Startschuss für Nachhaltigkeitskodex für Hochschulen

Universitäten und Fachhochschulen wollen sich verstärkt dem Thema Nachhaltigkeit widmen und über ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten berichten. Die Nachfrage nach einem Nachhaltigkeitsstandard für Hochschulen ist hoch.

Drei Jahre lang tüftelten mehr als 50 Vertreter aus Hochschulen und Wissenschaft, der Nachhaltigkeitsrat und das Projekt „Nachhaltigkeit an Hochschulen (HOCH-N): entwickeln – vernetzen – berichten“ an den Kriterien für einen hochschulspezifischen Nachhaltigkeitskodex, kurz Hochschul-DNK. Der Hochschul-DNK basiert auf dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) des Rates für Nachhaltige Entwicklung.

In diesem Sommer geht er nun an den Start. Mehr als 40 Hochschulen aus dem ganzen Bundesgebiet, rund 10 Prozent aller deutscher Hochschulen, sind zur Präsentation des hochschulspezifischen Nachhaltigkeitskodex nach Berlin gekommen.
Die Veranstaltung fand in Kooperation mit dem Verbundprojekt HOCH-N statt. Das vom Bildungs- und Forschungsministerium finanzierte Projekt hat zum Ziel Nachhaltigkeit in allen Bereichen der Hochschule strukturell zu verankern.

„Sie sind Pioniere“, sagte Marlehn Thieme, die Vorsitzende des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE), bei der Vorstellung des Hochschul-DNK in Berlin. „Sie setzen ein Zeichen für das Engagement und den Einsatz für die Nachhaltigkeitsberichterstattung.“
„Die globale Agenda 2030 fordert alle auf, einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung zu leisten. Immer mehr Organisationen setzen auf Nachhaltigkeit, indem sie ein eigenes Nachhaltigkeitsmanagement einführen, berichten, sich für verlässliche Rahmenbedingungen für nachhaltiges Wirtschaften einsetzen oder zu Nachhaltigkeit forschen oder dazu lehren“, sagt Thieme. Der RNE-Vorsitzenden zufolge haben genau an dieser Stelle die Hochschulen eine besondere Rolle inne. Denn sie prägen die Ausbildung künftiger Entscheider. „Die Hochschulen sind Gestalter“, sagt Thieme.

Großes Interesse an den Hochschulen

Auch Florian Frank, Leiter des Referats für Grundsatzfragen Nachhaltigkeit, Klima und Energie im Bundesbildungsministerium, sieht das Thema in der „Mitte der Gesellschaft“ angekommen. „Nachhaltigkeit darf nicht nur gedacht werden, sondern sie muss auch vorgelebt werden“, sagt Frank. Bildung und Forschung müssten bei diesem Thema zusammen gedacht werden. Sie seien der Motor für die Transformation. Laut Frank hätten Wissenschaftler früh Interesse für das Thema Nachhaltigkeit an den Hochschulen signalisiert. Widerstand kam vor allem aus den Hochschulleitungen. Dies hätte sich aber stark geändert.

Jetta Frost, Vizepräsidentin der Universität Hamburg, zählt genau zu den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, die Nachhaltigkeitskriterien an den Hochschulen vorantreiben wollen. Seit 2011 gibt es an ihrer Hochschule ein sogenanntes Kompetenzzentrum Nachhaltige Universität.

Ihr Ansatz: Das Thema Nachhaltigkeit durchzieht Forschung, Lehre, Verwaltung, einfach alle Entscheidungen, die an der Hochschule gefällt werden. Dass dieser Anspruch etliche Herausforderungen mit sich bringt, daraus macht Frost keinen Hehl. „Es gibt Zielkonflikte zwischen den einzelnen Nachhaltigkeitsaspekten“, sagt Frost. Sie rät dazu, „mit vielen Landkarten zu reisen“. Das Bild der Landkarte steht für die vielfältigen Aspekte der Nachhaltigkeit und die unterschiedlichen Möglichkeiten, Nachhaltigkeitskriterien zu erfüllen. „Nachhaltigkeit bezieht sich auf Innovation und nicht auf den Begriff bewahrend“, sagt Frost.

