Das Instrument, mit dem der Corona-Neustart ökologisch wird

In der EU gibt es neuerdings einheitliche Kriterien, was ökologisch nachhaltiges Wirtschaften bedeutet. Finanzexperten sehen in dieser Taxonomie ein wichtiges Instrument, mit dem der Aufbau nach der Corona-Krise grün werden kann.

Just in der Corona-Krise hat die EU einen wichtigen Baustein vorgelegt, um die Wirtschaft in den nächsten Jahrzehnten zu dekarbonisieren: Die Staats- und Regierungschefs haben nach jahrelangen Verhandlungen einen für die gesamte Union gültigen Definitionsrahmen dafür verabschiedet, wann Unternehmen ökologisch nachhaltig wirtschaften – die sogenannte Taxonomie. Nun muss nur noch das EU-Parlament zustimmen, was als Formsache gilt. Dann ist das Regelwerk in Kraft.

Mehrere Experten halten die Taxonomie für das richtige Werkzeug zur richtigen Zeit. Denn nach den Notfallhilfen für die Wirtschaft aufgrund der Corona-Pandemie plant die EU ein möglicherweise Billionen Euro schweres Aufbauprogramm – und das solle eine „green recovery“ sein, regte etwa der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, an. Mitte April forderte eine Allianz aus 13 Umweltministerinnen und Umweltministern der EU, darunter die deutsche Amtsträgerin Svenja Schulze (SPD), sowie Unternehmenschefs, Gewerkschaftsvertreter und Nichtregierungsorganisationen ebenfalls einen „grünen Aufschwung“.

Die konkreten Vorschläge, wie das gehen könnte, bestehen meist daraus, ökologische Technologien oder Maßnahmen zu fördern, etwa Elektromobilität, den Nahverkehr, die Gebäudesanierung oder die Wasserstoffwirtschaft. Hier findet sich eine Zusammenfassung einiger Ideen. „Das sind alles sehr gute Punkte, aber auch sehr erwartbar“, sagt Matthias Kopp, Leiter des Bereichs Nachhaltige Finanzsysteme beim WWF. „Was überhaupt nicht in der Diskussion ist: Wie übersetzt sich diese Technologie in die Funktionsweise der Finanzwirtschaft?“, sagt Kopp. Bei dieser Frage könnten die EU-Staaten und die EU-Kommission Pionierarbeit leisten, in dem sie ihre für eine nachhaltigere Finanzwelt geschaffenen Werkzeuge gleich in ihren Kreditprogrammen einsetzen, die beispielsweise über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) oder die Europäische Investitionsbank (EIB) laufen.

Sustainable Finance Beirat: Taxonomie verwenden

Die Taxonomie ist das Kernstück davon. Sie definiert en détail, wann eine ökonomische Aktivität eines Unternehmens (also nicht unbedingt das gesamte Unternehmen) ökologisch nachhaltig ist – und das für viele Branchen, vom Getreideanbau über die Stahlproduktion bis zum Automobilsektor. Das Grundprinzip: Eine Aktivität gilt als ökologisch nachhaltig, wenn sie einen Beitrag zu einem von sechs EU-Umweltzielen leistet – beispielsweise Klimaschutz, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft oder Wiederherstellung der biologischen Vielfalt. Gleichzeitig darf sie keinem der Ziele schaden. Außerdem müssen soziale Mindeststandards erfüllt werden, die Wirkung muss wissenschaftlich fundiert evaluiert werden. Der Sustainable Finance Beirat (SFB) der Bundesregierung hat jetzt gefordert, diese Taxonomie auch zu verwenden. „Konjunkturelle Maßnahmenpakete sollten deshalb auf Basis der Ansätze der Europäischen Kommission im Sinne des Net-Zero 2050 Ziels und des mehrjährigen EU-Finanzrahmens ausgestaltet werden, insbesondere den Aktivitäten im Rahmen des European Green Deal und des Sustainable Finance Aktionsplans, sowie der Taxonomie Verordnung“, schreibt der SFB.

