„Can-Do-Mentalität“ kann jetzt Zukunft schaffen – Erste Online-Konferenz des RNE

Öffentliche Infrastruktur stärken, nachhaltige Finanzsysteme ausbauen, gesellschaftlichen Dialog suchen - auf seiner Online-Konferenz mit insgesamt 3400 Zuschauenden zieht der Nachhaltigkeitsrat erste Schlussfolgerungen aus der Corona-Krise für den Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft.

Es ist die tiefgreifendste Krise seit dem zweiten Weltkrieg. Die Pandemie ist nichts, was man sich wünschen würde. Doch nun steht das Wort „Chance“ besonders groß auf dem Bildschirm.

Der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) hat seine ursprünglich geplante Jahreskonferenz 2020 als Online-Konferenz ins Internet verlegt. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagt in ihrer Videobotschaft, dass die globalen Nachhaltigkeitsziele bei der Bewältigung der Corona-Krise als „Kompass“ dienten. Zu der Online-Konferenz – Titel „Perspektive Nachhaltigkeit“ – am 15. Juni schalteten sich mehr als 3400 Zuschauer zu. Immer wieder werden sie in der zweieinhalbstündigen Debatte aufgefordert, sich über das Online-Tool Sli.do einzumischen. (Die Ergebnisse können Sie hier finden.)

Am Ende der Konferenz stehen Antworten zu den beiden entscheidenden Fragen: Welche Lehren lassen sich aus der Corona-Krise ziehen? Und wie ist es zu schaffen, dass Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nicht zurück in alte Muster verfallen? Bis zum Herbst will der Rat in interaktiven Webinaren darüber weiter diskutieren und die Ergebnisse in eine Stellungnahme an die Bundesregierung einfließen lassen.

Das erste Ergebnis, aber nicht das einzige zum Auftakt dieser größeren Debatte: Viele sehen jetzt eine Möglichkeit, den sozial-ökologischen Umbau anzupacken. Denn als die Teilnehmenden gleich zu Beginn der Veranstaltung kurz schreiben sollen, was ihnen „spontan zu Corona und Nachhaltigkeit“ einfällt, tippen die Menschen aus dem Publikum nichts häufiger in ihre elektronischen Geräte als das Wort „Chance“. Aber was muss sich dafür genau tun?

Nächste Generation im Blick

Die Verantwortung der Regierungen, die jetzt Konjunkturpakete schnürten, sei enorm, so der Ratsvorsitzende Werner Schnappauf. Er, der schon bayerischer Umweltminister und Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie war, meint: „Was wir jetzt ausgeben, müssen Generationen nach uns bezahlen. Die heutigen Maßnahmen müssen die Last von morgen Wert sein.“ Seine Formel: „Kein frisches Geld für alte Ideen“.

In diesem Sinne lobt er das 130-Milliarden-Euro-schwere Konjunkturpaket, in dem die schwarz-rote Koalition 50 Milliarden Euro vorsieht, um die Forschung zu stärken, Elektromobilität voranzutreiben und die Wasserstoffwirtschaft aufzubauen. Wasserstoff komme bei der Energiewende eine entscheidende Rolle zu, erklärt Schnappauf. Die Bundesregierung hat erst vor kurzem eine Wasserstoffstrategie verabschiedet und einen Wasserstoffrat eingerichtet, in dem auch Mitglieder des Nachhaltigkeitsrats vertreten sind.

Der Wasserstoff kann als Speichermedium für Strom dienen, aber auch als Ersatz für fossile Brennstoffe in der Stahlproduktion, der Chemieindustrie sowie dem Flug- oder Seeverkehr. Um den Wasserstoff zu erzeugen muss zunächst allerdings viel Energie eingesetzt werden. Erst wenn dies gänzlich mit Strom aus Wind- oder Sonnenkraft geschieht, entstehen keinerlei CO2-Emissionen. Schnappauf dazu: „Die Erneuerbaren Energien müssen drastisch ausgebaut werden“. Es müsse „groß gedacht und schnell“ gehandelt werden.

Schnappauf fordert grundsätzlich „mehr Tempo bei der Transformation“. Corona habe gezeigt, dass „allen Unkenrufen zum Trotz, Demokratien in der Lage sind, schnell und zukunftsfähig zu entscheiden“. Zunächst hat die Corona-Krise allerdings Missstände offengelegt. Vier Themenblöcke, die aus der Sicht des Rates für den Weg aus der Krise besonders relevant sind, stellen die Ratsmitglieder anschließend auf der Konferenz zur Diskussion.

Block 1: Öffentliche Daseinsvorsorge

Gleich zu Anfang der Krise werden Pflegekräfte und Erzieher*innen, Menschen, die sich um andere kümmern, als „systemrelevant“ bezeichnet. Dies müsse, forderte Ratsmitglied Gerda Hasselfeldt – sie ist auch Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes – „in eine dauerhafte Wertschätzung bei der Bezahlung und den Arbeitsbedingungen münden.“ Auch die Gesundheitsämter vor Ort müssten gut ausgestattet sein, erklärt Ulla Burchardt, Mitglied im RNE, ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete und Wissenschafts- und Politikberaterin. So habe sich jetzt erst recht auch die entscheidende Rolle von Kommunen bewiesen.

