Wie das Finanzwesen krisenfester statt Krisen fester macht

Die Corona-Pandemie zeigt, wie Naturzerstörung unmittelbar die Wirtschaft trifft. Eine Chance zum Umsteuern – aber wie lassen sich soziale Fragen und Biodiversität einpreisen? Ein RNE-Online-Forum zeigte, was das Finanzwesen leisten kann und wo es noch hakt.

Michael Schmidt sieht eine historische Chance für Europa. Bisher klafft eine Finanzlücke, um die Investitionen zu stemmen, die Europa braucht, um klimaneutral zu werden. Aber die lasse sich jetzt schließen, davon ist der Vorstand und Chief Investment Officer der Lloyd Fonds AG überzeugt. “Corona war ein Schock, der das Bewusstsein für elementare ökologische und soziale Grundlagen geschärft hat”, sagte Schmidt während des RNE-Online-Forums Der Beitrag des Finanzwesens für krisenfeste, nachhaltige Wirtschaftsstrukturen”.

Das Momentum ergebe sich, wenn die Gelder, die jetzt die EU zur Verfügung stellt, mit der neuen Regulierung für ein Nachhaltiges Finanzwesen verknüpft werden. Diese Sustainable Finance Agenda ist in den letzten Jahren erarbeitet worden – unter Mitwirkung von Schmidt, der Mitglied der High Level Expert Group on Sustainable Finance („HLEG“) der EU-Kommission war. Derzeit stehen 750 Milliarden Euro aus dem Wiederaufbauprogramm „Next Generation EU“ zur Verfügung plus 1.100 Milliarden Euro aus dem regulären, mehrjährigen Finanzrahmen der EU.

Der Kontext: Regulierung und Selbstverpflichtung

Allein, um die Treibhausgase bis 2030 um 40 Prozent zu senken , müssen in der EU jährlich 180 Milliarden Euro privat und öffentlich investiert werden. Derzeit plant die Kommission, das Ziel sogar auf 50 bis 55 Prozent anzuheben. Bereits vor dem von Ursula von der Leyen ausgerufenen European Green Deal erarbeitete die Kommission eine Reihe an Regularien für den Finanzsektor, um Investitionen in den Wandel anzukurbeln. Das reicht von einer einheitlichen Definition dessen, was nachhaltige Geldanlagen sind, über neue Pflichten für Unternehmen, ihre Klimabilanz und andere nicht-finanzielle Kennziffern offen zu legen, bis hin zu Vorgaben für Banken, Versicherer und Aufsichtsbehörden, die Risiken durch den Klimawandel transparent zu machen, zu bilanzieren und zu kontrollieren.

In diesem Kontext haben 16 Finanzinstitute in Deutschland Ende Juni eine Klima-Selbstverpflichtung abgegeben . Bis Ende 2022 wollen sie messen, welche Klimaauswirkungen die jeweiligen Kredit- und Investmentportfolien haben und entsprechende Methoden entwickeln. Das Fonds- und Mandatsgeschäft soll allerdings erst später folgen. Hier seien die verwalteten Summen aber in der Regel deutlich größer als bei den selbstverwalteten Anlagen, kritisiert etwa die NGO Urgewald. Über die Fortschritte wollen die Institute jährlich berichten, mit dabei sind Landesbanken, große und kleine Geschäftsbanken, Nachhaltigkeitsbanken, Auslandsbanken und Altersvorsorgeeinrichtungen.

Genossenschaften handeln lokal

Für viele Genossenschaftsbanken ist der Klimawandel unterdessen bereits belastbare Realität. „Wir haben traditionell eine starke Verankerung in der Landwirtschaft, da haben wir einen starken Fokus und eine starke Abhängigkeit“, sagt Anne Mahler, die beim Genossenschaftsverband – Verband der Regionen e.V. den Bereich Prüfung und Betreuung von Banken leitet. „Die Auswirkungen des Klimawandels sind in den Banken angekommen. Die Landwirte hatten mit den Extremwetterperioden stark zu kämpfen“, sagt sie.
Durch die Genossenschaftsbanken entstehen aber auch regionale Netzwerke – und dank derer könne man regionale Antworten auf die Dürren finden. Die Genossenschaftsbanken reinvestieren außerdem in die Region, etwa in die Betreuung alter Menschen oder in bessere Internetanschlüsse. Damit beantworten sie die Frage, wie der Finanzsektor auch sozial positiv wirken kann, von jeher.

Klima okay, aber Biodiversität?

