Was tun gegen die Plastikflut?

Es gibt Wege, um die Umwelt von Kunststoffen zu entlasten. Sie reichen über Normierungen bis hin zu Verboten bestimmter Produkte. Darüber diskutierten vier Expertinnen und Experten auf der Jahreskonferenz des RNE. Teile des Publikums forderten radikaleres Umsteuern.

Das Thema Plastik in der Umwelt wird mittlerweile sehr emotional diskutiert, was auch auf der Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE) zu spüren war: Da diskutierten Expertinnen und Experten Ideen, wie weniger Kunststoffe in die Natur gelangen. Teile des Publikums monierten am Ende, dass zu wenig davon gesprochen würde, generell weniger Verpackungen zu produzieren.

Derzeit tut sich beim Thema Müllvermeidung einiges: Am 1. Januar 2019 ist in Deutschland ein neues Verpackungsgesetz in Kraft getreten. Es schreibt vor, dass ab 2019 58,5 Prozent, ab 2022 63 Prozent der Kunststoffverpackungsabfälle aus privaten Haushalten recycelt werden müssen. Derzeit liegt die Quote bei nur 36 Prozent. Die EU wiederum schreibt vor, dass ab 2025 zehn Millionen Tonnen Kunststoffrezyklate in neuen Produkten eingesetzt werden müssen, eine Verdreifachung des heutigen Wertes auf dann rund 20 Prozent. Das erfordert auch ein neues Design von Plastikverpackungen – die Recyclingfähigkeit muss dann gleich mitgedacht werden.

Entsprechend diskutierte das Podium, was getan werden muss, um die neuen Regeln umzusetzen – und ob das überhaupt ausreicht für eine echte Plastikwende. Vertreten waren Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft: Katharina Istel, Plastikexpertin vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu), Helge Wendenburg, Vorsitzender im Normenausschuss Grundlagen des Umweltschutzes, Klaus Wittstock, BASF SE und Mitglied im Vorstand von PlasticsEurope Deutschland sowie Wolf Junker, Referatsleiter Ressourcen, Kreislaufwirtschaft, Geoforschung im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).

Normierung

Eines der großen Probleme des Recyclings ist, dass sich die vielen Arten von Kunststoffen in den Sortieranlagen der Recyclingunternehmen nicht sauber trennen lassen. Deshalb sind Rezyklate, also die gewaschenen und zu Granulaten aufgearbeiteten Verpackungen, nur bis zu einem bestimmten Grad sortenrein. Sie werden zu Möbeln oder Säcken für Gartenabfälle verarbeitet, kommen aber für viele Anwendungen, vor allem in Verbindung mit Lebensmitteln, nicht mehr in Frage.

Ausnahmen bilden hier PET-Flaschen, die bereits vom Handel getrennt gesammelt werden – aus Ihnen können sogar wieder Flaschen im Lebensmittelbereich hergestellt werden. Seit Mai diesen Jahres führt etwa Lidl eine Wasserflasche aus komplett recycelten PET-Flaschen. Doch noch ist das eher die Ausnahme. „Ein großes Hindernis ist, dass es keine Normen für Rezyklate gibt. Momentan verhandelt jeder Aufbereiter einzeln mit der Industrie“, sagt Wendenburg. Derzeit arbeitet ein Normenausschuss an einer Standardisierung. „Für Anwender wäre es sinnvoll, eine DIN-Norm zu haben. Die könnte zu einem Markt führen, bei dem sich die Industrie sicher sein kann, Recycling-Stoffe einheitlicher Qualität zu bekommen“, sagt BASF-Mann Wittstock. Sein Verband PlasticsEurope arbeite an dieser Standardisierung mit.

Chemisches Recycling

Ein weiteres Problem des Recyclings ließe sich damit aber nicht lösen: „Wir müssen in den Bereich Lebensmittelkontaktzulassung. Außer für PET-Flaschen ist das kaum möglich, weil Verschmutzungen beim heute üblichen mechanischen Recycling durchgeschleppt werden“, sagt Wittstock. Er glaubt, hier könne nur chemisches Recycling helfen, bei dem verschiedenste Sorten Plastik durch starkes Erhitzen wieder in chemische Grundbestandteile zerlegt wird, aus dem sich wieder alle Kunststoffsorten herstellen lassen.

