Raus aus der Plastikkrise

Weltweit werden nur neun Prozent des Plastikmülls recycelt. Dieser Ressourcenverschwendung sagen die Vereinten Nationen, die EU und die Bundesregierung auf verschiedenen Wegen den Kampf an. Die Details werden jetzt verhandelt. Worauf ist zu achten?

Das Plastikproblem hat Gewicht. Shardul Agrawala von der Industrieländerorganisation OECD mit Sitz in Paris rechnet es in Eiffeltürme um. 35.000 Eiffeltürme würden genauso viel wiegen wie aller Plastikmüll, der allein 2019 in der Welt produziert wurde, sagt er – 353 Millionen Tonnen. Damit habe sich der Plastikmüll innerhalb von nur 20 Jahren verdoppelt. Agrawala, der die OECD-Abteilung Umwelt und Wirtschaftsintegration leitet, beruft sich auf einen neuen OECD-Bericht. Demnach wird nur der geringste Teil des Plastikmülls recycelt: 9 Prozent. Der Rest lande in Deponien, werde verbrannt oder landet irgendwo und treibe über Flüsse in die Meere. Das sei, heißt es im Report, „alles andere als zirkulär“. Es läuft nicht rund.

Die Internationale Gemeinschaft, die Europäische Union, die Bundesregierung – sie alle wollen das ändern, neue Regeln auf den Weg bringen. Es drängt mehr denn je.

Laut OECD gehen derzeit 3,4 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen auf die Herstellung von Kunststoffen zurück. Sie werden allem voran aus Erdöl gemacht. Mit Ressourcen schonender umzugehen ist schon aus Gründen des Klimaschutzes entscheidend. Mit der Corona-Krise und dem Ukraine-Krieg ist der Druck aber noch größer geworden. Lieferketten sind löchrig. Preise ziehen an. Zirkuläres Wirtschaften helfe „die Abhängigkeit von importierten Rohstoffen zu vermindern“, so schreibt der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) in einer im Herbst 2021 veröffentlichten Stellungnahme zu zirkulärem Wirtschaften. Er hat damit eine Debatte angestoßen: Was ist zu tun ist, damit das Denken in Kreisläufen grundsätzlich zum Standard wird? Was heißt das für Plastik – den Wertstoff, der bisher viel zu selten wieder zu neuen Produkten verarbeitet wird?

Design für den Kreislauf

Vertreterinnen und Vertreter aus aller Welt haben sich erst Anfang März bei einer UN-Umweltkonferenz im kenianischen Nairobi geeinigt, den Plastikmüll an Land und in den Meeren zu bekämpfen. Innerhalb der nächsten zwei Jahre soll dazu ein rechtsverbindliches internationales Abkommen ausgehandelt werden – ähnlich dem Pariser Klimaabkommen – mit nationalen Aktionsplänen und einem Mechanismus zur finanziellen Unterstützung von Staaten, die Hilfe bei der Eindämmung der Plastikverschmutzung brauchen.

Entscheidend sei, erklärt Jörg-Andreas Krüger, RNE-Mitglied und Präsident des Naturschutzbundes Deutschland (NABU), das Plastik-Problem „umfassend“ in den Blick zu nehmen: „Es hilft nicht allein auf Technik zu hoffen wie das chemische Recycling.“ Große Kunststoffhersteller wie BASF erproben derzeit, Altplastik in petrochemische Rohstoffe zurückzuverwandeln, die dann wieder in die reguläre Produktion eingespeist werden könnten. Krüger fordert: „Bereits bei der Produktentwicklung muss die Kreislaufführung der Rohstoffe am Ende der Nutzung mitgedacht werden.“ Am Anfang schon ans Ende zu denken, hieße: Konstruktion und Design werden auf Langlebigkeit mit Möglichkeit zur Reparatur und Wiederverwertung sowie späterem Recycling ausgelegt. Für Deutschland sieht Krüger eine Vorreiterrolle: „Als Exportnation sollten wir dafür sorgen, dass Produkte Made in Germany auch im Zielland sinnvoll in Kreisläufe eingespeist werden können.“

