebäude für Pkws wurde 2010 ein eleganter Wohn- und Geschäftsbau mit integrierter Fahrradstation. „Wir haben dafür sogar den Deutschen Betonpreis bekommen”, erinnert sich Münsters Oberbürgermeister (OB) Markus Lewe.

Es ist der Stadt auf diese Weise gelungen, aus einem alten Gebäudebestand die wachsende Nachfrage nach Raum in guter Lage besser zu befriedigen. Doch ist auch das nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Wie viele andere Städte muss Münster zusätzlichen Wohnraum schaffen, weil neue Einwohner hinzuziehen. Bis zu 40.000 Neubürger muss Lewe in den nächsten beiden Jahrzehnten unterbringen. Derzeit zählt Münster rund 300.000 Einwohner. Die Teilnehmer am Jahrestagungsforum „Wohnen, wo alle wohnen wollen – Reurbanisierung und Nachhaltigkeit“ kennen Lewes Probleme gut. Die Experten sind sich in der wichtigsten Frage einig: Eine Allzweckstrategie zur Bewältigung dieser Herausforderung gibt es nicht.

Städte berichten von massiven Problemen

Der Austausch unter den Kommunen zu langfristigen Strategien gewinnt daher an Bedeutung. Seit fünf Jahren treffen sich zum Beispiel die Oberbürgermeister von 30 deutschen Städten auf Initiative des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE) zum Dialog „Nachhaltige Stadt“.

Im Auftrag des RNE erstellt Busso Grabow, Mitglied der Geschäftsleitung beim Deutschen Institut für Urbanistik, derzeit mit ihnen eine Studie, die Ideen und Konzepte für die Stadt im 21. Jahrhundert unter den Aspekten Wohnen, Mobilität und kommunale Finanzen herausarbeitet. „Wir haben massive Probleme in den Städten“, berichtet Grabow erste Ergebnisse. Es gebe gespaltene Wohnungsmärkte, auch innerhalb der Städte, Reurbanisierungstendenzen, aber auch Schrumpfungsprozesse und Schwierigkeiten mit der Unterbringung von Flüchtlingen.

„Wir wissen, dass Kommunen teilweise überrollt worden sind“, stellt Grabow fest. Die bisherigen Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung haben einen anderen Trend vorgegeben. Der Soziale Wohnungsbau wurde daher weitgehend eingestellt. Nun soll allerorten möglichst schnell neu gebaut werden. Das birgt andere Risiken. „Aus unserer Sicht kommt nun die Frage zu kurz, wie wir eigentlich leben wollen“, warnt Grabow.

Konflikte müssen offen ausgetragen werden

Grabow fordert eine offene Debatte über die bestehenden Zielkonflikte. Dazu gehört für ihn der Widerspruch zwischen einer gesellschaftlich notwendigen Verdichtung des Wohnraums und dem Bedürfnis der Bürger nach einer grünen Umgebung. Entgegen stehen sich auch der wachsende individuelle Platzbedarf der Menschen und die Notwendigkeit, sparsam mit der vorhandenen Fläche umzugehen.

Schließlich müsse auch eine Balance zwischen den energetischen Ansprüchen oder denen an die Barrierefreiheit und die Bezahlbarkeit des Wohnraumes gefunden werden. Für Grabow bietet sich hier ein Mittelweg an. Statt Maximalforderungen an einzelne Bereiche zu stellen, sollen die Ansprüche gegeneinander abgewogen werden, nicht auf einzelne Gebäude oder Wohnungen bezogen, sondern auf ganze Quartiere.

Partizipation ist unerlässlich

Die Notwendigkeit, ganzheitliche Lösungen für die Städte von morgen zu entwickeln sieht auch die Bundesebene: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat das Wissenschaftsjahr 2015 deshalb unter das Motto der „Zukunftsstadt“ gestellt.

Dr. Georg Schütte, Staatssekretär im BMBF und Mitdiskutant im Forum, betont dabei, dass die Zukunft der Stadt immer ein Gemeinschaftsprojekt sei, das alle anginge. Die Förderung des BMBF legt deshalb einen Schwerpunkt auf die Zusammenarbeit von Bürgern, Wissenschaft und Politik und die gemeinschaftliche Entwicklung von Konzepten.

Auch OB Lewe bekennt, dass die Gestaltung der Stadt eine Herausforderung mit einem enormen Kommunikationsaufwand sei. „Wir müssen alle enger zusammenrücken.“ Die Stadt werde bald so nicht mehr sein, wie sie heute ist. Aber der Kern, der Münster ausmacht, solle zugleich erhalten werden. Werte schaffen, nennt Lewe diesen Ansatz und meint damit beispielsweise öffentliche Räume, die allen Bürgern offen stehen oder eine qualitativ hochwertige Architektur.

Zudem bindet Lewe die Bewohner in die Planungsprozesse ein. Dies schaffe die notwendige Akzeptanz für Veränderungen, beobachtet das Stadtoberhaupt. Wolfgang Schuster, Mitglied des Rates für Nachhaltige Entwicklung und ehemaliger Oberbürgermeister von Stuttgart, mahnt eine hohe Bauqualität auch für Flüchtlingsunterkünfte an: Diese sollten auch für die Zukunft halten, zumal es sein könne, dass Flüchtlinge, die heute Schutz suchen, auch dauerhaft in Deutschland bleiben.

Eine gemeinsame Erkenntnis der Diskussion ist, dass es keine statische Strategie für alle geben kann. Das Konzept der autogerechten Stadt in den 60er Jahren, des massiven Sozialen Wohnungsbaus in den 70er Jahren oder der Kommerzialisierung der Innenstädte in den 80er Jahren hätten sich als zerstörerisch erwiesen, warnt Lewe. „Eine Stadt ist immer organisch und mehrdimensional“, sagt er. Die Politik müsse zusammen mit der Bürgerschaft kleinteilige Strategien entwickeln, mit Orten, an denen die Einwohner zusammen kommen könnten, öffentlichem Raum für alle.

Wohnungsmangel erschwert zukunftsorientierte Planung

So einfach, wie es im Beispiel Münsters klingt, ist das Problem der Verstädterung jedoch nicht zu lösen, wie Kristina Jahn weiß, Vorstand der Berliner Wohnungsbaugesellschaft Degewo. Mit 75.000 Wohnungen ist das städtische Unternehmen das größte der Branche in der Hauptstadt.

Die Größe habe auch Vorteile, weil man über zusammenhängende Siedlungen verfüge und eher über gesamtheitliche Konzepte nachdenken könne. Aber Jahn schildert auch die Kehrseite. Bis 2025 muss die Degewo auf Weisung des Senats 1.000 neue Wohnungen pro Jahr bauen. Der Auftrag sei klar definiert: „Wir schaffen bezahlbaren Wohnraum in einer lebenswerten Umgebung“, sagt Jahn. Doch bei der kurzfristigen Aufgabe, viel zu bauen, bleibe zu wenig Zeit für langfristige Konzepte.

Weiterführende Informationen

Wissenschaftsjahr Zukunftsstadt

Initiative Morgenstadt

Charta Zukunftsstadt

Strategie Stadt Münster

Connective Cities, BMZ