Handwerk navigiert Richtung Nachhaltigkeit

Ein kostenloses Online-Instrument hilft Betrieben bei einer Bestandsaufnahme nach den Kriterien des Deutschen Nachhaltigkeitskodex.

„Nachhaltigkeit hat im Handwerk Tradition”, sagt Luise Maudanz von der Zentralstelle für die Weiterbildung im Handwerk e.V. (ZWH). Zwar sei der Begriff in den Betrieben nicht verbreitet, aber „sie sind oft nachhaltiger, als sie selbst denken würden”.

Seit einem guten Jahr gibt es ein Management-Instrument, mit dem die Betriebe genau das feststellen und überprüfen können: den Nachhaltigkeits-Navigator Handwerk. Seit Herbst 2020 ist eine Desktop- und Browseranwendung online, im Frühjahr 2022 soll eine App für Smartphones folgen. Ob im Web oder als App: Der Navigator unterstützt Inhaberinnen und Inhaber, Geschäftsführende und Führungskräfte aus dem Handwerk bei einer praxisorientierten Bestandsaufnahme ihrer betrieblichen Nachhaltigkeitsaktivitäten. Auf dieser Grundlage ist es außerdem möglich, einen eigenen Nachhaltigkeitsbericht zu erstellen.
Der Navigator basiert auf den Kriterien des international anwendungsfähigen Berichtsstandards Deutscher Nachhaltigkeitskodex (DNK). Parallel hat die ZWH einen ebenfalls kostenlosen Leitfaden entwickelt: Unter dem Titel „Nachhaltiges Wirtschaften in Handwerksbetrieben sichtbar machen“ bietet er eine Einführung in die nachhaltigkeitsorientierte Betriebsführung. Die Tools und Informationsmaterialen sind im Projekt „Nachhaltigkeit in Handwerksbetrieben stärken“ entstanden, das durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und von der ZWH durchgeführt wird.

Reparieren, ausbilden, sich sozial engagieren

„Der Nachhaltigkeits-Navigator hilft Handwerksbetrieben, den DNK besser zu verstehen und eine DNK-Erklärung zu verfassen”, sagt Melanie Becker, Referatsleiterin Abteilung Wirtschaft-, Energie- und Umweltpolitik beim Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). „Handwerksbetriebe können mit dem Navigator also einfacher an das Prinzip der Nachhaltigkeit, Nachhaltigkeitsmanagement und Nachhaltigkeitsberichterstattung herangeführt und unterstützt werden.”

Die Entwicklung der Instrumente startete 2018. „Wir haben uns gefragt, wie wir Handwerksbetrieben dabei helfen können, sich nachhaltig und zukunftsfähig aufzustellen und ihren Beitrag auch öffentlichkeitswirksam zu zeigen”, erläutert Luise Maudanz. Sie ist als stellvertretende Bereichsleiterin Nachhaltigkeit und Internationalisierung bei der ZWH Ansprechpartnerin für das Projekt. In Handwerksbetrieben sei es oft alltägliche Praxis, zum Beispiel lieber zu reparieren als wegzuwerfen, in Ausbildung zu investieren, Wert auf Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu legen oder sich im Gemeinwesen zu engagieren. Es sei auch darum gegangen, diese Stärken greifbar zu machen. Gleichzeitig zeigt das Tool auch Verbesserungspotenziale auf. Insgesamt unterstützt das Ergebnis den Betrieb dabei, eine individuelle Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln.

Konkret funktioniert das so: Interessierte Handwerkerinnen und Handwerker können mit Hilfe des Navigators insgesamt 20 Themen bearbeiten, die auf dem DNK basieren – etwa die Tiefe ihrer Wertschöpfungskette, die Inanspruchnahme natürlicher Ressourcen oder Arbeitnehmerrechte. Dabei können sie aus vorformulierten Antwortmöglichkeiten diejenigen auswählen, die auf sie zutreffen. Der Navigator erstellt daraus Textvorschläge, die individualisiert werden können.

Interesse an Berichten steigt

Am Ende dieser Nachhaltigkeits-Inventur kann man, ebenfalls angeleitet, Nachhaltigkeitsziele für den Betrieb festlegen und einen Maßnahmenplan zu deren Umsetzung erstellen. „Es bringt Betrieben also auch etwas, sich erst mal durch den Navigator hindurchzuarbeiten, auch wenn sie nicht gleich einen ganzen Nachhaltigkeitsbericht erstellen wollen”, sagt Luise Maudanz. Bisher nutzt ein größerer Teil der registrierten Betriebe den Navigator auch genau so, für die interne Bestandsaufnahme. Allerdings: Seit Jahresbeginn merkt die ZWH-Ansprechpartnerin an den Anfragen, dass das Interesse steigt, auch tatsächlich einen Bericht zu veröffentlichen.  Die ZWH wünscht sich für das Jahr 2022, dass zwischen zehn und 20 Nachhaltigkeitsberichte mit Hilfe des Navigators zustande kommen: „Betriebe, die sich dafür entscheiden, sind Pioniere”, sagt sie.

Für seine Nutzerinnen und Nutzer hält der Navigator neben den Anleitungen zu den verschiedenen Kriterien auch eine Reihe praktischer Vorlagen bereit, etwa den Entwurf für einen betrieblichen Verhaltenskodex oder für eine Anfrage an Zulieferfirmen, wie tief diese ihre Wertschöpfungskette überblicken, und Hinweise auf Förderprogramme, die die Unternehmen in ihrer Entwicklung unterstützen können.

Dreistufiges Entwicklungsverfahren

Der Navigator wurde in einem dreistufigen Verfahren entwickelt. Zunächst entwarf das Team der ZWH sein Gerüst auf Basis bestehender Angebote wie dem DNK und dem E-Tool der Mittelstandsinitiative Energiewende und Klimaschutz. In der zweiten Stufe wurde es von einem Beirat von Expertinnen und Experten diskutiert und daraufhin durch Verbesserungsvorschläge weiterentwickelt. Abschließend wurden Anwenderinnen und Anwender aus Handwerksbetrieben in Workshops um den Praxistest gebeten.

Teil des Beirats war auch Florian Harrlandt, wissenschaftlicher Referent beim Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) und gemeinsam mit Isabelle Krahe zuständig für die Koordination des Deutschen Nachhaltigkeitskodex. „Aktuell sind Handwerksbetriebe nicht verpflichtet, einen Nachhaltigkeitsbericht abzugeben”, sagt Harrlandt. Allerdings würden sie aufgrund ihrer Position in der Lieferketten, zum Beispiel als Lieferant oder Dienstleister, durchaus mit diesen Fragestellungen konfrontiert. „Außerdem stellen sowohl Auftraggeber als auch Banken zunehmend solche Anforderungen auch an kleinere Betriebe”, sagt Krahe.

Handwerksbetriebe seien häufig Kleinstbetriebe. Deswegen sei der Nachhaltigkeits-Navigator so hilfreich, denn er ermöglicht es, sich auch innerhalb dieser Strukturen mit überschaubarem Aufwand einen Überblick über das Thema Nachhaltigkeit zu verschaffen. „Der großer Mehrwert ist, dass dadurch in den meisten Fällen ein ganzer Prozess losgetreten wird”, sagt Isabelle Krahe. „Gerade wenn man die Unternehmensgröße betrachtet, ist es beachtlich, wie viele Anforderungen Handwerksbetriebe bereits erfüllen”, betont Harrlandt. „Das Instrument hilft dabei, das zusammenzuführen und aus einer strategischen Perspektive für die Zukunft zu organisieren.”