Biodiversität: Eine gesellschaftliche Entscheidung

Ein Forum auf der RNE-Jahreskonferenz diskutierte aus ganz verschiedenen Perspektiven über die Herausforderungen beim Arten- und Umweltschutz. Klar wurde: Ein Umsteuern zur Verbesserung der Biodiversität ist auch im ureigensten menschlichen Interesse.

„Für den Umgang mit Biodiversität gibt es keine naturwissenschaftliche Vorgabe“, sagt Katrin Böhning-Gaese in ihrer Keynote, mit der sie das Panel „Natur der Zukunft: Wie können wir flächendeckend grüne Infrastruktur ausbauen und Biodiversität verbessern?“ auf der 22. Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE) eröffnete. „Das ist eine gesellschaftliche Entscheidung.“

Allerdings: Die Wissenschaft spiele nicht nur die Rolle der Mahnerin, sie könne mittlerweile durchaus Handlungsoptionen anbieten. Handlungsoptionen, die die Gesprächsrunde dann aus ganz unterschiedlichen Perspektiven beleuchtete – es diskutierten RNE-Ratsmitglied Hubertus Paetow, Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), Maria Noichl, SPD-Abgeordnete im Europäischen Parlament und Vorsitzende des Deutschen Verbandes für Landschaftspflege (DVL), Torsten Galke, Geschäftsführer des Unternehmens „Moor and more“ und Philipp LaHaela Walter von ICLEI – Local Governments for Sustainability.

Wie gelingt die Trendwende?

Das Überleben der Menschheit hängt entscheidend von der weltweiten biologischen Vielfalt ab. Ohne funktionierende Ökosysteme mit ihren zahlreichen Tier- und Pflanzenarten wären Ernährung, Trinkwasser und saubere Atemluft gefährdet. RNE-Ratsmitglied Böhning-Gaese, Professorin an der Goethe-Universität Frankfurt und Direktorin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums, erläuterte in ihrem Impulsvortrag die Rahmenbedingungen für eine mögliche Trendwende. Ein riesiges Problem bei der Biodiversität sei, dass es keine vergleichsweise einfachen Indikatoren gebe wie beim Klima, wo CO₂-Ausstoß, CO₂-Äquivalente und Temperaturen als Maßstäbe gelten. Sie stellte vorhandene Indikatoren vor – unter anderem den Living Planet Index, der die Bestände von Tierarten misst, oder den Red List Index, der misst, welcher Anteil von Arten in einer Artengruppe vom Aussterben bedroht ist. Beide zeigen massiv nach unten. Andere Indikatoren wiederum bewerten die Ausdehnung und den Zustand von Ökosystemen. Aber, so Böhning-Gaese, die Biodiversität erbringe viele verschiedene weitere Leistungen für die Menschen, die von solchen Indizes nicht abgebildet würden. Allerdings sei inzwischen in der Diskussion klar geworden, dass die Menschen Biodiversität aus vielerlei Gründen schützen, sowohl in ihrem eigenen Interesse als auch um der Biodiversität selbst willen.

Investitionen der öffentlichen Hand und Konsumveränderungen

Abschließend präsentierte die Wissenschaftlerin, die auch an der Stellungnahme der Leopoldina zum Thema Biodiversität mitgewirkt hat, ein optimistisches Zukunftsszenario. Vorausgesetzt allerdings, dass mehrere Akteurinnen an einem Strang ziehen. Damit der Rückgang der Biodiversität bis zum Jahr 2030 gestoppt wird und sie bis 2050 wieder wächst, müssten große Schutzgebiete ausgewiesen und Land, Flüsse und Meere renaturiert werden, außerdem müsse sich die Landwirtschaft nachhaltig ausrichten. Auch die Verbraucherinnen sollen umdenken: Sie müssten zum Ende der Lebensmittelverschwendung beitragen und sich stärker pflanzenbasiert ernähren.

Nach dieser Einführung diskutierte die Runde – moderiert von den RNE-Mitgliedern Kai Niebert, dem Präsidenten des Deutschen Naturschutzrings, und Franziska Tanneberger, der Leiterin des Greifswald Moor Centrum (GMC) – über ihre unterschiedlichen Sichtweisen auf die Herausforderung. Beim Biodiversitäts-Schutz gehe es auch immer darum, was für die Menschen überhaupt wahrnehmbar ist, betonte Franziska Tanneberger. „Die Frage ist ja auch, wo ist die Referenz?“, so Tanneberger. Sie stelle durch den Vergleich zwischen sich und ihren Kindern fest, dass es eine „shifting baseline“ gibt: „Man nimmt nur den Verlust von dem wahr, was man kennt.“

