Holzenergie-Branche will nachhaltig zertifizierten Wald verhindern

Baden-Württemberg will, wie andere Bundesländer auch, das Holz aus seinen Staatsforsten nach dem nachhaltigen FSC-Standard zertifizieren. Dagegen wehrt sich unter anderem der Holzenergie-Fachverband des Landes, weil er fürchtet, dass die energetische Nutzung des Rohstoffes so zu teuer wird. Der Streit zeigt, wie Naturschutz und Energiewende in Konflikt geraten können.

Wie viel Holz darf dem Wald entnommen werden? Diese simple Frage stellt sich angesichts der Energiewende in den letzten Jahren immer wieder, jüngst in Baden-Württemberg. Dort wird Holz aus den rund 330.000 Hektar landeseigener Staatswälder seit dem 1. Mai nach dem Standard der gemeinnützigen Organisation Forest Stewardship Council, kurz FSC, zertifiziert – das entspricht 24 Prozent der Waldfläche des Bundeslandes.

Auch in den Landeswäldern im Saarland, in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Hamburg, Berlin, in Teilen von Rheinland-Pfalz und bald auch in Hessen und Niedersachsen wird der Standard angewandt. Der FSC verspricht eine nachhaltige Nutzung der Wälder.

In Baden-Württemberg haben sich gleich drei Verbände dagegen ausgesprochen: Der Bundesverband Bioenergie, das Netzwerk Holzenergie Forst und der Holzenergie-Fachverband Baden-Württemberg. Mehrere Unternehmen beantragten per Verfassungsbeschwerde vor dem Staatsgerichtshof eine einstweilige Anordnung, die Zertifizierung auszusetzen. Eine Entscheidung steht noch aus.

Die Verbände fürchten eine Rohstoffverknappung um ein Viertel und berufen sich dabei auf eine Untersuchung des Bundeswirtschaftsministeriums von 2002. Holz als energetischer Rohstoff könnte demnach teurer werden. Holzenergieprojekte würden so „in ihrer Existenz gefährdet“, heißt es in einer Mitteilung des Holzenergie-Fachverbandes. Auch das Vertrauen von Investoren in die Politik könnte verloren gehen. „Um die ambitionierten Klimaziele der Bundesregierung für 2020 realisieren zu können, wird es ohne die Holzenergie nicht gehen“, schreiben sie.

Hintergrund ist der Streit um die Frage, wie viel sogenanntes Nichtderbholz oder Waldrestholz im Wald verbleiben soll. Dabei handelt es sich um alle Bestandteile des Baumes mit einem Durchmesser unter sieben Zentimetern, kleine Äste etwa, Reisig oder Rinde. Sie verrotten und sind eine wichtige Nährstoffquelle für Insekten oder Pilze und damit die Grundlage für die Nahrungskette im Wald.

Nabu: Wald bald leer gefegt

Seit einigen Jahren werden diese Teile verstärkt in Holzkraftwerken genutzt oder als Pellets in modernen Holzheizungen verbrannt. Der Umweltschutzverband Nabu warnt seit langem, der Wald könne deshalb „leer gefegt“ werden. Insgesamt könnte sich die energetische Nutzung von Holz in Deutschland bis 2015 im Vergleich zur Jahrtausendwende auf 75 Millionen Kubikmeter verdreifachen (siehe diese Studie).

Das FSC-Siegel schreibt neben zahlreichen sozialen und ökologischen Standards bei der Waldnutzung auch vor, dass alle Äste, die kleiner als sieben Zentimeter im Durchmesser sind, im Wald verbleiben. Damit würden allerdings, sagt Helmut Bunk, Vorsitzender des Holzenergie Fachverbandes Baden-Württemberg, 200.000 Kubikmeter Holz im Jahr fehlen – pro Jahr werden in Baden-Württemberg 8,5 Millionen Kubikmeter geerntet.

