Stadtplanung nach Gehör

Das Bundesforschungsministerium sammelt Töne aus allen Regionen Deutschlands. Akustik soll künftig eine größere Rolle spielen, um nachhaltige, lebenswerte Städte zu planen. Die Professorin für Psychoakustik und Lärmwirkungsforschung Brigitte Schulte-Fortkamp sagt: „Die Stadt der Zukunft – sie ist nicht leise, sie klingt.“
Deutschland klingt – und Bürger können die Geräusche, von denen sie jeden Tag umgeben sind, auf einer Klangkarte hochladen. Andere können dann Likes verteilen, so dass ein Ranking entsteht. An erster Stelle derzeit „Typisch Münster“: es klingelt jemand auf dem Rad, eine Kirchturmuhr schlägt. An Platz zwei folgt das Läuten der Kuhglocken beim Almabtrieb im Allgäu. Weiter hinten stehen Geräusche wie: „Auf der A3 im Herbstregen: Der tägliche Stau zur Arbeit“ oder „Im Fußballstadion beim 1.FC Köln“. Das Bundesforschungsministerium sammelt diese Töne.
Die Aktion nennt sich Stadtklänge 2015, startete im vergangenen August und war eigentlich nur für zwei Monate geplant. Doch dann wurde sie, weil viele Bürger mitmachten, immer wieder verlängert. So ist nun noch bis Ende Februar jeder aufgerufen, seine Stadt „abzuhorchen“ und schöne oder störende, typische oder seltsame Klänge und Töne aufzunehmen. Das kann Vogelgezwitscher oder Baulärm sein.

Geräusche fürs Wohlbefinden

„Mit der Aktion Stadtklang machen wir auf die bislang noch wenig bekannte Forschungsdisziplin der akustischen Stadtplanung aufmerksam“, erklärt CDU-Bundesforschungsministerin Johanna Wanka. Die Wissenschaft könne helfen, „die Klangkulisse von Städten positiv zu beeinflussen.“ Schließlich hätten Geräusche „einen großen Einfluss auf unser Wohlbefinden“.
Die Stadtklänge sind eines der großen Vorhaben aus dem Wissenschaftsjahr 2015 zur Zukunft der Stadt, die bis in dieses Jahr, dem Wissenschaftsjahr „Unsere Ozeane, deine Zukunft“, hinein wirken. Ein anderes Projekt ist zum Beispiel der Wettbewerb Zukunftsstadt, für den 50 Städte wie Berlin, Bottrop und Magdeburg bis Ende März nachhaltige Visionen entwickeln. Zum Schluss werden acht von ihnen ausgewählt. Diese setzen dann ihre Ideen als sogenannte „Reallabore“ um.
Es geht um Fragen wie: Wie wohnen die Menschen? Wie bewegen sie sich fort? Oder: Wie gehen sie mit dem Klimawandel um? Das Weltklimabkommen, das im Dezember in Paris verabschiedet wurde, bestärkt Städte und Gemeinden, die sich bereits mit dem Ausstieg aus der fossilen Wirtschaft auseinandersetzen
Die für Stadtentwicklung zuständigen EU-Minister haben bereits im Jahr 2007 die Charta von Leipzig verabschiedet – und damit die Leitlinien für eine an Nachhaltigkeit orientierte Planung von Städten. Empfehlung unter anderem: Bürger sollen „aktiv“ beteiligt und „attraktive, nutzerorientierte öffentliche Räume“ geschaffen werden. In der Charta heißt es: „Europa braucht starke und lebenswerte Städte“.

Bisher Kampf gegen Verkehrslärm

Zu einer lebenswerten Stadt, einer Stadt der Zukunft, gehörten Plätze, die „harmonisch klingen“, sagt die Berliner Professorin für Psychoakustik und Lärmwirkung Brigitte Schulte-Fortkamp. Sonst würden sie nicht angenommen. Ihr Beispiel: „Der Springbrunnen vor dem Berliner Dom ist an sich sehr laut.
Der Platz rundherum ist dennoch beliebt, denn der Brunnen überdeckt den Verkehr und ermöglicht Privatheit in der Kommunikation.“ Ihr geht es darum, Städte mit Hilfe von Akustik besser zu planen und lebenswerter zu machen.
Derzeit wertet Schulte-Fortkamp mit dem Team um Psychoakustiker André Fiebig die „Stadtklänge“ aus. Sie wollen verstehen, welche Klänge für einen Ort stehen. „Menschen verbinden mit einzelnen Orten ein bestimmtes Geräusch“, sagt die Wissenschaftlerin. Das könne das Glockengeläut einer Kirche, das Rattern einer U-Bahn oder das Gebrabbel auf einem Platz sein.

Ruhezonen reichen nicht

Mehr als 1400 Klänge sind aufgenommen worden, am meisten in Berlin, aber viele auch in kleineren Städten wie Potsdam. Bürgern, so Schulte-Fortkamp, könne durch das Projekt selbst bewusst werden, dass ihre Stadt klingt. So findet sie die „relativ große“ Beteiligung „positiv“. In der sogenannten Lärmforschung, genauer: in der Lärmrisikoforschung, sei es bisher eher um Belästigungen und Belastungen gegangen.
Im Blick war dabei vor allem Verkehrslärm, der Herz und Kreislauf zu schaffen macht. Dieses Lärmproblem wird seit 2002 auch mit der geltenden EU-Umgebungslärmrichtlinie.
Städte haben seither Aktionspläne erarbeitet, in Leipzig etwa heißt er „Mach´s leiser – Mitwirken bei der Lärmaktionsplanung“, in Berlin „Berlin wird leiser. Aktiv gegen Verkehrslärm.“

Doch beim Thema lebenswerte Städte geht es nicht einfach um Lärmreduzierung. Wissenschaftlerin Schulte-Fortkamp würde daher niemals davon reden, dass die Stadt einfacher nur stiller werden, man nur Ruhezonen schaffen muss. Sie sagt: „Die Stadt der Zukunft – sie ist nicht leise, sie klingt.“