Experten legen EU-weite Definition für nachhaltige Finanzprodukte vor

Was ist eine nachhaltige Geldanlage? Die Antwort auf diese Frage ist wichtig, um Klimaschutz und Agenda 2030 voranzutreiben. Über ein Jahr arbeiteten Expertinnen und Experten der Technical Expert Group on Sustainable Finance aus Finanzwirtschaft, Wissenschaft und NGOs im Auftrag der EU-Kommission an den Kriterien. Jetzt liegt das Ergebnis vor.

Was ist beschlossen worden?

Derzeit lediglich eine Empfehlung, die aber wegweisend sein dürfte. Es geht um die Frage, wie Investoren und Firmen erkennen können, was eine ökologisch nachhaltige Geldanlage ist. Dazu gibt es keine in der EU einheitliche Definition, was zur Gefahr von „Greenwashing“ führt. Das hat die Technical Expert Group on Sustainable Finance, kurz TEG, jetzt geändert. Die EU-Kommission hatte sie, bestehend aus 35 Expertinnen und Experten, im Juli 2018 eingesetzt. Sie hat nun für 67 ökonomische Aktivitäten definiert, wie sie nachhaltig umgesetzt werden können. Und zwar in den Sektoren Landwirtschaft, Forstmanagement, Produktion, Energie, Mobilität, Wasser und Abfälle, Gebäude sowie Informations- und Telekommunikationstechnologie. Blandine Machabert ist Analystin beim internationalen Investorennetzwerk PRI, das an der Definition mitgearbeitet hat. Sie sagt: „Es geht bei der Taxonomie um eine gemeinsame Sprache in der Finanzwelt.“ Also darum, dass künftig klar ist: wovon ist die Rede, wenn jemand behauptet, eine Geldanlage sei nachhaltig.

Was heißt das konkret an einem Beispiel?

Angenommen, ein Investor will möglichst klimaschonende Stahlproduktion finanzieren, nach welchen Kriterien richtet er sich da? Die Antwort findet sich auf Seite 49 des „Taxonomy Technical Report“ der TEG: Da steht, nachhaltige Herstellung von Stahl oder Eisen gehe derzeit auf zwei Arten: Entweder, man orientiert sich in Sachen Treibhausgasemissionen an den jeweils besten Produktionsstätten auf dem Markt. Oder man fokussiert sich auf die ebenfalls als nachhaltig geltende Aufarbeitung von Alteisen. Die Taxonomie gibt dabei konkret an, wie viel Klimagase (CO2 und andere) pro Tonne Stahl maximal emittiert werden dürfen. Die Werte sollen aber künftig überarbeitet werden, und zwar sobald Technologien kommerziell verfügbar sind, die einen echten Durchbruch bei der Emissionsminderung bedeuten. Beispielsweise die direkte Elektrolyse von Roheisen. Oder, indem CO2 bei der Stahlproduktion mittels „Carbon Capture and Storage“ abgeschieden und unterirdisch gespeichert wird. Das PRI nennt als weiteres Beispiel PKW: Autos, die weniger als 50 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen, tragen laut Taxonomie substantiell zum Kampf gegen den Klimawandel bei.

Was ist mit anderen Umweltkriterien außer CO2-Ausstoß und was ist mit Sozialstandards?

Zwei Grundprinzipien bilden das Fundament der Taxonomie. Erstens müssen Investitionen in einem von sechs Bereichen des Umweltschutzes einen Beitrag leisten: Bekämpfung oder Anpassung an den Klimawandel, Schutz von Wasser und Meeren, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft samt Recycling und Müllvermeidung, Vermeidung von Umweltverschmutzung oder der Schutz von Ökosystemen. Und zweitens dürfen die Investitionen keinem der sechs Umweltzielen zuwiderlaufen. So gab es lange eine Diskussion darüber, ob es nachhaltig sei, Kohlekraftwerke effizienter zu machen oder Atomkraftwerke zu bauen. Beides kann theoretisch den CO2-Ausstoß senken. Die Nutzung von Kohle verstößt aber gegen die Idee einer grundsätzlichen Transformation der Wirtschaft, die Nutzung der Atomkraft im Falle einer Havarie eigentlich allen Zielen. Deshalb gilt nun: Investitionen in Kohle und Atomkraft gelten in der EU als nicht nachhaltig.

Bei sozialen Kriterien gibt es noch einen Dissens: Die TEG schlägt hier vor, dass alle Investitionen mindestens die sogenannten ILO-Kernarbeitsnormen einhalten müssen. Das EU-Parlament fordert hier als Mindeststandard die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, die als strenger gelten.