Doch da gibt es auch Widerspruch: „Das Verfahren erfordert einen großen Energieaufwand und trägt ökologisch kaum“, sagt Istel vom Nabu. Wendenburg glaubt, in 10 bis 15 Jahren könnte das Verfahren funktionieren, sagt aber auch, der Energieaufwand sei „wahnsinnig hoch“. Deshalb müsse man bei jeder Anwendung von Plastik differenzieren. Sinnvoll könnte es für die hauchdünnen Folien von Fleischverpackungen sein, die nachweislich zu weniger Lebensmittelverschwendung führten, weil sie das Fleisch länger haltbar machten. Diese Kunststoffe lassen sich nur durch chemisches Recycling wiederverwerten.

Plastikverbote helfen nicht immer

„Plastik hat auch gute Eigenschaften. Es isoliert, auch Elektrizität, und lässt sich leicht formen und verarbeiten“, sagt Junker vom Bundesforschungsministerium. Schlimm sei allerdings Einwegplastik und die nicht materialgerechte Entsorgung. Bei dem Punkt waren sich alle Diskutierenden einig: Eine generelle Verteufelung von Plastik bringe nichts. Auch Istel vom Nabu sagte, Kunststoff sei nicht per se ein schlechter Rohstoff – und das Abfallentsorgungssystem in Deutschland funktioniere im Prinzip gut. Hierzulande kämen 1.500 Tonnen Plastik durch achtloses Wegwerfen in die Landschaft, aber eben 200.000 Tonnen ganz legal – als Zusatzstoff zu Düngemitteln, Abrieb aus Kleidung oder Reifen.

Vor allem müsse man darauf achten, durch was Plastik ersetzt werde, sagte Istel: So sei es ein großer Erfolg, dass der Verbrauch von Plastiktüten in Deutschland stark zurückgegangen sei. Aber bis heute gebe es keine Zahlen dazu, wie stark dadurch der Absatz von Papiertüten angestiegen sei – die seien nämlich nicht unbedingt umweltfreundlicher. Wendenburg betonte, Verpackungen aus Papier, Metall oder Glas hätten eine teilweise deutlich schlechtere Energiebilanz als solche aus Kunststoff. Wichtig sei deshalb, noch mehr Anwendungen zu verbieten, bei denen Verpackungen nur einmal genutzt werden. Die EU verbietet zwar demnächst Einweg-Plastikgeschirr, Einwegbecher allerdings nicht, da müsse man nachbessern.

Forschung: Das Projekt Marek

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat den Forschungsschwerpunkt „Plastik in der Umwelt – Quellen • Senken • Lösungsansätze“ aufgelegt und fördert im Zeitraum 2017 bis 2022 insgesamt 20 Verbundprojekte mit mehr als 100 beteiligten Institutionen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Behörden und Zivilgesellschaft. Anfang Juni veröffentlichte das Umweltbundesamt (UBA) einen Bericht, der eine ganze Reihe konkreter Gegenmaßnahmen enthält: So könne durch eine Revision der EU-Trinkwasserverordnung, die gerade ohnehin anstehe, das Problem von Kunststoffen in Kontakt mit Trinkwasser angegangen werden. Reifenabrieb, eine der größten Quellen von Plastik in der Umwelt, könne durch technische Neuerungen vermindert werden.

Auch beim Recycling fehlt es noch an technologischen Lösungen. „Bisher ist Sortierung viel Handarbeit. Da muss teilweise manuell der Deckel vom Joghurtbecher abgenommen werden“, sagt Junker. Woran derzeit gearbeitet wird: Kunststoffe könnten mit fluoreszierenden Markern versehen werden, die etwa direkt in den Stoff gemischt werden oder mit aufgedruckt werde. Sortieranlagen könnten die Sorten dann automatisch erkennen und so wesentlich besser trennen. Drei Industrieunternehmen und zwei Forschungspartner arbeiten derzeit an dem „Marek“ genannten Projekt.

Preise und Mehrweg

Hilft es, Plastik zu verteuern, um die Endverbraucherinnen und -verbraucher zum Verzicht zu animieren? „Wenn Verbraucher davon überzeugt sind, dass etwas gut ist, dann kann man sie über monetäre Anreize erreichen“, sagt Junker. Das oft genannte Beispiel Plastiktüten in Supermärkten ließe sich durchaus auch auf andere Bereiche übertragen, glaubten die Diskutanten. Im Lebensmittelbereich müsse man darüber nachdenken, wie Plastikverpackungen mehrfach genutzt werden könnten, meint Wendenburg. Istel machte auf weitere, große Baustellen aufmerksam: Die Flut an nur einmal verwendeten Kartons, die der Internet-Versandhandel brachte, müsse dringend durch Pfandsysteme mit Mehrfachnutzung eingedämmt werden. Denn am Ende, darüber waren sich alle einig, ist die schlechteste Verpackung diejenige, die nur einmal genutzt wird.