„Klimaschutz muss mit zirkulärem Wirtschaften verknüpft werden, sonst verschenken wir eine wichtige Chance“

Bevor Gunda Röstel in die Privatwirtschaft ging, war die ausgebildete Lehrerin Bundesparteivorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen. Die Geschäftsführerin der Stadtentwässerung Dresden ist seit kurzem stellvertretende Ratsvorsitzende. Auf welche Schwerpunkte sie Wert legt und was das mit Schwämmen zu tun hat, verrät sie im Interview.

Deutschland ist ein wasserreiches Land. Doch der Klimawandel sorgt immer häufiger für sehr heiße und trockene Sommer. Sie sind kaufmännische Geschäftsführerin der Stadtentwässerung Dresden GmbH und Prokuristin der Gelsenwasser AG. Wie sicher ist die Wasserversorgung Deutschlands?

Gunda Röstel: Prinzipiell gehört Deutschland zu den wasserreichen Ländern. Bürgerinnen und Bürger müssen sich keine Sorgen machen, dass es in den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten zu extremen Wasserknappheiten kommt. Allerdings beobachten wir im Zuge des Klimawandels Veränderungen der Niederschläge. Sie sind häufiger viel heftiger und lokal begrenzt. Dies und die ungebrochene Versiegelung der Flächen machen es schwer, dass Niederschlagswasser in den Böden absorbiert und in den Grundwasserreservoiren angereichert werden kann. Noch immer tun wir so als wären Böden ein nachwachsendes Gut.

Doch wo wir in unberührte Natur eingreifen, Moore trockenlegen und Wälder abholzen – beides wichtige Wasserspeicher – hat das starke Auswirkungen auf den Wasserhaushalt, die Biodiversität und natürlich auf den Klimawandel. Allein in Dresden hatten wir innerhalb von zehn Jahren drei Jahrhunderthochwasser – zuletzt dann die furchtbaren Ereignisse in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz mit einer bislang auch ungekannten Zahl von Todesopfern. Die Klimawandelfolgen sind in Deutschland angekommen.

Wie können die negativen Auswirkungen des Klimawandels auf den Wasserhaushalt eingedämmt werden?

„Klimaschutz first“ ist Pflichtaufgabe und das beste Rezept, teure Bewältigung der Folgen zu mindern und zu vermeiden. Weil der fortschreitende Klimawandel aber nicht wie ein Lichtschalter ausgeknipst werden kann, müssen wir auch gemeinsam an Strategien zur Anpassung an den Klimawandel arbeiten. Unter Federführung des Umweltministeriums hat die Bundesregierung die Nationale Wasserstrategie verabschiedet, in der sich eine ganze Reihe wichtiger Handlungsoptionen finden. Eine Priorität kommt dabei der Sicherung der Trinkwasserversorgung zu. Die kluge Steuerung von Nutzungskonkurrenzen, die Schaffung bundesweiter Datengrundlagen, die Anpassung der Infrastrukturen etwa über Schwammstadtkonzepte oder die Vermeidung von Schadstoffeinträgen sind nur einige der Ansätze.

Was genau ist eine „Schwammstadt“?

Heute sind Städte hoch versiegelt und Regenwasser wird meist nur in die Kanalisation abgeleitet. In einer Schwammstadt versickert das Wasser vor Ort, reichert Grundwasservorkommen an und wird in Regenbecken zwischengespeichert, sodass es während Hitzeperioden verdunsten und so für Abkühlung sorgen kann. Es funktioniert also ähnlich wie ein Schwamm, der Wasser aufnehmen kann, wenn viel davon da ist, und es wieder abgibt, wenn es benötigt wird.

Die heutige lineare Wirtschaftsweise zeichnet sich durch einen hohen Ressourcenverbrauch aus. In einer Stellungnahme von Oktober 2021 betont der RNE den wichtigen Hebel des zirkulären Wirtschaftens. In Deutschland ist der Begriff Kreislaufwirtschaft weit verbreitet. Gibt es da einen Unterschied?

