Nachhaltigkeitsforum mit Elefant

Wie kann Deutschlands Nachhaltigkeitspolitik besser und effektiver werden? Um diese Frage kreiste das Forum Nachhaltigkeit am 18. Juni, zu dem das Bundeskanzleramt rund 150 Teilnehmende aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft eingeladen hatte.

Die Stimmung an diesem Montag im Bundeskanzleramt war besonders: In konstruktiv-freundlichem Ton drückten alle Rednerinnen und Redner ihre Erwartungen an die Politik aus. Aber niemand sprach an, was alle umtreiben musste, während sich die Regierungskoalition fast nebenan über die Asylpolitik zerstritt: Dass sich unsere Gesellschaft zunehmend spaltet und unversöhnliche Parolen die Runde machen, die mit Nachhaltigkeit so gar nichts zu tun haben, das war der Elefant im Raum.

Das Forum Nachhaltigkeit fand im Rahmen des öffentlichen Konsultationsprozesses statt, den die Bundesregierung Anfang Juni begonnen hatte. Dessen Ziele: die Nachhaltigkeitspolitik dieser Legislaturperiode starten, den Impuls des Peer Review verarbeiten und die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie in einigen Indikatoren zu verbessern, die man 2017 nicht mehr geschafft hatte. 2020 steht dann eine grundlegende Überarbeitung an. Auch der Rat für Nachhaltige Entwicklung hat eine Stellungnahme zum Konsultationspapier der Bundesregierung abgegeben.

Es überraschte nicht, dass man sich weitgehend darüber einig war, dass in der Nachhaltigkeitspolitik das „Soll“ deutlich größer ist als das „Ist“. Dieser Erkenntnis des am 4. Juni veröffentlichten Peer Review, dem internationalen Expertengutachten zur deutschen Nachhaltigkeitspolitik, schlossen sich viele Beiträge an. Einen interessanten Akzent setzte der Gedanke, dass bei allen Themen von Migration, Flucht und Entwicklung die Nachhaltigkeit eigentlich unausweichlich sei, das aber oft nicht zusammengebracht werde. Der Grund dafür sei eine nicht kohärente Politik, in der das unverbundene Silodenken der einzelnen Ministerien vorherrsche. Ein anderer Gedanke war, dass die offene Gesellschaft in die Lage versetzt werden müsse, strukturelle Fehlentwicklungen und gewohnte Missbräuche anzugehen; hierzu wurde der Schutz von Hinweisgebern, die Zivilcourage zeigen und auf Missstände aufmerksam machen, eingefordert.

Marlehn Thieme, die Vorsitzende des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE), erinnerte an die zentrale Botschaft des Peer Reviews: „Wir könnten besser sein, als wir heute sind – und wir sind nicht so gut, wie wir meinen“. Insbesondere bei den Zielen der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie, die derzeit völlig verfehlt werden, sei nun die Politik gefragt, verbindliche Aktionspläne vorzulegen. Marlehn Thieme begrüßte die regierungsinterne Diskussion um die Managementregeln, die als Reaktion auf weit reichende Veränderungsimpulse des Nachhaltigkeitsrates nun zustande gekommen sei. Es bleibe allerdings bei dem Bedarf, das Vorsorge- und Kooperationsprinzip sowie den systemischen Innovationsgedanken in den Regeln und besser noch im konkreten Handeln zu verankern.

Ein Highlight waren die Impulse von Jan-Gustav Strandenaes, Norwegen, und Farooq Ullah, Grossbritannien, die beide am Peer Review 2018 mitgewirkt haben. Sie brachten eine kritische Sicht ein. Weltweit werde zwar viel über die Agenda 2030 geredet, aber nur sehr wenig bis gar nichts getan. Sie machten auf die besondere, positive Rolle Deutschlands aufmerksam, aber auch darauf, dass weitaus mehr von Deutschland erwartet wird als die Deutschen derzeit tun.

Farooq Ullah fasste das so zusammen: “Wir müssen die Mechanismen des Kapitalismus mit den Werten des Sozialismus kombinieren. Nachhaltigkeit kann nicht allein durch Regulierung erreicht werden. Das Umdenken muss aus den Herzen und Köpfen der Menschen kommen, welches es der Regierung erlaubt, nachhaltige Ergebnisse zu produzieren.“ Dass das jedoch nicht ohne regulative Rahmen geht, machte Strandenaes deutlich. Er plädierte für gute und bessere Gesetze und Vorschriften sowie für die Entwicklung eines starken Business Case für Nachhaltigkeit.

Die Berichte der Ressortkoordinatoren für Nachhaltigkeit waren ein neues Element im Forum Nachhaltigkeit, welches schon einmal 2016 veranstaltet wurde, damals noch im Rahmen der Aktualisierung der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie. Naturgemäß fielen diese Berichte sehr unterschiedlich aus. Sie brachten teils sehr klare Zustandsbeschreibungen und weitreichende Eigenverpflichtungen. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) machte sehr deutlich, dass eine Verfehlung der 2030-Ziele ins Haus steht, wenn nicht jetzt umgesteuert wird. Die bisher getroffenen Entscheidungen der Regierung würden nicht ausreichen. Selbstkritisch fragte das Bundesforschungsministerium danach, ob „wir“ (in diesem Fall die Wissenschaft) die Menschen mit den Beiträgen zur nachhaltigen Entwicklung wirklich erreichen. Neu im Konzert der Ressorts ist die Umsetzungsstrategie des Bundeswirtschaftsministeriums. Dort will man jetzt die öffentliche Vergabe statistisch auf Nachhaltigkeit durchleuchten und sieht die Hauptaufgabe in einem geänderten Blick auf Nachhaltigkeit, der das Thema für die Wirtschafts-Community aktiv und konstruktiv aufbereitet. Das Auswärtige Amt will das Thema Nachhaltigkeit und den Sachstand in Deutschland breit in die Botschaften in aller Welt hinein transportieren. Das Bundespresseamt sprach sich für eine verbesserte und anspruchsvolle Kommunikation aus und hat beispielsweise vor, ein wirksames Narrativ zu entwickeln.

Das Forum Nachhaltigkeit selbst ist einer der weltweit beispielhaften Versuche von nationalen Regierungen, die Nachhaltige Entwicklung unter aktiver Beteiligung der Gesellschaft und in einer offenen Atmosphäre voranzubringen.