„Die Taxonomie schaut nicht nur darauf, was jetzt schon grün und nachhaltig ist, sondern betrachtet auch die Transition, also den Übergang dahin“, erklärt Karsten Löffler von der Frankfurt School of Finance & Management, der auch Vorsitzender des SFB ist. Er hat in der technischen Expertengruppe die Details der Taxonomie für die EU mit ausgearbeitet. „Man kann sich durchaus überlegen, Investitionsförderungen mit der Taxonomie in Verbindung zu bringen“, sagt Löffler. So könne die EU ihre langfristigen Politikziele, etwa der CO2-Neutralität bis 2050, mit dem Weg aus der Krise verbinden. Allerdings umfasse die Taxonomie noch nicht alle Aspekte der Nachhaltigkeit, etwa Soziales, wo nur Mindeststandards gelten. „Wenn man Nachhaltigkeit ganzheitlich denkt, dann ist es eben mehr als Umwelt. Trotzdem wäre die Taxonomie jetzt eine gute Vorlage“, glaubt Löffler.

Kopp geht sogar noch einen Schritt weiter: „Die Taxonomie ist dafür angetreten, genau herauszufinden, was die ökologische Transformation ermöglicht. Es ist also fast zwingend, dieses Rahmenwerk jetzt anzuwenden. Europa integriert es ja bereits in diverse Gesetzesvorhaben“, sagt Kopp. Dazu zählt etwa der Green Bonds Standard oder die neuen Offenlegungsvorschriften für Unternehmen, mit deren Hilfe Finanzmarktakteure herausfinden können, ob ihre Investitionen mit den Pariser Klimazielen übereinstimmen. „Man wäre geradezu töricht, wenn man die Taxonomie jetzt nicht nutzen würde, wobei sie sicherlich noch nicht final ausentwickelt ist“, sagt Kopp.

Klein: Es geht um Risikomanagement

Christian Klein ist Professor für Nachhaltige Finanzwirtschaft an der Universität Kassel und hat Überlegungen angestellt, wie die Taxonomie jetzt konkret angewandt werden könnte. „Spinnen wir mal ein bisschen rum: Wir schreiben in die Kredithilfen an Unternehmen eine CO2-Klausel mit rein. Ein konkretes Minderungsziel. Wenn ein Unternehmen das schafft, dann wird die Rückzahlung gestundet oder sogar ein Teil der Rückzahlung erlassen“, sagt Klein. Angesichts der Minderungsziele der EU müssten Unternehmen ohnehin ihre Emissionen senken. Es gehe also für den Staat auch um Risikomanagement. Unternehmen, die sich nicht umstellen, sind weniger wettbewerbsfähig, ein Kreditausfall wird wahrscheinlicher.

„Wenn die öffentliche Hand so gigantische Summen in die Hand nimmt, dann sollte sie sichergehen, dass die Unternehmen zukunftsfähig sind und nicht pleite gehen“, argumentiert Klein. Die genauen Klauseln und CO2-Benchmarks könnten sich an der Taxonomie orientieren. Noch sei Zeit dafür, das Aufbauprogramm nach der Corona-Krise sei ja derzeit erst in der Diskussion. „Stellen Sie sich vor, wie viele hochqualifizierte Leute wir haben, die gerade ihren Kopf frei haben. Wann haben wir schon mal die Chance, strategisch für die nächsten Jahrzehnte zu denken?“, fragt er.

WWF-Mann Kopp bringt die Idee ins Spiel, jedem Unternehmen einen Vertrauensvorschuss zu geben, dann aber weitere Vorteile an Konditionen zu knüpfen. „Der ganz zentrale Punkt ist: Unternehmen brauchen konkrete Pläne und Pfade für ihre Klimaanpassung, dazu eine Transparenz des Fortschritts.“ Der Staat habe ein Recht darauf, einen Pfad zu netto Null Emissionen zu fordern, wenn er schon Steuermittel vergebe. Viele Unternehmen seien auf diese Pfade auch vorbereitet, schließlich gebe es längst entsprechende Berichtsstandards. Die EU-Kommission wolle gerade ohnehin ihre Sustainable Finance Strategie überarbeiten – die Konsultation läuft.

Auch Kopp und Löffler argumentieren wie Klein: Es gehe um Risikovorsorge. „Die Politik spielt eine wichtige Rolle dabei, dass Klimafaktoren in Kredit- und Finanzinvestitionsentscheidungen einbezogen werden“, sagt Löffler. „Im Privatsektor sieht man, dass Kreditinstitute immer stärker darauf achten, was für Risiken mit Geschäftsmodellen verbunden sind, die nicht einer CO2-ärmeren Zukunft angepasst sind.“ Daran könne sich der Staat nun ein Beispiel nehmen.