„Ich erhoffe mir von Paris ein Aufbruchsignal“ – Interview mit dem Vorstandsmitglied im Weltklimarat, Hans-Otto Pörtner

Der Klimaforscher vom Alfred-Wegener-Institut leitet als Ko-Vorsitzender eine der drei Arbeitsgruppen, die in den kommenden Jahren den sechsten Bericht des Intergovernal Panel on Climate Change (IPCC) erarbeiten. Sein Forscherteam wird sich mit der Anpassung von Mensch und Umwelt an die Erderwärmung befassen.

Die bisherigen nationalen Klimaschutzzusagen für die Pariser Klimakonferenz reichen nicht einmal aus, um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Sie halten eine Begrenzung der Erderwärmung sogar auf weniger als zwei Grad für notwendig. Sind die bisherigen Ergebnisse aus Ihrer Sicht nicht deprimierend?
Hans-Otto Pörtner: Als Wissenschaftler muss man da sachlich rangehen. Es gibt ja auch eine positive Sicht auf das Ergebnis. Schon mit den vorhandenen Erklärungen wäre eine Begrenzung der Erderwärmung auf 2,7 Grad möglich. Alle Beteiligten wissen allerdings auch, dass dies noch nicht ausreicht. Es ist ein wichtiges Ergebnis des letzten IPCC-Berichts, dass 1,5 Grad als Ziel vernünftiger sind als zwei Grad, weil zwischen beiden Marken in den ökologischen Systemen viel passiert. Wir werden in Paris nicht alle Probleme lösen, aber hoffentlich signifikante Fortschritte erzielen. Das ist ein Prozess, der immer wieder überprüft werden muss. Der fortschreitende Klimawandel wird dafür sorgen, dass die Motivation zum Handeln hoch bleibt. Mir macht jedoch Sorgen, dass der Gesellschaft gerade am Anfang der Mut und die Bereitschaft fehlt, wirklich deutliche Maßnahmen zu ergreifen. Da erhoffe ich mir von Paris ein Aufbruchsignal.
Sie werden am nächsten Weltklimabericht als Ko-Vorsitzender der Arbeitsgruppe II des Weltklimarates IPCC erheblich mitwirken. Dabei geht es unter anderem um die Anpassung an den Klimawandel. Wo sehen Sie die Hauptaufgaben bei diesem Prozess?
Die Hauptaufgabe sehe ich darin, die Grenzen der Anpassungsmöglichkeiten herauszufinden. Wir haben bei den Ozeanen die Erkenntnis gewonnen, dass deren Anpassungsmöglichkeiten bei einem ungebremsten Temperaturanstieg extrem begrenzt sind, unter den dann herrschenden Klimabedingungen. Auch die Balance zwischen Anpassung und Klimaminderung gilt es zu finden. Diese Fragen werden sich über die drei Arbeitsgruppen hinweg im nächsten Bericht wiederfinden.
Welche Akzente wollen Sie in dieser Arbeitsgruppe anders setzen?
Es gibt noch weitere interessante Fragen, aus denen wir etwas lernen können. Da sind beispielsweise die Anpassungsgrenzen der Organismen. Sind sie in der Lage, sich dem Temperaturanstieg anzupassen oder folgen sie den wandernden Temperaturzonen so lange, bis es nicht mehr geht? Die resultierende Durchmischung der Ökosysteme hätte eine Abnahme der Artenvielfalt zur Folge. Eine zweite Frage ist, was die momentane Trägheit in den Entscheidungsprozessen bedingt. Wie viel Druck und Motivation braucht eine Gesellschaft, um in die richtige Richtung zu gehen? Da können wir auch historisch viel lernen, denn Klimawandel hat in der Menschheitsgeschichte immer wieder eine bedeutende Rolle gespielt. Ich hoffe, dass die soziologische und psychologische Forschung zur Beantwortung dieser Fragen viel beitragen kann.
Reichen die Zusagen der reichen Staaten hinsichtlich der Finanzierung von Kosten zur Minderung des Klimawandels aus?
