Zur Arbeit chauffiert werden mit On-Demand-Mobilität

Die Stadt Bonn testet eine App, mit der Mitarbeitende Fahrgemeinschaften bilden können. Katja Dörner, Bonner Oberbürgermeisterin und RNE-Mitglied, will „alle Möglichkeiten nutzen, die eine Alternative zum eigenen Auto bieten.“ Auch in anderen Städten und Gemeinden werden neue Mobilitätsangebote ausprobiert – sie können vor allem auf dem Land eine Chance für nachhaltigeren Verkehr sein.

Die moderne Verkehrswelt beginnt in Bonn und Umgebung schon morgens auf dem Weg zur Arbeit. Während sich andernorts viele ohne groß nachzudenken hinters Steuer setzen, um ins Büro, die Fabrik, zum Job zu fahren, können Mitarbeitende der Stadtverwaltung in der Bundesstadt über die App „goFlux“ eine Fahrgemeinschaft in Anspruch nehmen – oder auch anbieten. Das soll die Zahl der Autos und der Staus in der Stadt mindern, Parkplätze spart es auch.

„Carpooling ist neben dem dringend erforderlichen Ausbau der Fahrradinfrastruktur und des ÖPNV ein weiterer Baustein, um den Verkehr auf der Straße zu entlasten – und auch die Menschen, die es nutzen,“ erklärt Oberbürgermeisterin Katja Dörner. Sie ist Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung, RNE. Dörner gehört zu 21 Oberbürgermeister*innen, die seit langem fordern, der Mobilitätswende bundesweit mehr Priorität einzuräumen.

Sprit sparen, Kosten senken

Die per App abgesprochene Fahrgemeinschaft soll nun das Angebot an Bussen und Bahnen ergänzen – in Bonn und im Umland. Kann das ein Durchbruch sein, ein Modell auch für andere? Dörner sagt: „Das bisherige Feedback der Mitarbeitenden ist ausnahmslos gut.“ Es ist das alte Prinzip Mitfahrzentrale, nur digitaler und bequemer. Es geht auch darum, Sprit zu sparen – und damit Kosten.

Wo wohne ich? Wo arbeite ich? Wann will ich fahren? Wer sich registriert, gibt die entscheidenden Daten ein. Wer mag, kann hinzufügen, nur mit Kolleginnen und Kollegen des eigenen Unternehmens oder zum Beispiel nur mit Frauen zusammen fahren zu wollen. Automatisch werden dann Fahrgemeinschaften vorgeschlagen, auch Treffpunkte. Was passt, lässt sich in der von einem Kölner Start-Up entwickelten App buchen.

Wer fährt, bekommt von allen anderen jeweils 30 Cent pro Kilometer bei einer Strecke, die nicht länger als 7 Kilometer ist. Sind es zwischen 7 und 20 Kilometer erhält man pauschal von allen Mitfahrenden jeweils 2 Euro. Ab dem 21. Kilometer kommen zusätzlich 0,10 Cent pro mitgenommenem Kilometer dazu. Wer das Jobticket der Stadtverwaltung Bonn hat, fährt derzeit umsonst mit. Es ist eine Pilotphase. Sie läuft bis Ende Juli. Grundsätzlich kann die App aber auch jede und jeder einfach so nutzen. „Stell Dir vor, Dir steht immer Deine passende und nachhaltige Mobilitätslösung zur Verfügung.“ – das ist der Werbespruch des Unternehmens. Immer? Überall?

Arbeitswege heute länger

Zwei Drittel der Berufstätigen fahren laut Statistischem Bundesamt mit dem Auto zur Arbeit. Die Wege wurden über die Jahre immer länger: Die mittleren Distanzen im Berufsverkehr haben sich seit 1976 fast verdoppelt, von gut 8 auf 16 Kilometer. Das hat die Denkfabrik Agora Verkehrswende erst vor kurzem vorgerechnet. Der Bestand an Autos in Deutschland bricht seit Jahren Rekord für Rekord, derzeit sind es 48,76 Millionen.

Der Nachholbedarf für Alternativen: groß. Erprobt werden derzeit viele den ÖPNV ergänzende Angebote. Mit den Bonner Fluxern ist ihnen gemein: Feste Fahrpläne gibt es nicht, Abfahrt nahe der Haustür, per Fingerzeig auf dem Smartphone oder auch per Telefon buchbar, der Tarif billiger als ein Taxi.