Von den kommunalen Krankenhäusern über Ausstattung von Jugendämtern und Pflegeheimen mit Schutzkleidung – Städten und Gemeinden, auch Landkreisen, kommt eine enorme Bedeutung im Kampf gegen Covid19 zu. Nur bedeutet dies für sie auch: Sie haben höhere Ausgaben. Es müsse dafür gesorgt werden, dass sie die Aufgaben auch stemmen könnten, meint Markus Lewe, Mitglied im RNE und Oberbürgermeister im nordrhein-westfälischen Münster. Katherina Reiche, Ratsmitglied und Chefin der Innogy-Netztochter Westenergie, weist darauf hin, dass jedes Krankenhaus, aber beispielsweise auch die Wasserversorgung, auf eine zuverlässige Stromversorgung angewiesen seien, weswegen auch „professionelles Krisenmanagement und wirksamer Schutz vor Cyberangriffen in der Stromversorgung immer wichtiger“ würden. Derweil macht Lewe noch ein „ganz neues Thema für Kommunen“ aus: die Ernährungspolitik.

Zwar gab es keine Engpässe in der Versorgung, doch die Logistik, etwa der Import von Obst und Gemüse, aus anderen Ländern, war in den vergangenen Wochen aufwändiger. So sei deutlich geworden, erklärt Hubert Weiger, Ratsmitglied und Ehrenvorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) ist, wie wichtig eine regionale Ernährungsversorgung sei.

Block 2: Wirtschaft neu denken

Die globalen Verflechtungen der Wirtschaft deckten Mängel auf. Seit Modeläden wegen der Corona-Krise schließen mussten, haben Millionen von Näherinnen beispielsweise in Bangladesch ihre Jobs verloren. Sie bekämen kein Kurzarbeitergeld, hätten keine sozialen Sicherungssysteme, so Cornelia Füllkrug-Weitzel, Ratsmitglied, Pfarrerin und Präsidentin von Brot für die Welt, in der Debatte zum nachhaltigen Wirtschaften. Es brauche für globale Lieferketten einen „Smart Mix“ aus freiwilligen Initiativen und gesetzlichen Regeln für den besseren Schutz von Arbeitnehmenden in der gesamten Kette. Erst vor kurzem hat der RNE in einer Stellungnahme „Nachhaltige Lieferketten“ dazu konkrete Vorschläge vorgelegt.

BASF-Vorstandsmitglied Saori Dubourg und der Hamburger Betriebswirtschafts-Professor Alexander Bassen, beide Ratsmitglieder, machen einen weiteren Hebel für mehr Fairness in der Wirtschaft aus: Sie arbeiten daran, die Bilanzierung von Unternehmen zu verändern. Würden neben dem finanziellen Profit auch Sozial- und Umweltwerte berechnet, so Dubourg, wäre das „ein großer Fortschritt“ um gesellschaftlichen Mehrwert transparent zu machen.

Block 3: Klimaschutz und Zuversicht

Die Debatten um den Klimaschutz zeigen, wie viel Kraft für einen Umbau der Wirtschaft gebraucht wird. Zwar drängen viele Wissenschaftler*innen wie Gerald Haug, Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften – Leopoldina, die Bundesregierung zu stärkeren Anstrengungen, fordern etwa höhere CO2-Preise. Es gibt aber auch viele Widerstände, eine gut organisierte Lobby.

Jörg-Andreas Krüger, Präsident des Naturschutzbundes NABU und Ratsmitglied, gibt sich jedoch zuversichtlich. Die Corona-Krise zeige, dass es eine „Can-Do-Mentalität“ gebe. Jetzt sei die Zeit, „die gesellschaftlichen Dialoge zu führen, die wir etwas vor uns hergeschoben haben.“ Dem Nachhaltigkeitsrat komme dabei eine besondere Rolle zu, ergänzt Gunda Röstel, einst Vorsitzende der Grünen, heute Ratsmitglied und Geschäftsführerin der Stadtentwässerung Dresden. Denn er sei nicht nur „Mahner oder Berater, sondern auch Gestalter, indem er in die Gesellschaft hineinwirkt.“ Dies sei umso wichtiger, da in den kommenden Monaten zentrale Weichenstellungen verhandelt werden.

Block 4: Europa und Internationales

Die Europäische Kommission plant einen Green Deal, im Oktober wollen sich die Staats- und Regierungschefs zum EU-Afrika-Gipfel in Brüssel treffen. Für November ist in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad der G20-Gipfel geplant. Zudem feiern die Vereinten Nationen, die in einem umfangreichen Reformprozess stecken, ihren 75. Geburtstag.

Nur: Bislang sei die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung „zu wenig international ausgerichtet“, kritisiert Ratsmitglied Heidemarie Wieczorek-Zeul, frühere Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Lisi Maier, Vorsitzende des Deutschen Bundesjugendringes und Mitglied im RNE, fordert, sich für die Stärkung der Zivilgesellschaft weltweit einzusetzen.

Die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie

Wer wie der Nachhaltigkeitsrat für eine nachhaltige Zukunft eintritt, hat gut zu tun. Das Gute, so Hubertus Paetow, Präsident der Deutschen Landwirtschaftlichen Gesellschaft (DLG) und Ratsmitglied, im RNE säßen Vertreter*innen aus Industrie, Umwelt- und anderen Verbänden, die „zur Konsensfindung verurteilt“ seien. Sie müssen sich einigen, wollen sie ihren Auftrag ernst nehmen: Die Regierung zu beraten. Dass die Corona-Krise als Chance gesehen werde, über Alternativen nachzudenken, unterstrich die stellvertretende Ratsvorsitzende Imme Scholz, „das macht Mut.“ Bis zum nächsten Frühjahr will Deutschland eine neue Nachhaltigkeitsstrategie verabschieden.

 

Nach der Online-Konferenz finden Online-Foren statt, um die Themen der Konferenz zu vertiefen und auch die Fragen der Zuschauenden gezielt aufzugreifen. Am 8. Juli findet das erste der bis zum Herbst geplanten Online-Foren statt, zum Thema „Der Beitrag von verantwortlichem Banking und nachhaltigkeitsorientiertem Finanzwesen für resiliente Wirtschaftsstrukturen“.

Die Anmeldung startet in Kürze, wir informieren dann hier.