Wenn ein geflüchteter Ingenieur kein Flüchtling mehr ist

Deutschland braucht dringend Fachkräfte – und versäumt es trotzdem oft, gut qualifizierte Flüchtlinge für die Jobs weiterzubilden. Das Projekt Umwelthandwerker in Hamburg will das ändern.

Eigentlich wollte Saad Al Abed Al Latef seinen Master in Energietechnik an der Universität in Aleppo machen und ein ganz normales Leben führen. Doch der Krieg in Syrien durchkreuzte seine Pläne. Er floh aus seinem Land und schlug sich bis März 2015 nach Deutschland durch. Heute ist Al Latef ein Beispiel, wie die Integration von Flüchtlingen gelingen kann. Genau genommen ist er kein Flüchtling mehr: Er ist Steuerzahler und arbeitet bei der Firma FM Technik in Hamburg als Programmierer in der Gebäudeautomation – also in einem wichtigen Bereich der Energiewende.

Al Latef hat viel gebüffelt für seinen Erfolg, besuchte mehrere Sprachkurse und stieß im richtigen Moment über das Projekt „Work And Integration For Refugees“ auf das Programm „Umwelthandwerker“. Projektleiter Haiko Hörnicke erzählt, wie das Zentrum für Energie-, Wasser- und Umwelttechnik der Handwerkskammer Hamburg (ZEWU) und die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) Herbst 2015 zusammenkamen, als die meisten Geflüchteten in Deutschland eintrafen. Sie entschieden sich, gesellschaftspolitische Verantwortung zu übernehmen – und diesen Menschen bei der Integration zu helfen. Ihre logische Beobachtung: Auf der einen Seite gab es qualifizierte Flüchtlinge, auf der anderen Seite einen großen Fachkräftemangel im Handwerk, besonders in der Umwelttechnik. Hörnicke sagt, Flüchtlinge seien keine Bittsteller, sondern Menschen, die Potential mitbringen. „Viele derer, die hier angekommen sind, werden im normalen Regelsystem administriert und systematisch de-qualifiziert. Das wollten wir verhindern“, sagt Hörnicke.

Er betont aber auch, dass das Projekt aufwändig sei und nur bei bereits gut qualifizierten Flüchtlingen greife. Diese bräuchten eine intensive und individuelle Begleitung, schon um zu vermeiden, dass es zu falschen Hoffnungen komme. „Für jemanden, der nur vier Jahre Schulbildung hat, ist unser Programm nichts“, sagt Hörnicke. Die Finanzierung hatte zunächst bis Ende 2018 die DBU übernommen. Inzwischen laufen die Umwelthandwerker bis 2022 im Rahmen des Projekts „Mission Zukunft“ weiter, das Zugewanderten mit akademischer Vorbildung Beratungen, Qualifizierungen und Schulungen im Bereich Umwelttechnik bietet. Gefördert wird das Projekt nun vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales und dem Europäischen Sozialfonds. RENN.nord, eine von insgesamt vier Regionalen Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien, und der Rat für Nachhaltige Entwicklung zeichneten die Umwelthandwerker kürzlich als eines von vier „Transformationsprojekten 2018“ aus.

Jobcentern fehlen die Mittel für zielgerichtete Unterstützung

Das Projekt kommt ins Spiel, wenn die Geflüchteten die ersten Hürden in Deutschland bereits genommen haben, also anerkannte Flüchtlinge sind und eine Aufenthaltserlaubnis haben. Ab diesem Zeitpunkt unterstützen sie Behörden bei der Integration. „Viele anfangs noch traumatisierten Flüchtlinge sind nach zwei, drei Jahren an dem Punkt, dass sie die Sprache gut können, eine Wohnung haben und dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen“, sagt Hörnicke. Im öffentlichen System der Arbeitsvermittlung fehle es aber an Zeit, Mitteln und Verständnis, die Geflüchteten entsprechend ihrer Qualifikation weiterzubilden.