Der VW-Konzern experimentiert mit diesen Verkehren On-demand, auf Bestellung, schon länger in und um Hamburg und Hannover: Dort fahren Elektro-Vans, die „Shuttle-Busse“. Die Münchener Verkehrsgesellschaft MVG lässt in der bayerischen Landeshauptstadt die „Isar-Tiger“ rollen. Im Süden Münsters kann der Taxibus Loop per App angefragt werden. Und in dünn besiedelten Gebieten? Kann sich das überhaupt rechnen?

Chance auf dem Land

Jan Korte ist als wissenschaftlicher Referent beim Rat für Nachhaltige Entwicklung zuständig für Mobilitätsfragen. Er sagt: „Die Potenziale sind vor allem dort, im ländlichen Raum, sehr groß.“ Längst sei auch dort schon einiges in Bewegung. In den Landkreisen Günzburg und Unterallgäu fahre zum Beispiel in Ergänzung zum Linienverkehr der Flexibus.

Eine Umfrage des Branchenverbands der Verkehrsunternehmen (VDV) zeigte erst Mitte 2022: 47 Prozent aller On-Demand-Verkehre sind im ländlichen Raum und Kleinstädten unterwegs, 26 Prozent in Mittel- und Oberzentren, 14 Prozent im suburbanen und 13 Prozent im urbanen Raum. Da kommt etwas in Bewegung. „Anfang 2019 hatten wir nur eine Handvoll Rufbus-Angebote in Deutschland, eine klassische Nische. Derzeit haben wir mehr als 80 On-Demand-Projekte im Land, die öffentliche Mobilität dorthin bringen, wo bisher oft keine war“, erklärt VDV-Vizepräsident Werner Overkamp.

Nur: Das seien bisher oft Pilotprojekte. Wer die Angebote ausbauen und langfristig sichern wolle, müsse bis zum Jahr 2030 zusätzliche öffentliche Mittel in Höhe von 3,8 Milliarden Euro pro Jahr zur Verfügung stellen. „Das ist aber gut investiertes Geld“, sagt Experte Korte. Er meint: „Wenn ich ein verlässliches Angebot habe, das mit einer App bequem zu ÖPNV-Preisen zu buchen ist, kann das eine Einladung sein, auf das Auto zu verzichten.“ Außerdem könne so Mobilität auch für jene gesichert werden, die wie Jugendliche und viele Ältere kein Auto haben. Über sie werde bisher viel zu selten gesprochen.

Staatliche Zuschüsse in Frankreich

In der Mobilitätswelt von morgen soll niemand mehr abhängig sein vom eigenen Auto. Frankreich versucht darum jetzt Autofahrende mit staatlich Zuschüssen in Fahrgemeinschaften zu bekommen. In den USA gibt es mancherorts Carpool-Spuren. Darauf dürfen nur Fahrzeuge fahren, in denen mindestens zwei, manchmal auch drei Personen sitzen.

Von den Mitarbeitenden der Stadt Bonn haben sich seit Anfang Februar dieses Jahres 120 von insgesamt rund 7.000 Kolleginnen und Kollegen, also circa 2 Prozent der Belegschaft, bei GoFlux angemeldet und in den ersten drei Monaten 300 Fahrten organisiert. „Die Stadt Bonn will bis 2035 klimaneutral werden“, sagt Katja Dörner, „wir müssen schnell viele Emissionen einsparen. Im Verkehrsbereich bedeutet das mehrgleisig fahren und alle Möglichkeiten nutzen, die eine Alternative zum eigenen Auto bieten.“

Die Agora Verkehrswende hat einen Leitfaden entwickelt, wie Kommunen mit flexiblen Kleinbussen den ÖPNV von morgen gestalten können, Titel: „Mobilitätsoffensive für das Land“.

 

Update der Redaktion: goFLUX versteht sich nicht als On Demand Service. On Demand bedeutet in der Regel, dass Fahrzeuge zusätzlich eingesetzt werden, um Personen von A nach B zu transportieren. GoFlux nutzt hingegen Ressourcen des ohnehin täglichen Pendelverkehrs und digitalisiert die freien Plätze in privaten PKW. Im Rahmen der Jahreskonferenz „SWB Mitfahren“ in Bonn haben die Stadtwerke Bonn als ÖPNV-Versorger, goFLUX Mobility und beteiligte Partner*innen im Herbst 2023 eine positive Bilanz gezogen. Mehr als 11.000 mal ist das gemeinsame Angebot zu Fahrgemeinschaften und kombinierten Fahrten mit Bus und Bahn seit August 2022 genutzt worden. Außerdem wurde GoFlux im Herbst 2023 im Projekt Nachhaltigkeit in der Kategorie Zukunft ausgezeichnet. Für mehr Neuigkeiten lesen Sie hier das Interview mit Lisa Schultheis, Head of Communications bei goFLUX Mobility GmbH.