Was Berlin in Sachen nachhaltiger Beschaffung unternimmt

Seit Januar gilt in Berlin die nach eigenen Angaben bundesweit schärfste Verwaltungsvorschrift für Beschaffung und Umwelt. Thomas Schwilling vom zuständigen Fachbereich hat die Entwicklung begleitet und weiß um ihre Wirkung – und die Hürden. Ein Interview.

Herr Schwilling, Sie sind zusammen mit Ihrer Kollegin Petra Schossig-Sternbeck bei der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz unter anderem für den Fachbereich umweltverträgliche Beschaffung zuständig. Wie kam es zu der Verschärfung der Verwaltungsvorschrift?

Thomas Schwilling: Das hat eine lange Vorgeschichte. Bereits im Jahr 2010 haben wir die Aufgabe bekommen, zusätzlich zu unseren eigentlichen Tätigkeiten im Bereich Abfallwirtschaft eine Verwaltungsvorschrift „Beschaffung und Umwelt“ zu entwickeln. Sie sollte den verschiedenen Beschaffungsstellen hier im Land Berlin eine ganz praktische Handhabe geben – also auch mit Blick darauf, wie diese Verwaltungsvorschrift konkret umgesetzt werden kann.

Vor 2010 hat das Thema gar nicht zu ihrem Aufgabenbereich gehört?

Richtig, weil umweltverträgliche Beschaffung in Berlin zuvor nicht reguliert war. Damals wurde das Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz novelliert. Darin wurden erstmals, auch auf unsere Anregung hin, die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen, durch die Vorgabe, dass bei allen Beschaffungsvorgängen ökologische Kriterien zu berücksichtigen sind. Nur war das nicht präzisiert und musste daher durch eine Verwaltungsvorschrift konkretisiert und um praktische Handlungsanweisungen ergänzt werden. Sonst hätte sich jede Beschaffungsstelle eigenständig überlegen müssen, welche ökologischen Kriterien sie anwendet und wie sie die Bewertung vornimmt. Das kann eine Beschaffungsstelle nicht leisten. Diese Verwaltungsvorschrift wurde im Januar zum zweiten Mal aktualisiert und verschärft.

Bekommen Sie viel Gegenwind?

Wenig. Wir haben inzwischen überall – von den Dienstleistungen bis zu den Baumaßnahmen – ökologische Anforderungen festgelegt. Von der Wirtschaft wurde das unterstützt. Und andere Bundesländer und insbesondere der Bund haben mittlerweile viele Anforderungen aus unserer Verwaltungsvorschrift übernommen und selbst verpflichtend eingeführt.

Keine Bedenken, dass das alles zu teuer werden würde?

Doch, diese Bedenken kennen wir, explizit von der Senatsverwaltung für Finanzen. Daraufhin hatten wir eine Studie zusammen mit dem Ökoinstitut durchgeführt: Wir haben anhand von 15 relevanten Produkten und Dienstleistungen eine Untersuchung gemacht und die herkömmliche Beschaffung mit der umweltverträglichen verglichen. Das Ergebnis: Durch eine umweltverträgliche Beschaffung könnten fast 50 Prozent schädliche Klimagase eingespart werden. Das entspricht allein im Land Berlin 355.000 Tonnen CO2-Äquivalenten. Und das Erfreuliche: In der Lebenszyklus-Betrachtung können auch die Kosten insgesamt über alle 15 relevanten Produkte im Schnitt um vier Prozent gesenkt werden. Das sind für die Hauptstadt 40 Millionen Euro pro Jahr. Dadurch konnten wir auch die Senatsfinanzverwaltung von ihrer starren Haltung abbringen und davon überzeugen, dass umweltverträgliche Beschaffung auch ein Instrument nachhaltiger Haushaltswirtschaft ist.

Wie hoch ist der zusätzliche personelle Aufwand?

Auch dazu gibt es immer wieder kritische Nachfragen. Das Problem: Wir haben in Berlin leider keine zentrale, sondern eine dezentrale Beschaffung. Jedes Bezirksamt, jede Senatsverwaltung ist eigenständig für die Beschaffung seiner oder ihrer Produkte verantwortlich – das sind 2000 Beschaffungsstellen. Und gerade einige der kleineren sind mit den zusätzlichen Anforderungen etwas überfordert. Das ist auf jeden Fall ein strukturelles Defizit im Land Berlin.

Wie gehen Sie damit in der Praxis um?

Wir gehen raus und schulen die Verantwortlichen. Seit Januar ist nun die fortgeschrittene, noch ambitioniertere Verwaltungsvorschrift vom Senat beschlossen. Und statt die Ämter zu uns einzuladen und die Mitarbeiter bei uns im Haus zu schulen, gehen wir überall hin und führen vor Ort Ganztags-Schulungen durch. So haben wir einen Raum voll mit 30 Leuten, nicht nur ein, zwei Mitarbeiter, die sich die Zeit nehmen können, zu uns zu kommen. Auf diese Weise können wir die Informationen breit streuen.

Sie machen 2000 Schulungen?

Nein, das nicht. Aber wir gehen zu den Bezirksämtern, zu den Senatsverwaltungen und zum Berliner Immobilienmanagement. Letzteres ist besonders wichtig, da die Vorschriften beim Thema Bauen und Gebäude ja ganz neu sind. Und bundesweit vorbildhaft: ökologische Kriterien für alle größeren Gebäude, die jetzt errichtet werden. Sie müssen nach dem Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen gebaut werden und bestimmte ökologische Kriterien erfüllen – etwa muss vor Baubeginn ein Recycling-Konzept vorgelegt werden, es dürfen keine halogenhaltigen Kältemittel bei Klimaanlagen eingesetzt werden und einiges mehr. Das wollen wir in nächster Zeit noch weiter ausbauen und optimieren – wir sehen da großen Bedarf angesichts der Bau-Offensive des Landes.

Was raten Sie Kolleginnen und Kollegen, die erste Schritte in Sachen nachhaltiger Beschaffung gehen wollen?

Starten Sie klein! Mit einem Produkt, das einfach und problemlos umgesetzt werden kann. Setzen Sie zum Beispiel bei der Druckerpapierbeschaffung auf Recyclingpapier. Wenn man zu viel auf einmal will, führt das zu Widerstand und zu Frustration. Aber man muss halt auch wissen: Es macht natürlich Arbeit, etwas zu ändern.

Wenn Sie Vorreiter sind, können Sie sich ja nicht an Vorbildern orientieren. Wie arbeiten Sie?

Wir schauen ganz praktisch: Wo sind große, relevante Produkte, die in großen Massen beschafft werden? Dann beobachten wir, wie das derzeit herkömmlich läuft, ohne ökologische Kriterien. Anschließend erarbeiten wir eine ökologische Optimierung, die wir meistens in einem Pilotprojekt oder einer Untersuchung testen, um die möglichen Ergebnisse zu überprüfen. Und dann schreiben wir produktspezifische Leistungsblätter, die wir über Senatsbeschluss verbindlich an die zuständigen Stellen weitergeben.