Wie verpflichtend ist die Taxonomie?

Sie ist nicht für alle Marktteilnehmenden verpflichtend. Sie ist auch kein Siegel oder Label für nachhaltige Geldanlagen. Das soll es allerdings auch geben, auch hier hat die TEG einen Vorschlag vorgestellt, für den die Taxonomie die Grundlage bildet. Die Taxonomie ist auch noch nicht endgültig verabschiedet – bis September können Interessierte noch Feedback einreichen. Zudem ist das Mandat der Expertinnen und Experten bis Ende des Jahres verlängert worden. Sie sollen unter anderem Guidelines erarbeiten, wie Investoren die Taxonomie auch praktisch anwenden können.

Außerdem muss man wissen, dass die TEG ihre Vorschläge im Auftrag der EU-Kommission erarbeitet hat. Die Taxonomie ist die erste von zehn Maßnahmen eines Plans der EU, mit dessen Hilfe die Finanzmärkte dazu gebracht werden sollen, in die Agenda 2030 und die Pariser Klimaschutzziele zu investieren. Verhandelt werden diese Maßnahmen zwischen Parlament, Rat und Kommission. In Sachen Taxonomie haben bisher Kommission und Parlament ihre Positionen festgelegt. Der Rat, also die EU-Mitgliedsstaaten, sind gerade noch dabei. Erst dann beginnen die eigentlichen Verhandlungen, der sogenannte Trilog. Die Arbeit der TEG-Expertinnen und Experten ist dabei die einzige, die über Grundsatzfragen hinaus auch Details zu nachhaltigen Geldanlagen definiert, wie in den Beispielen oben ausgeführt. Deshalb wird sie Grundlage der späteren Richtlinie sein.

Unklar ist dennoch, wie verpflichtend die Taxonomie sein soll. Müssen also alle, die behaupten, eine „nachhaltige“ Geldanlage anzubieten, diese allgemeine EU-Definition zugrunde legen? Hier hat etwa der EU-Ministerrat noch keine Position. Einige Experten glauben, dass sich die Taxonomie als de-facto-Standard auch ohne verpflichtende Anwendung durchsetzen wird. Das heißt, wenn ein Fondsmanager künftig eine Anlage als nachhaltig zu verkaufen versucht, aber gleichzeitig einräumen muss, dass er sich nicht um die EU-Definition für nachhaltige Geldanlagen schert, dann wird er schlicht keine Käufer finden.

Gibt es auch Kritik an der Arbeit der TEG?

Ja, die gibt es. Sie stammt beispielsweise von dem Grünen EU-Abgeordneten und Finanzexperten Sven Giegold und bezieht sich auf den Green Bonds Standard, also dem geplanten Siegel für nachhaltige Geldanlagen. „Der Vorschlag für einen EU-Standard für grüne Anleihen bringt keinen Mehrwert. Die Empfehlungen der Experten sind enttäuschend“, schreibt Giegold. Seine Begründung: Ein Versicherungsmanager, ein Rentenfonds, eine Investmentfirma oder wer auch immer die Taxonomie anwendet, muss nicht offenlegen, in welche konkreten Projekte er Geld steckt.

In den Vorschlägen der TEG ist auf Seite 62 ausgeführt, was praktisch passieren könnte, wenn die Taxonomie angewendet wird: Demnach müssten Finanzmarktakteure genau erläutern, wie sich Produkte, die als nachhaltig verkauft werden, zur Taxonomie verhalten. Sie müssten ihre Strategie erläutern, wie sie die ökologische Nachhaltigkeit ihrer Investitionen sicherstellen. Trotzdem wäre es ihnen erlaubt, auch in Firmen oder Projekte zu investieren, die laut der neuen EU-Definition nicht nachhaltig sind. Grüne Finanzprodukte müssten ein Minimum an Investitionen enthalten, die laut Taxonomie nachhaltig sind und aufzeigen, wie hoch deren Prozentsatz ist: Laut EU-Taxonomie 30 Prozent nachhaltig, zum Beispiel. Eine Pflicht, die konkreten Firmen und Projekte offenzulegen, gibt es aber nicht. Die bleiben das Geschäftsgeheimnis der Anbieter grüner Finanzprodukte. Für Giegold ist das ein großes Ärgernis. Er glaubt, nur mit Transparenz könne Europa das Vertrauen umweltbewusster Investoren gewinnen und einen weltweiten Standard setzen.