Andere Finanzinstitute fokussieren sich in Sachen Nachhaltigkeit bisher vor allem auf das Ökologische, auf Klimaschäden. Warum, ist einfach zu beantworten: „Das Thema Klima haben wir alle durchdekliniert, da sehe ich keine großen Baustellen mehr“, sagt Wiebke Merbeth, Leiterin Nachhaltigkeit bei der BayernInvest Kapitalverwaltungsgesellschaft. Die EU-Taxonomie zur Definition nachhaltiger wirtschaftlicher Aktivitäten ist vor allem für den Bereich Klima ausformuliert. Kennziffern in nicht-finanziellen Berichten von Unternehmen, etwa zu CO2-Emissionen, sind klar und vergleichbar. Die Daten seien vorhanden – es gehe nur noch darum, sie zusammenzufassen, so Merbeth. Sie schlägt auch ein Kernmaß vor, mit dem erfasst werden kann, wie resilient Banken sind. Merbeth bezieht das Thema auf die Mitarbeitenden. Eine Maßzahl könne daher die Kündigungsquote, die Umschlaghäufigkeit von Mitarbeitenden bei einer Bank sein.

Wie soll man Biodiversität einpreisen?

Beim Thema Corona im Speziellen und Nachhaltigkeit im Allgemeinen geht es aber um viel mehr als nur ums Klima. Bei der sozialen Taxonomie etwa sieht Merbeth „eine ganz große Baustelle“. Also bei der Frage, wie sich messen, quantifizieren und letztlich mit einem Preissignal versehen lässt, was für soziale Folgen das Handeln eines Unternehmens hat. Hier sieht die bisherige Klassifizierung der EU nur vor, dass ökologisches Wirtschaften auch arbeitsrechtliche Mindeststandards einhalten muss. Die NGO Südwind legte kürzlich einen wesentlich ausführlicheren Vorschlag vor, der auf den Kernarbeitsnormen der internationalen Arbeitsorganisation, den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen und den VN-Leitprinzipen Wirtschaft und Menschenrechte aufbaut.

Noch schwerer wird es bei der Frage, wie sich Biodiversität als Indikator für Investments einpreisen lässt. Gerade die Corona-Pandemie zeigt, dass Unternehmen, die Biodiversität zerstören, enorme Kosten für die Allgemeinheit verursachen. Schmidt glaubt, die Aufgabe sei prinzipiell lösbar, wenn Unternehmen, Investoren und Banken zusammenarbeiten. „Aber einen Preis für die Artenvielfalt zu bekommen ist noch mal eine exponentiell schwerere Aufgabe als ein CO2-Preis“, sagt Schmidt. Auch Gastgeber und Moderator Alexander Bassen, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Hamburg und Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung, pflichtet der Einschätzung bei.

Daten sind die halbe Miete

Merbeth führt aus, dass für alle Daten der Grundsatz der Qualität gelte: „Wie viel ist möglich, wie viel ist nötig, wie viel ist sinnhaft, wie viel ist wirtschaftlich vertretbar“, sagt sie. Kluge Daten zu allen Bereichen der Nachhaltigkeit müssten auch die Wettbewerbsfähigkeit berücksichtigen. „Wir sind ein Industriestandort und wollen es auch bleiben“, so Merbeth. Die Finanzwirtschaft könne auch ohne zu viel Regulatorik aus eigenem Antrieb handeln: Selbsterkenntnis führe zur Selbstregulation.

Die Kritik: Säulen versus Ringe

Das bestreitet Marius Schlageter, stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Bundesjugendrings. Die These, dass Selbsterkenntnis zur Selbstregulation führe, sei mehrfach historisch widerlegt. Als Beispiel nennt er die Schokoladenindustrie, die sich vor 18 Jahren verpflichtet habe, Menschenrechte zu achten. Heute würden immer noch zwei Millionen Kinder in Westafrika in der Produktion arbeiten – unter ausbeuterischen Bedingungen, wie die Initiative Lieferkettengesetz schreibt.

Schlageter ist zusammen mit Frauke Gehrau von der Bundesleitung der Naturfreundejugend als Vertretung der Jugend zum Online-Forum eingeladen. Gehrau kritisiert, dass es bisher nicht gelungen sei, ethisches und nachhaltiges Handeln in Unternehmen zu verankern. Es müsse zunächst darum gehen, planetare Grenzen einzuhalten, dann soziale Gerechtigkeit zu gewährleisten und erst dann kämen die Interessen der Wirtschaft.