Entsprechend den Ergebnissen der Arbeitsgruppe III, die sich mit Maßnahmen zur Minderung des Klimawandels beschäftigt, betragen die Kosten global deutlich weniger als ein Prozent des Bruttosozialprodukts. Es kostet also nicht viel, den Klimawandel zu bremsen. Das können wir auch mit den Entwicklungsländern zusammen stemmen, denen die Möglichkeiten dazu fehlen und die besonders vom Klimawandel betroffen sind. Ob die nationalen Klimaschutzzusagen ausreichen, müssen die Experten und die Politiker beantworten.
Wie relevant ist oder wird die nicht-finanzielle Unterstützung, zum Beispiel durch den Transfer von Technologien?
Das gibt es auch ein Trägheitselement. Billige Energie wird als Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung angesehen. Länder wie Indien sagen, sie brauchen die billige Energie für ihre wirtschaftliche Entwicklung. Aber sie haben die Klimaschäden nicht eingepreist. Hier muss die Community aktiv werden. Man muss ihnen sagen, dass diese Kosten in die Gesamtrechnung einbezogen werden müssen. Da gibt es noch Nachholbedarf. Die Industrienationen sind dabei, alternative Energien zu entwickeln. Aber Schwellenländer wie Brasilien, China, Indien könnten sich deutlich mehr einbringen. Wir sitzen alle in einem Boot. Es kann nicht einer Wasser rausschöpfen und ein anderer wieder Wasser hereinholen. Es muss ein Mentalitätswandel einsetzen.
Wie muss man sich den Arbeitsprozess vorstellen, der schließlich in den nächsten IPCC-Bericht mündet?
Zunächst werden die Kapitel aufgesetzt und weltweit die Autoren nominiert. Es wird drei Jahre lang Beratungen zu den Inhalten geben und schließlich die Schreibarbeit. Aus den daraus entstehenden Kapiteln wird eine Zusammenfassung mit dem Entscheidungsbedarf für Politiker verfasst. Wir wollen wissenschaftliche Fortschritte machen. Es werden einige Fragen stärker angesprochen als im letzten Bericht, etwa die Entwicklung des Meeresspiegels oder das Schicksal der Eisschelfe. Es wird auch um die Auswirkungen der Lösungsansätze gehen, die wir in Aussicht haben. Daraus ergibt sich, welche Handlungsoptionen wir haben.
Auf die Kohleförderung und -verstromung wollen viele Länder nicht verzichten, obwohl daraus eine wesentliche Menge an CO2-Emissionen resultiert. Wie könnten diese Staaten zu einem Umdenken bewegt werden?
Großer Druck auf die Kohleländer entstünde, wenn erneuerbare Energien konkurrenzfähiger wären als fossile Energien. Dazu muss es Abgaben auf CO2 geben. Wer weiter meint, er müsse Kohle verbrennen, muss auch dafür sorgen, dass das CO2 nicht in die Atmosphäre kommt.
Sie spielen auf die Abscheidung von CO2 schon in den Kraftwerken an?
Das ist die einzige Technologie, die zur Verfügung steht. In einigen Bereichen wird sie ja auch schon eingesetzt.
Was muss Deutschland diesbezüglich noch leisten?
Deutschland macht die erneuerbaren Energien konkurrenzfähig, in dem der Staat für Bedarf gesorgt hat und dadurch die neuen Technologien günstiger wurden. Diesen Weg muss man weitergehen, zum Beispiel mit der Windgasproduktion oder mit der Biomasseproduktion, mit der CO2 aus der Atmosphäre zum Beispiel durch Aufforstung geholt werden kann. Die Algenproduktion ohne Gefährdung der Nahrungsmittelerzeugung ist ebenfalls ein Beispiel. Da gibt es noch viel zu tun und viel Forschungsbedarf.
Sind in Paris noch positive Überraschungen möglich?
Es wurde bisher zu viel verhandelt und zu wenig gehandelt. Der Druck der Zivilgesellschaften auf die Politik ist auch schon recht groß. Zudem sehe ich auch positive Veränderungen. Shell zieht sich aus der Arktis zurück, Finanziers wenden sich von Investitionen in fossile Energieträger ab. Es ist aussichtslos, länger auf Zeit zu spielen. Aber wir werden sehen, ob die Konferenz ein Ergebnis angesichts der vielen Lobbys und Interessen schaffen wird.
Die Fragen stellte Wolfgang Mulke.