Im Nachhaltigkeitsrat haben wir darüber diskutiert und uns schließlich für „zirkuläres Wirtschaften“ entschieden. Durch das Kreislaufwirtschaftsgesetz ist der Begriff „Kreislaufwirtschaft“ in Deutschland mit der Abfallbehandlung assoziiert. Mit „zirkulärem Wirtschaften“ wollen wir den Bogen aber über Abfallentsorgung und Recycling hinaus deutlich weiterspannen. Es geht darum, den absoluten Verbrauch der Ressourcen deutlich zu senken. 2020 haben wir das erste Mal dem globalen Ökosystem mehr als 100 Milliarden Tonnen Rohstoffe entnommen. Wenn wir das weiter zulassen, dann bräuchten wir 2050 drei Erden. Dieser Ressourcenhunger funktioniert angesichts der planetaren Grenzen nicht.

Zirkuläres Wirtschaften adressiert die vier „R“: reduce, reuse, repair, recycle. Neben der Absenkung des absoluten Ressourcenverbrauchs und eines effizienteren Umgangs mit Ressourcen, muss der Lebenszyklus von Produkten deutlich länger werden, Reparatur verpflichtend möglich sein und sich für Verbraucher*innen und Handwerksbetriebe rechnen. Es ist doch verrückt, dass wir uns eher neue Schuhe kaufen, als beschädigte reparieren zu lassen. Gleiches gilt für eine Vielzahl technischer Geräte vom Rechner bis zur Küchenmaschine. Am Ende des Lebenszyklus eines Produkts kommt es dann auf die Recyclingfähigkeit an. Dies hängt vom Design der Materialien ab und muss über Forschung und bahnbrechende Innovationen neu gedacht und entwickelt werden. Ergänzt um die Vermeidung von Schadstoffeinträgen lässt sich so der Kreis des zirkulären Wirtschaftens Stück für Stück schließen. Auf EU-Ebene tut sich hierzu mit dem Circular Economy Action Plan, dem Zero Pollution Action Plan, der aktuellen Revision der Chemikalien-Richtlinie REACH oder der Urban Waste Water Treatment Directive eine ganze Menge.

Welche Bedeutung hat zirkuläres Wirtschaften darüber hinaus?

Unsere heutige Art und Weise des linearen Verbrauchs von Ressourcen ist für einen Großteil der Biodiversitätsverluste verantwortlich und treibt auch den Klimawandel weiter an. Zirkuläres Wirtschaften ist deshalb nicht einfach nur irgendeine grüne Idee, sondern der Ast, auf dem wir sitzen. Zudem macht es unsere Wirtschaft resilienter gegenüber Engpässen und unabhängiger von Rohstoffimporten. Bisher konnten wir unseren Zugang zu kritischen Rohstoffen wie Seltenen Erden über den Markt sichern. Aber schon die Corona-Pandemie und noch brachialer Russlands Krieg gegen die Ukraine hat uns alle wachgerüttelt und uns bewusst gemacht, dass wir geopolitische Veränderungen unter Umständen künftig nicht mehr mit Geld aufholen können.

Die EU hat vor kurzem einen Entwurf für ein neues EU-Rohstoffgesetz vorgelegt, das zum Ziel hat, die für die grüne Energiewende benötigten Rohstoffe wie Lithium oder die schon erwähnten Seltenen Erden zu sichern. Der Bedarf an diesen Metallen wird auch langfristig nur zu einem Bruchteil über Recycling gedeckt werden können. Steht das nicht im Widerspruch zu einer zirkulären Wirtschaft?

Wir steuern heute eine der größten Transformationen, weg von fossilen Energieträgern zu Gunsten des Klimas. Das ist gut und unausweichlich. Wir steuern diese Transformation in die Klimaneutralität aber noch nicht verknüpft mit dem Einstieg in eine wirkliche zirkuläre Wirtschaft. Es kann nicht sein, dass wir E-Mobilität ohne Batterierecycling oder den vor allem demografiebedingt steigenden Medikamentenkonsum ohne die Erforschung umweltverträglicherer Grundstoffe hochfahren. Hier sind noch viele Fragen zu klären.

Zu bedenken ist auch, dass Unternehmen, die heute in die Transformation zu Gunsten des Klimaschutzes investieren, was viel von ihnen abverlangt, in fünfzehn Jahren sicher nicht die nächste Tiefentransformation bewältigen können. Wenn also Klimaschutz nicht mit zirkulärem Wirtschaften verknüpft wird, verschenken wir nicht nur eine gigantische Chance, sondern werden auch nicht die notwendigen Erfolge beim Schutz der Biodiversität erzielen.

Nach aktuellen Entwürfen der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der EU sollen Unternehmen auch zu ihrer Zirkularität berichten. Wie kann der RNE mit dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) Unternehmen bei den neuen Berichtspflichten unterstützen?

