Resilienz: Wie man für Krisen künftig vorsorgen kann

Eine Pandemie bewältigen und eine Gesellschaft zur Nachhaltigkeit transformieren: Beide Aufgaben haben Parallelen, aus denen sich lernen lässt. Ein Gutachten im Auftrag des Nachhaltigkeitsrats zeigt die Lehren aus der Krise auf.

Aus der Art, wie Gesellschaften auf die Coronapandemie reagiert haben, lässt sich viel über Krisenbewältigung lernen – im Positiven wie im Negativen. Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI in Karlsruhe hat dazu jetzt im Auftrag des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE) eine Analyse vorgelegt. Die wichtigste Erkenntnis: Sowohl in der Nachhaltigkeitskrise als auch in der Pandemie ist Resilienz das zentrale Thema, also wie gut Gesellschaften Schocks und Krisen widerstehen und bewältigen können.

Resilienz erfordere gezielte Investitionen. „Dies impliziert unweigerlich eine Abkehr von einer alleinigen Fixierung auf die Effizienzmaximierung, wie sie die Debatten in vielen politischen Bereichen die letzten Jahre dominierte“, heißt es in dem Bericht. Weniger Effizienz koste zwar zunächst – etwa um wichtige medizinische Güter auf Vorrat lagern, statt sie immer nach aktuellem Bedarf liefern zu lassen. Doch Krisen fielen ungleich härter aus, wenn Staat und Gesellschaft keine Vorsorge treffen würden.

Covid-19 habe gezeigt, dass Politik und Verwaltung mit unklaren Lagebildern, hohem Zeitdruck, mangelnden Routinen, Koordinationsproblemen, komplizierten Rechtslagen und langwierigen Entscheidungsprozessen zu kämpfen hatten, schreiben die Autor*innen: „Hingegen sind Maßnahmen der Krisenvorsorge und Prävention deutlich besser planbar, lassen sich vorab politisch und juristisch absichern und sind nicht zuletzt im Allgemeinen recht kostengünstig.“ Der Satz lässt sich genauso gut auf die Klimakrise anwenden. Die vorgelegte Analyse des ISI fordert deshalb auch, Indikatoren für Resilienz in die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie mit einzubeziehen.

Die Studie liefert einige weitere konkrete Ansätze, sagt Jan Korte, wissenschaftlicher Referent in der Geschäftsstelle des RNE. „Wir wollten wissen, welche Lehren in Sachen Resilienz wir aus der Pandemie ziehen und in die Nachhaltigkeitsgovernance integrieren können“, sagt er.

1. Experimentelles Lernen

„Resilienz bedeutet dafür zu planen, keinen Plan zu haben“, heißt es in der ISI-Studie. In Deutschland gab es zwar Pläne, was zu tun ist, wenn eine Pandemie ausbricht, doch die waren unzureichend. Verwunderlich ist das nicht, denn es existierten schlicht keine Blaupausen dafür, wie man eine komplexe Gesellschaft mit all ihren Anforderungen und Akteuren sicher durch eine solche Krise navigiert, so die Analyse des ISI. Die Verfasser*innen ziehen daraus die Lehre, dass Gesellschaften gerade in Krisen lernfähig sein müssen.

Das heißt konkret: Die Akteure müssen Neues ausprobieren, ein Scheitern muss explizit einkalkuliert, akzeptiert und juristisch abgesichert werden. Das fällt besonders in Behörden und großen Organisationen schwer – in der Forschung gebe es aber durchaus Beispiele, wie staatliche Akteure improvisieren. „In großen Organisationen bedeutet dies, den einzelnen Abteilungen und auch individuellen Mitarbeitenden eine weitreichende Entscheidungskompetenz zuzuweisen“, heißt es in der Studie. Es brauche dann Institutionen, die das neue Wissen managen und gute und schlechte Beispiele erfassen. Politik und Gesellschaft müssten lernen, dass es keinen vorgegeben Weg aus einer Krise gibt und ein Flickenteppich an Lösungen auch durchaus effektiv sein kann.

Aufgabe des Staates könnte es sein, solche Experimente in der Zivilgesellschaft zunächst im Kleinen zuzulassen, zu fördern, zu vernetzen und von rechtlichen Hürden zu befreien. „Bei Erfolg wäre es Aufgabe des Staates, neue Lösungen dann zu skalieren“, so Jan Korte. „Die Zivilgesellschaft improvisiert einfach viel besser als der Staat“, sagt er. Das führt unmittelbar zum zweiten Punkt.

2. Mit der Gesellschaft agieren

Für Korte heißt das, die Zivilgesellschaft nicht nur zu konsultieren, sondern sie in die Lösungsfindung und Umsetzung einzubinden. „Die Alltagsexpertise vieler Akteure ist Gold wert“, sagt Korte. Das zeige sich nicht nur in der Pandemie, etwa beim Wir-vs-Virus-Hackathon im März 2020. Damals haben, unter der Schirmherrschaft des Bundeskanzleramts, rund 28.000 Teilnehmende über 1.500 IT-Projekte entwickelt, um die Pandemie zu bewältigen. Sondern auch, wenn es um die Transformation der Gesellschaft gehe, etwa bei der Müllvermeidung und beim zirkulären Wirtschaften, wo auf kommunaler Ebene sehr viele Ideen entwickelt werden.

