Modellversuch zu Flächenzertifikaten läuft an

Vom 30-Hektar-Ziel der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie ist Deutschland immer noch weit entfernt. Als Mittel, den Flächenverbrauch zu begrenzen, wird seit langem der Handel mit Flächenzertifikaten diskutiert. Nun erproben Dutzende Kommunen den Flächenhandel in einem mehrjährigen Planspiel unter wissenschaftlicher Begleitung.
Bebaut der Mensch offene Flächen, leidet besonders die Biodiversität, aber auch wertvolle Agrarflächen gehen zunehmend verloren und die Rückzugsräume und das Abflussverhalten des Wassers werden beeinflusst. Im Mittel der Jahre 2008 bis 2011 betrug der Flächenverbrauch in Deutschland 81 Hektar pro Tag. Damit ist noch einiges zu tun, um den Wert bis zum Jahr 2020 auf 30 Hektar zu begrenzen, wie es die nationale Nachhaltigkeitsstrategie vorsieht.
Als ein mögliches Instrument gelten in der Fachwelt Flächenzertifikate. Ähnlich wie beim Emissionshandel würde die Menge des zu verbrauchenden Gutes, in diesem Fall Flächen für Wohnen, Gewerbe und Verkehr, gedeckelt. Jede Kommune, die Bauland im Außenbereich ausweisen möchte, müsste eine entsprechende Menge an Flächenzertifikaten vorweisen.
Entsprechend der Einwohnerzahl würde den Kommunen eine bestimmte Menge an Zertifikaten kostenlos zugeteilt. Wollte die Kommune über das ihr zugeteilte Maß hinaus Baugrund auf der grünen Wiese ausweisen, müsste sie die nötige Menge an Zertifikaten zukaufen. Kommunen, die weniger im Außenbereich bauen und stattdessen Flächen im Innenbereich revitalisieren oder sogar Bebauungspläne im Außenbereich zurücknehmen, können freigewordene Zertifikate verkaufen.
„So entsteht ein Umverteilungsmechanismus zwischen den Kommunen. Gemeinden, die wenig Bauland ausweisen, bekommen Geld, mit dem sie nachhaltige Entwicklungsmaßnahmen finanzieren können“, erklärt Ralph Henger vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln.
Planspiel in 15 Kommunen
Henger leitet ein nun beginnendes Pilotprojekt, das Union und FDP schon im Koalitionsvertrag von 2009 vereinbart hatten. In dem Vorhaben soll untersucht werden, ob das 30-Hektar-Ziel durch einen Zertifikatehandel erreich werden kann.
Alternativ wird eine Reform der Grundsteuer diskutiert, sodass Kommunen einzelne Flächen für Bauträger finanziell be- oder entlasten könnten.
Im bereits abgeschlossenen Forschungsprojekt Refina wurden außerdem Kostenrechner entwickelt, mit denen Kommunen die langfristigen finanziellen Folgen neuer Baulandausweisungen vor Augen geführt werden sollen. Einige Kommunen bieten zudem Informationskampagnen für Bauherren an, durch die potenzielle Eigenheimbesitzer die Vor- und Nachteile eines Lebens im Neubaugebiet denen einer Stadtwohnung leichter gegenüberstellen können sollen.
Das nun begonnene Pilotprojekt zu den Zertifikaten trägt den Namen „Planspiel Flächenhandel“. Für intensive Fallstudien wurden bereits 15 Kommunen ausgewählt, die bis zum Projektende 2016 fortlaufend wissenschaftlich betreut werden. Zum Projekt gehören auch Workshops unter Beteiligung von Bürgern in den Kommunen, bei denen der Gemeindeverwaltung Konzepte für eine nachhaltige Innenentwicklung vorgestellt werden, sagt Henger. Parallel können 50 bis 100 weitere Städte und Gemeinden an einem jährlichen Planspiel teilnehmen, bei dem kommunale Entscheidungsträger die Auswirkungen des Flächenhandels auf ihre Kommune nachvollziehen.
Das Planspiel ist rein virtuell, den Kommunen entstehen also keine Kosten. In früheren, deutlich kleineren Versuchen schwankte der hypothetische Zertifikatspreis für einen Quadratmeter Bauland zwischen 20 und 30 Euro. Bei dem Planspiel wird ebenfalls untersucht, welche Bürokratiekosten den Kommunen bei der Teilnahme am Flächenhandel entstehen.
Die reinen Zertifikatskosten könnten sie – so die Idee – an die Bauherren weiterreichen, falls das System jemals umgesetzt werden sollte.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) sieht den Handel mit Flächenzertifikaten eher skeptisch.
„Der Modellversuch zu handelbaren Flächenausweisungsrechten wird aktiv und konstruktiv-kritisch begleitet. Der Zertifikatehandel erweist sich in der Praxis als zu starr und wird den vielfältigen Gegebenheiten vor Ort nicht gerecht. Es ist auf eine konsequentere Anwendung der bereits bestehenden Instrumente in der Landes- und Regionalplanung sowie der städtebaurechtlichen Instrumente hinzuwirken“, sagte eine Sprecherin auf Anfrage. Der Städte- und Gemeindebund befürchtet beispielsweise, dass bei einer Zuteilung auf Basis der Einwohnerzahl boomende Kommunen im Speckgürtel wachsender Städte wie München in ihren Entwicklungsmöglichkeiten zu stark eingeschränkt werden könnten.

Weiterführende Informationen

Planspiel Flächenhandel, Webseite