Die Runde war sich in vielen Punkten einig, dass es ein aktives Umweltmanagement braucht, um den Zustand der Natur in allen Landschaften zu verbessern. Gerade bei der Wiedervernässung der Moore müssten eine Vielzahl an Hemmnissen überwunden werden. Nasse Moore können Pflanzenmaterial, also Kohlenstoff, einlagern; der durch die Zersetzung von Pflanzen im Moor entstandene dunkle Boden heißt Torf. Werden Moore trockengelegt, kommt der Torf, aus dem sie bestehen, mit Luft in Berührung. Dann beginnt ein Zersetzungsprozess, bei dem der eingelagerte Kohlenstoff wieder als CO₂ in die Atmosphäre entweicht. Daher ist die Wiedervernässung von Mooren für den Klimaschutz von großer Bedeutung. Das bekräftigte auch Panel-Teilnehmer Torsten Galke, der sich für Moorschutz und Moorrenaturierung einsetzt, Tinyhouses aus moorökologischen und anderen klimafreundlichen Baustoffen gebaut hat sowie neue Baustoffe aus Moorbiomasse entwickelt. Galke wünschte sich konkret weniger Bürokratie beziehungsweise mehr Personal und eine zügige Digitalisierung in den Ämtern, um die notwendigen Prozesse zu beschleunigen: So müssten das Antragsverfahren digitalisiert, die Landesämter besser ausgestattet und die Zulassungskriterien für nachhaltige Baustoffe angepasst werden.

In Richtung EU forderte Galke, die Wiedervernässung finanziell zu unterstützen und die Landwirtschaft auf organischen Böden, die für eine land- oder forstwirtschaftliche Nutzung entwässert wurden, nicht mehr mit den klassischen landwirtschaftlichen Subventionen zu fördern. Er schlug zudem vor, das Zurückhalten von CO₂ in den vernässten Böden mit Zertifikaten in Wert zu setzen und den Landwirt*innen entwässerter organischer Böden ihre CO₂-Emissionen steuerlich anzulasten, wenn diese genügend lange Zeit hatten, ihre landwirtschaftliche Nutzung auf nasse, torferhaltende Bewirtschaftung umzustellen und dies nicht getan haben.

EU-Parlamentarierin Noichl betonte, wie wichtig es sei, verschiedene Gruppen zusammenzubringen: „Landwirtschaft, Umweltverbände und die Kommunalpolitik müssen unbedingt gleichwertig am Tisch sitzen, um wirkliche Lösungen vor Ort zu schaffen.“ Auch müsse die öffentliche Hand mit gutem Beispiel vorangehen und zum Beispiel in Kitas und Krankenhäusern auf eine 30-prozentige Biolebensmittelquote setzen. Gleichzeitig müsse auch mit öffentlichen Mitteln ein Markt für die Abnahme von Paludikulturen aus wiedervernässten Mooren angereizt werden. Die land- und forstwirtschaftliche Nutzung nasser Niedermoore ist zum Beispiel für den Anbau von Schilf für Dachreet denkbar.

Philipp LaHaela Walter vom globalen Städtenetzwerk International Council for Local Environmental Initiatives betonte, wie wichtig es sei, das komplexe globale Problem auf die lokalen Ebenen herunterzubrechen und mit der Bevölkerung gemeinsam an Lösungen zu arbeiten: „Die großflächigen und nötigen Biodiversitätsmaßnahmen in verdichteten urbanen Räumen umzusetzen, wo es oft sehr kleinräumige und kurzfristige Interessen ganz vielfältiger Gruppen gibt, das ist eine große Herausforderung.“ Hierbei sei es essenziell, in der Umsetzung in Netzwerken und grünen Korridoren zu denken, Einzelprojekte in Prozessstrukturen zu überführen und die Alltagserfahrungen der Stadtbewohner*innen fortwährend einzubeziehen.

Kipppunkte im Ökosystem Weizenacker vermeiden

DLG-Präsident Paetow schließlich begrüßte, dass die Diskussion inzwischen nicht mehr moralisch überhöht geführt werde. Dadurch seien Andersdenkende früher nicht mitgenommen worden. Er wies darauf hin, dass ein Landwirt die von ihm selbst verursachten Biodiversitäts-Verluste bislang nicht spüre und auch keinen Schaden davon habe: „Das ist noch nicht bemerkbar in den Erträgen oder in den Aufwendungen für Produktionsmittel“, sagte er. SPD-Politikerin Noichl brachte die Gemeinwohlprämie als Bemessungsgrundlage für Landwirt*innen ein, um nachhaltige Landwirtschaft ökonomisch reizvoll zu gestalten. Aber es sei zu befürchten, dass es auch im Ökosystem Weizenacker einen Punkt gebe, an dem etwas unwiederbringlich kippe, und das müsse genau erforscht und identifiziert werden. Hubertus Paetow griff diesen Impuls auf: „Ohne Belastung geht es nicht. Aber wir müssen herausfinden, wie stark wir die Ökosysteme belasten können.“

Auch das Publikum konnte sich nach dem Fishbowl-Prinzip in die Diskussion einbringen. Bei den Wortmeldungen ging es ebenfalls meist um ganz konkrete Initiativen, oft im urbanen Raum, und um die praktischen Hindernisse, mit denen diese zu kämpfen haben. Trotz der vielen zur Sprache gekommenen Schwierigkeiten und Widerstände diagnostizierte Panel-Moderator Niebert der Runde und dem Auditorium am Ende einen „unbändigen Optimismus“. Er betonte die Notwendigkeit der Planungsbeschleunigung in Verschränkung mit dem Naturschutz sowie der monetären Bemessung von Ökosystemleistungen, um eine Trendwende für Populationen und so deren Erholung einzuleiten. Es werde nicht einfach werden, aber er glaube daran, dass die auf der Konferenz diskutierten Ideen dazu beitragen würden, die Natur „wieder grüner, blauer, vielfältiger“ zu machen.