Nachhaltigkeitsberichterstattung ist ein ganz entscheidender Hebel, weil über Kapitalmärkte wesentliche Finanzströme für Investitionen gelenkt werden. Nachhaltigkeitsberichte liefern Anleger*innen notwendige Daten, um Investitionsentscheidungen in Richtung Nachhaltigkeit treffen zu können. Der RNE hat mit dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) seit 2012 ein tolles Instrument für eine einfache Nachhaltigkeitsberichterstattung entwickelt, welches wir an künftig steigende Berichtspflichten weiter anpassen wollen. Wir müssen die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft über die Industrie- und Handelskammern sowie die Handwerkskammern dabei vor allem zu Gunsten des Mittelstandes verstärken. Mit Branchenleitfäden zum DNK wollen wir helfen, die spezifischen Bedarfe in den Wirtschaftssektoren für eine erfolgversprechende Transformation voranzubringen. Dies, eine stetige Aktualisierung und neue Unterstützungsformate steigern dabei auch die Attraktivität des DNK weiter. Tausende mittelständische Unternehmen mit dem DNK auf Nachhaltigkeitskurs zu bringen, wären doch ein echter Gewinn.

Sie sind auch Vorsitzende des Hochschulrates der TU Dresden. Spielt zirkuläres Wirtschaften dort schon eine Rolle?

Ja, da ist die Exzellenzuniversität Dresden sehr gut aufgestellt. So forscht eine Gruppe an einer neuen Bauweise mit materialminimiertem Carbonbeton, was sowohl bei Neubauten als auch in der Bestandssanierung durch Einsparungen in der klimaintensiven Zementnutzung eine Emissionssenkung von bis zu 80 Prozent bedeuten würde.

Ein zweiter Bereich betrifft den Leichtbau, wo es etwa um die Materialien für Rotorblätter von Windkraftanlagen geht und wie man diese recyceln kann. Ein dritter befasst sich mit alternativen Grundstoffen für die Pharmaproduktion. Und dazu kommen lebendige Netzwerke aus Wirtschaft und Wissenschaft, sodass aus klugen Innovationen möglichst rasch Investitionen werden mit Chancen für Wertschöpfung und Arbeitsplätze.

Die Bundesregierung hat die Absicht, eine Kreislaufwirtschaftsstrategie zu erarbeiten. Wie sollte diese aus Ihrer Sicht gestaltet sein?

Die Bundesregierung sollte mit federführenden Wissenschaftler*innen und Vertreter*innen aus der Wirtschaft unter einer übergeordneten klaren und verlässlichen Zielstellung eigene, sektorbezogene Strategien entwickeln, um die vier großen „R” jeweils gut zu erfüllen. Zudem wünsche ich mir, dass dies auf der nationalen wie europäischen Ebene und am besten auch global parallel zur Klimatransformation und zum Biodiversitätsschutz eingeordnet wird. Klingt komplex und ist es auch. Doch ohne eine systemisch vernetzte Steuerung kann es nicht funktionieren.

Das neue Arbeitsprogramm des Rates wird noch erarbeitet. Im Februar wurden Sie zur stellvertretenden Ratsvorsitzenden gewählt: Auf welche Schwerpunkte legen Sie wert?

Ich freue mich zunächst auf die erste Klausurtagung dieser Mandatsperiode und auf meine beeindruckenden Ratskolleginnen und -kollegen. Neben den Themen Klimaschutz und Klimawandelanpassung in der Verknüpfung mit zirkulärer Wirtschaft und Biodiversität sollten wir auch einen stärkeren Schwerpunkt auf die soziale Säule setzen, weil wir das Ziel „leave no one behind“ ernst nehmen müssen. Und wenn dann die Regierung unseren Rat annimmt, dann hat sich diese ehrenamtliche Arbeit gelohnt.

Zur Person

Gunda Röstel, geboren 1962 in Hohenstein-Ernstthal, ist kaufmännische Geschäftsführerin der Stadtentwässerung Dresden GmbH und Prokuristin der Gelsenwasser AG. Seit Januar 2020 ist sie aktiv im Rat für Nachhaltige Entwicklung. In dieser Zeit arbeitete sie unter anderem am Positionspapier Klimaneutralität und an der Stellungnahme des Rates zum Zirkulären Wirtschaften. Mitte Februar 2023 wurde sie zur stellvertretenden Vorsitzenden des RNE gewählt.

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