SPD, Grüne und FDP versprechen in ihrem Koalitionsvertrag: „Wir fördern die Kreislaufwirtschaft als effektiven Klima- und Ressourcenschutz, Chance für nachhaltige Wirtschaftsentwicklung und Arbeitsplätze. Wir haben das Ziel der Senkung des primären Rohstoffverbrauchs und geschlossener Stoffkreisläufe.“ Einige der Vorhaben:

Nationale Strategie

Herstellern von Plastik soll die Plastikabgabe in Rechnung gestellt werden, die die EU schon seit Anfang 2021 erhebt. Das sind 80 Cent je Kilo unrecyceltem Plastikverpackungsmüll, der im jeweiligen Land anfällt. In Deutschland macht das derzeit im Jahr etwa 1,4 Milliarden Euro. Noch werden diese aus dem Bundeshaushalt bezahlt, sodass sich Hersteller wenig kümmern müssen, ob ihre Verpackungen aus Altplastik sind oder die Produkte sparsamer verpackt werden können.

Ein digitaler Produktpass soll kommen, sodass sich leicht erkennen lässt, welche Stoffe eine Ware enthält. Das soll die Wiederverwertung erleichtern. Ein neues Recyclinglabel wird angedacht. Hersteller, die nicht allein auf Neuware setzen, könnten ihre Produkte damit schmücken. Auch Mindestquoten für den Einsatz von Rezyklaten sollen vorgegeben werden. Auch soll eine „Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie“ erarbeitet werden. Es ist einiges zu tun.

Zwar hat Deutschland schon Anfang der 1990er Jahre – damals hieß der Umweltminister Klaus Töpfer – die Kreislaufwirtschaft eingeführt. So gilt schon seit 30 Jahren für Abfälle: Vermeiden ist besser als wiederverwenden. Wiederverwenden ist besser als Recycling. Recycling ist besser als verbrennen. Doch gibt es Nachholbedarf, bei Plastik besonders.

Forschung stärken

Gunda Röstel aus dem RNE ist Geschäftsführerin der Stadtentwässerung Dresden sowie Aufsichtsrätin beim Energiekonzern EnBW. Die werkstoffliche Verwertungsquote von Kunststoffabfällen liege in Deutschland, rechnet sie vor, unter 50 Prozent. „Das sind keine zufriedenstellenden Werte“, sagt sie. Verbundmaterialien, Verunreinigungen und Schadstoffe erschwerten das Recycling. Zum Beispiel sind Schalen, in denen Fleisch oder Käse oft verpackt sind, nur schwer wiederzuverwenden, weil zu viele verschiedene Materialien dabei zusammengeschweißt wurden. “Recycling muss deshalb”, so Röstel, “schon beim Produktdesign beginnen. Hier lohnt es besonders, in Forschung und Entwicklung zu investieren.”

Mehrweg vor Einweg

Nimmt die Bundesregierung den Kreislaufgedanken ernst, muss sie sich auch auf EU-Ebene entschieden einbringen. Viele Regelungen kommen von dort. Seit Juli vergangenen Jahres dürfen Einwegbecher, Strohhalme, Wattestäbchen und andere Wegwerfprodukte aus Plastik gar nicht mehr produziert werden. Drei Monate zuvor sind strengere Anforderungen an die Reparierbarkeit von Fernsehern, Spül- und Waschmaschinen oder Kühlschränken in Kraft getreten. Diese sieht die EU-Ökodesign-Richtlinie vor. Sie soll nun ausgeweitet und voraussichtlich noch in der zweiten Hälfte dieses Jahres die „Initiative für nachhaltige Produkte“ gestartet werden. Es ist ein Anfang, aber nicht alles.

Die EU hat schon vor zwei Jahren einen Aktionsplan für die zirkuläre Wirtschaft verabschiedet – mit weitreichenden Folgen für die Industrie: Für alle Produkte, die auf dem EU-Markt landen, sollen Schritt für Schritt Vorgaben zur Nachhaltigkeit gemacht werden. Sie sollen haltbarer, leichter reparierbar, effizienter, umweltfreundlicher hergestellt und am Ende so weit wie möglich recycelt werden.