Im ersten Teil des Projekts hat Hörnicke deshalb zunächst mit Jobcentern, Arbeitsagenturen, Migrationsberatungsstellen, Ehrenamtlichen und Betrieben ein Netzwerk aufgebaut, um überhaupt auf Geflüchtete mit technischer Vorbildung aufmerksam zu werden. „Ohne solche Partnerorganisationen geht es nicht“, sagt Hörnicke. Innerhalb einer vorgeschalteten Kompetenzfeststellung versuche man herauszufinden, was eine Geologin aus Kamerun oder ein Elektroingenieur aus Syrien an zusätzlichen Qualifikationen brauche, um hierzulande arbeiten zu können. „Manche geben zwar an, einen Ingenieurstitel zu besitzen, können aber eine Reihenschaltung nicht von einer Parallelschaltung auseinanderhalten. Andere dagegen könnten sofort an der Uni dozieren“, sagt Hörnicke.

Hintergrund ist, dass mit dem Anerkennungsgesetz von 2012 zugewanderte Fachkräfte ihre Berufsabschlüsse hierzulande anerkennen lassen können. Fehlen Fachkenntnisse, wird der Abschluss zunächst teilweise anerkannt, der Rest kann später zusätzlich erlernt werden. Deshalb wurde bei den Umwelthandwerkern zunächst in einem mehrtägigen Kurs festgestellt, was an Vorwissen da ist. Schriftliche Aufgaben, die bei Bedarf auch ins Arabische übersetzt sind, mussten ebenso gelöst werden wie Praktisches: einen Ölbrenner auseinanderbauen, Teile und Funktion eines elektrisch angetriebenen Smarts erklären. Mittlerweile hat Hörnicke das Verfahren aber deutlich verkürzt und durch gezielte Gespräche ersetzt.

Zu wenig Qualifizierungsprogramme für Flüchtlinge

Wer ausreichend qualifiziert ist, erhält fünf Monate gezielter und individueller Fortbildung. Technisches Deutsch lernen dabei alle – in einem herkömmlichen Sprachkurs lerne niemand das Wort „Energieeinsparverordnung“. Die anderen Module werden mit Betrieben oder Bildungseinrichtungen abgesprochen. Anschließend finden manche direkt einen Job, andere fangen eine Ausbildung oder ein Studium an. Teil dieser Phase sind auch Exkursionen zu Windparks, Biogasanlagen, Müllverbrennungsanlagen oder in Umweltbetriebe.

Bis 2018 führte das Team der Umwelthandwerker Beratungsgespräche mit rund 150 Geflüchteten, 44 nahmen anschließend an der mehrtägigen Kompetenzfeststellung teil, davon 37 an dem fünfmonatigen Programm. 30 davon fanden anschließend einen Jobs oder eine reguläre Fachqualifizierung. Eigentlich müsse es wesentlich mehr solcher Projekte geben, sagt Hörnicke. Er selbst hat für die Umwelthandwerker 1,75 Stellen finanziert bekommen, plus weitere Dozenten für die Kurse. „Über erfolgreiche Integration wird viel geschrieben. Aber wir sind nur ein Leuchtturm. Wir bekommen viel mehr Bewerber als wir aufnehmen können“.

Er schlägt vor, dass ähnliche Programme künftig vom öffentlichen Regelsystem finanziert werden, damit auch andere Bildungseinrichtungen aufwändige Zusatzqualifikationen anbieten können. Bis 2022 haben die Umwelthandwerker in Hamburg jetzt eine Kapazität von zwei fünfmonatigen Qualifizierungskursen im Jahr mit jeweils 17 Teilnehmenden. Aber da draußen, sagt Hörnicke, gebe es tausende von Ingenieurinnen und Ingenieuren, die dringend gebraucht werden und im normalen öffentlichen Vermittlungssystem allmählich ihre Kompetenz verlieren. „Wenn diese Menschen sich hier etwas aufbauen können, dann können wir auch aufhören, sie ‘Flüchtlinge’ zu nennen. Weil sie dann wirklich hier angekommen sind“, sagt Hörnicke.

 

→ Pressemitteilung vom 14.11.2018: Ausgezeichnet: Transformationsprojekte, die die Welt verändern