Die Landesregierung selbst geht von 100.000 Kubikmetern Waldrestholz aus. Das mache zwar nur rund 1-2 Prozent des Holzes aus, räumt auch Bunk ein. Allerdings ist es genau das Waldrestholz, das in den Hackschnitzelkraftwerken benötigt werde. Er rechnet vor, dass circa 100 der 250 dieser Kraftwerke kein Holz mehr zum Heizen hätten. „Viele halten die FSC-Zertifizierung für reine Ideologie. Ideologie, die sich forstwissenschaftlich kaum nachweisen lässt“, behauptet der Anwalt der Kläger.

„Wir wissen, dass bestimmte Lobbygruppen verhindern wollen, dass der FSC Fortschritte macht. Bei solchen Vorwürfen bleiben wir sachlich“, sagt der FSC-Sprecher in Deutschland, Lars Hoffmann. Er verweist auf die Struktur des FSC, in dem neben Umweltverbänden auch Unternehmen, Gewerkschaften oder Berufsverbände wie der Bund Deutscher Forstleute Mitglied sind und über die Standards mitbestimmen.

„Auch der Holzenergieverband kann sich mit Vorschlägen einbringen“, sagt Hoffmann – in eineinhalb Jahren wird der Standard wieder überarbeitet. Bunk sagt: Man bringe sich bereits in die Diskussion ein, aber: „Bis in zwei Jahren haben die klagenden Forstunternehmen bereits irreparable wirtschaftliche Schäden.“

Historische sieben Zentimeter

Was ist dran am Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit der 7-Zentimeter-Grenze? Karl-Reinhard Volz, vor wenigen Wochen emeritierter Professor für Forst- und Umweltpolitik an der Universität Freiburg, sagt, die umstrittene Waldrestholzgrenze von sieben Zentimetern sei eher ein historisches Relikt als exakte Wissenschaft: „Früher hat es sich nicht gelohnt, diese Reste für den Verkauf aufzuarbeiten“, sagt er. Das blieb als „Leseholz“ für Holzsammler zurück.

Mit der forstlichen Bodenkunde gibt es eine ganze wissenschaftliche Disziplin, die sich mit der Frage beschäftigt, wie viel Nährstoffe ein Wald braucht. „Wissenschaftlich ist das je nach Bodentyp anders. Eine nährstoffarme Braunerde auf Buntsandstein braucht mehr als eine nährstoffreiche Braunerde auf Basalt“, sagt Volz. Wenn man das berücksichtige, entstehe aber ein Flickenteppich an Regelungen. „Auf irgendeine Grenze muss man sich eben einigen. Wie viel aus dem Wald entnommen werden kann ist schließlich keine nach oben offene Skala“, sagt er.

Die sieben Zentimeter seien durchaus ein Wert, der die Balance zwischen wirtschaftlicher Nutzung und Ökologie als Untergrenze generell noch wahre. Die Grundsatzfrage sei, ob man sich auf die „gute forstwirtschaftliche Praxis“ vor Ort verlasse, wo die Förster im Wald je nach Standort entscheiden, wie viel Holz liegen bleiben muss. „Dieser Praxis vertrauen aber viele Umweltverbände nicht und haben deshalb federführend den FSC-Standard entwickelt“, sagt Volz.

Für den Wald insgesamt könnte die FSC-Zertifizierung ein Nullsummenspiel werden: „Wenn im landeseigenen Forst mehr Holz bleibt, dann könnte sich der Privatwald in die andere Richtung entwickeln. Dann wird da eben mehr herausgeholt, als gut wäre“, fürchtet Volz. Dennoch zieht er ein positives Resümee: „Das FSC-Siegel kommt den Wäldern in ökologischer Hinsicht insgesamt auf jeden Fall zugute.“

Weiterführende Informationen

Pressemitteilungen Landwirtschaftsministerium Baden-Württemberg zur FSC-Zertifizierung

BUND-Forderung zu einem Bund-Länder-Programm für mehr natürliche Wälder

Positionspapier Holzenergie-Verband BaWü [pdf, 1.0 MB]

Holzrohstoffbilanz Deutschland, Studie Zentrum Holzwirtschaft der Uni Hamburg, Oktober 2012 [pdf, 747 KB]

Nationale Strategie zur Biologischen Vielfalt [pdf, 4,6 MB]