Die Autor*innen des ISI schreiben dazu: Zur Widerstands- und Anpassungsfähigkeit in Krisen gehörten nicht nur Finanzmittel, Produktionskapazitäten oder Infrastruktur. „Genauso wichtig sind immaterielle Ressourcen, unter anderem spezifische Wissensformen, Kreativität und Sozialkapital.“ Hier sei auch Diversität wichtig. Sowohl bei den technischen Lösungsansätzen, als auch bei den Menschen, die sie erarbeiten. Ein Beispiel für technologische Diversität sei etwa die öffentliche Förderung der mRNA-Technologie. Das Unternehmen Biontech hatte über mehrere Jahre öffentliche Fördermittel für die Entwicklung von Krebstherapien erhalten. Ohne das in diesem Kontext erworbene Know-how wäre eine Entwicklung des weltweit ersten mRNA-Impfstoffs binnen weniger Monate kaum möglich gewesen – ein wichtiger Erfolg der staatlichen Forschungsförderung.

Es gehe aber auch um Diversität bei Alter, Berufserfahrung, Geschlecht und Herkunft. Durch kulturelle Vielfalt sowie möglichst unterschiedliche Formen des zivilgesellschaftlichen Engagements entstünden auch jeweils eigene Fähigkeiten und Erfahrungen im Umgang mit Krisen, heißt es in der Studie.

3. Mehr Wissenschaft in der Politik

Eine weitere wichtige Lehre aus der Corona-Krise ist für Korte: „Wissenschaftsbasierte Politikberatung muss Mainstream werden. Dazu müssen Politik und Verwaltung über alle Ressorts und Ebenen hinweg in die Lage versetzt werden, verfügbares Wissen über mögliche Zukünfte richtig einzuordnen und dann auch tatsächlich anzuwenden“, sagt er. Es geht um „die Fähigkeit, in einer dynamischen und von Unsicherheit geprägten Welt aus einer exponentiell zunehmenden Menge an Daten die relevanten Informationen herauszufiltern, um auch komplexe Zusammenhänge zu erkennen“, schreibt das ISI.

Nur aus einer System-Perspektive könne man die Mechanismen großer Krisen verstehen. Sowohl bei der Nachhaltigkeit als auch bei der Corona-Krise: Da gerieten etwa hochgradig vernetzte globale Lieferketten unter Stress. Am Beispiel Impfstoffe zeigte sich, dass es bei der Immunisierung der Menschen um viel mehr ging als die Frage, wie ein Vakzin aufgebaut sein muss, damit Menschen das Virus abwehren können: Die Impfquote in Deutschland war und ist auch beeinflusst von der Dynamik sozialer Netzwerke, von kulturellen und psychologischen Faktoren wie einer tiefsitzenden Impfskepsis in Teilen der Bevölkerung. Die globale Verfügbarkeit der Impfstoffe wiederum hängt an wirtschaftlicher Ungleichheit, Patentrechten oder auch Forschungs- und Entwicklungskapazitäten im Globalen Süden.

„Wie auch im Umgang mit der Pandemie wird ein umfassendes Systemverständnis ebenso im Zusammenhang der Nachhaltigkeitstransformation relevant sein, bei der die Zusammenhänge nicht minder komplex sind“, schreiben die Autor*innen der Studie. Biodiversität, Transformation der Ernährungssysteme, Dekarbonisierung, all das mache eine systemische, globale Betrachtung notwendig und erfordere eine hohe Analysekapazität des Wissenschaftssystems. Das Wissen müsse dann aber auch in der Politik ankommen, sagt Korte.

Der RNE machte bereits in einer Stellungnahme im Herbst 2021 darauf aufmerksam, wie wichtig angesichts der systemischen Probleme unserer Zeit ein ressortübergreifendes Arbeiten in der Regierungspraxis ist: „Auf der horizontalen Ebene bedarf es einer besser vernetzten und früheren Zusammenarbeit der Ressorts untereinander“, heißt es darin etwa. Das galt und gilt auch für Corona.

Selbstverständlich, so die Studie, gebe es zwischen der Coronakrise und der Nachhaltigkeitskrise auch große Unterschiede – allein ihre zeitliche Dimension sei völlig unterschiedlich. Dennoch stellten beide eine tiefe, globale Disruption dar. Diese und weitere Aspekte des Gutachtens diskutiert der RNE am 10. Mai im Rahmen seines digitalen Nachhaltigkeitsdialogs REIHE N. Unter dem Titel „Vorsorgen! Wie Resilienz zum Maßstab der Nachhaltigkeitsgovernance in Politik, Verwaltung und Daseinsvorsorge wird“ diskutieren von 17:00-18:30 Uhr Ratsmitglieder mit den Autor*innen des Fraunhofer-ISI und Vertreter*innen aus Bundesregierung und Zivilgesellschaft. Hier geht’s zur Anmeldung.

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