Hochschul-DNK: erster Berichtsstandard für Deutschland

Für Alexander Bassen, Leiter des Projektes HOCH-N und Hauptinitiator des Hochschul-DNK, ist der Kodex eine Möglichkeit, um „voneinander zu lernen“, wie und wo Nachhaltigkeitskriterien greifen, funktionieren oder auch auf Hindernisse stoßen können. Ihm geht es um einen niederschwelligen Einstieg in das Thema an den Hochschulen. In erster Linie soll Verständnis für Nachhaltigkeitsaspekte geweckt werden. Konkret sollen Fragen gestellt werden etwa zum Thema Umwelt- und Klimaschutz, wie der Campus nachhaltig gestaltet wird oder welchen Stellenwert das Thema Menschenrechte im Hochschulalltag bekommt.

Gemeinsam mit Bassen haben Gerhard de Haan und André Niemann den Hochschul-DNK weiterentwickelt. „Der Hochschul-DNK ist der erste Berichtsstandard dieser Art für Deutschland“, sagt de Haan, der seit über 20 Jahren in der Bildungsforschung aktiv ist. Wer sich beteiligt, legt seine Nachhaltigkeitsleistungen offen und erklärt, wie er sie erfüllt oder auch nicht. 20 Kriterien haben die Wissenschaftler gemeinsam mit einem Expertenkreis auf Basis des DNK für die Hochschulen angepasst. Eine Betaversion stand bereits 2016. Im April dieses Jahres hat der Nachhaltigkeitsrat die von HOCH-N finalisierte Variante beschlossen. In den kommenden Monaten veröffentlicht HOCH-N zudem einen Leitfaden zum Hochschul-DNK.

Für André Niemann professionalisiert der Hochschul-DNK die Nachhaltigkeitsberichterstattung. Er setze eine Art gemeinsame Agenda, auf deren Basis Entscheidungen in allen Bereichen der Hochschulen gefällt werden, sagt der Professor für nachhaltiges Wassermanagement an der Universität Duisburg-Essen. Der nachhaltige Einkauf von Materialien, die Entscheidung für mehr Klimaschutz, die Einbeziehung sozialer Fragen wird gleichwertig von allen Entscheidern behandelt.
Auch er setzt auf einen „niederschwelligen“ Ansatz mit klaren Aufgabenstellungen und Verantwortlichkeiten. Ideen zum Klimaschutz oder das Thema Menschenrechte im Hochschulbereich bedürfen den Initiatoren zufolge nicht komplexer Konzepte, sondern unterschiedlichster Ideen, die von allen Akteuren umgesetzt werden können. Die Entwickler hoffen nun auf viele neue Entsprechenserklärungen zum Hochschul-DNK und damit weitere Mitstreiter und Unterstützer in der deutschen Hochschullandschaft.

Erstanwender schätzen differenzierten Ansatz

Der Nachhaltigkeitsbeauftragte am Umwelt-Campus Birkenfeld der Hochschule Trier, Klaus Helling, hat den Prozess zur Entwicklung des Hochschul-DNK von Beginn an mitgestaltet. „In der aktuellen Form bietet der Hochschul-DNK einen guten Einstieg für die Auseinandersetzung von Hochschulen mit der Frage, wie sie zur nachhaltigen Entwicklung beitragen können“, sagt Helling. Seit 2011 veröffentlicht die Hochschule regelmäßig Nachhaltigkeitsberichte und wird 2018 auch erstmals eine Entsprechenserklärung zum Hochschul-DNK abgeben.

Auch die Freie Universität Berlin gehört zu den Erstanwendern des Hochschul-DNK. Andreas Wanke, der den Hochschul-DNK an der Universität vorgeschlagen und die Nachhaltigkeitsberichterstattung vorangetrieben hat, spricht von einer pragmatischen Vorgehensweise bei der Umsetzung. „Wir haben berichtet, was wir getan haben, aber auch jene Aspekte erwähnt, denen wir uns verstärkt widmen wollen“, sagt Wanke. Dazu zählt etwa der Bereich Mobilität auf dem Campus, für das ein entsprechendes Konzept entwickelt werden soll.

Auch in der Lehre soll ein besonderes Augenmerk auf Nachhaltigkeit gelegt werden. „Der Hochschul-DNK konzentriert sich auf Wesentliches, spricht eine universitäre Sprache und macht deutlich, dass er alle Bereiche der Universität – Forschung, Lehre, Transfer und Campus – mit einschließt“, sagt Wanke. Aber er macht auch deutlich: Mit dem Instrument der Nachhaltigkeitsberichterstattung allein sei es nicht getan. Man müsse ausreichend Strukturen und Ressourcen an den Hochschulen schaffen, damit das Thema Nachhaltigkeit in allen Bereichen greift.