„Parken darf keine Selbstverständlichkeit mehr sein“

Zehn Euro Parkgebühren am Tag, 50 Autos für 1000 Einwohner, Nutzen statt Besitzen – der Mobilitätsforscher Prof. Dr. Andreas Knie erklärt, wie der Verkehr der Zukunft aussehen kann.

Herr Knie, vor zehn Jahren waren in Deutschland 41 Millionen Autos zugelassen, heute sind es 47 Millionen. Warum fällt den Deutschen der Abschied vom eigenen Wagen so schwer?

Prof. Dr. Andreas Knie: Weil das ein Routinegegenstand ist, wir sind damit groß geworden, nutzen es täglich, wir können uns einen Alltag ohne eigenen Wagen nicht vorstellen.

Geht es nur um Routine?

In den 50er, 60er oder 70er Jahren waren Autos knapp und wurden gehegt und gepflegt. Das war damals eine libidinöse Beziehung, das Auto eine Ikone der Moderne. Heute ist es aber nichts anders als Gas, Wasser, Strom – eine Commodity, also ein Gebrauchsgegenstand. Wir sehen eine Säkularisierung des Autos.

Das hat aber bisher nichts an der Zahl der Pkw geändert – werden selbstfahrende Autos den Trend umkehren?

Es gibt verschiedene Stufen des autonomen Fahrens. Es gibt Fahrzeuge, in denen gibt der Mensch die Kontrolle zwar an die Maschine ab, kann sie sich aber immer wieder vom System zurückholen. Dann wird das Auto womöglich erst recht attraktiv.

Der Verkehr nimmt zu?

Ja, weil ich dann schreiben, lesen, telefonieren kann und der letzte Grund entfällt, statt des Autos die Bahn zu nehmen. Anders ist das beim vollständig autonomen Roboterauto, in dem es nur noch Passagiere gibt. Die werden dann kein Auto mehr selbst besitzen, sondern nur noch einen Knopf drücken. Dann kommt ein Vehikel – und fährt sie wohin sie wollen. Das Verhältnis zum Auto bleibt anonym. Studien zeigen, dass die Zahl der Autos von derzeit 550 pro 1000 Einwohner innerhalb von 20 Jahren auf 50 fallen kann.

Wo werden sich die Roboterautos durchsetzen – auf dem Land oder in der Stadt?

Dort, wo weniger los ist, also in den ländlichen Gebieten, werden sie zuerst kommen. In der Stadt, im dichten Verkehr mit vielen Fußgängern, Radfahrern, der ganzen Komplexität von Leben, sind die Gefahren und damit die Anforderungen an die Computersysteme besonders groß.

Was wird aus Paketlastern, die heute Städte verstopfen?

Den Paketboten, der das im Internet bestellte Paar Schuhe die Treppen hoch schleppt, wird es in etwa drei bis fünf Jahren nicht mehr geben.

Stattdessen liefert die Drohne?

Sicher werden künftig Lieferdrohnen eingesetzt, aber vor allem werden die Kunden die bestellten Sachen an zentralen Punkten abholen, wo man sowieso vorbeikommt, etwa an einer Haltestelle oder einem Warenhaus. Das ist im Interesse der Lieferfirmen selbst, weil die letzte Meile in der Transportlogistik 80 Prozent der Kosten ausmacht.

Ampeln werden überflüssig, wenn es weniger Laster und Autos gibt?

Sie werden deutlich weniger, Zebrastreifen dafür deutlich mehr. Auch Fahrradwege nehmen zu, überhaupt Wege für alle möglichen Verkehrsmittel, auch solche, die wir heute noch gar nicht kennen. E-Tretroller sind der erste Schritt, dazu kommen E-Skateboards und die sogenannten Hoverboards mit zwei seitlichen Rädern. Für sie alle muss der Platz neu verteilt werden.

Ohne Konflikte wird das nicht gehen – was würden Sie tun, wären Sie Bürgermeister?

Ich würde den Leuten sagen, wir wollen das Auto nicht abschaffen. Aber dass alle für sich exklusiv einen bis zu zwei Tonnen schweren Pkw exklusiv reservieren, der die meiste Zeit aber rumsteht – das ist eine Idee aus den 50er Jahren, die wir uns aus den Köpfen schlagen sollten. Das können wir heute besser. Nutzen statt Besitzen ist viel schlauer.

Aber nicht so bequem?

Natürlich will niemand lange zur U-Bahn oder S-Bahn laufen, es ist schöner abgeholt und gebracht zu werden. Darum muss der öffentliche Verkehr mit einem Tür-zu-Tür-Transport erweitert werden. Mit den modernen digitalen Plattformen geht das, ich rufe dann zum Beispiel per App ein Sammeltaxi. Da sitzen noch andere Leute mit drin, dafür ist die Fahrt günstig.

Dann merken sich die Mobilitätsdienstleister, darunter große Konzerne wie Uber und Google, wo ich ein- und aussteige?

Entscheidend ist, dass die Daten anonymisiert werden und keine persönlichen Bewegungsprofile erstellt werden.

Kleinere Anbieter werden bei der enormen technischen Aufgabe doch kaum mithalten können – wer wird den Verkehr dirigieren?

Es geht darum, ihn zu orchestrieren. Die Kommunen werden da wie heute auch in Zukunft eine große Rolle spielen. Sie bestimmen den Umfang des öffentlichen Nahverkehrs, die Zahl der Fahrzeuge, sie dürfen Lizenzen für Mietwagen vergeben.

Was muss jetzt gesteuert werden?

Das Personenbeförderungsgesetz privilegiert herkömmliche Taxen. Neue Fahrdienste, wie die Sammeltaxen von Berlkönig und Clever-Shuttle oder die Bullis der VW-Tochter Moia haben es darum schwer. Doch können Kommunen nach Paragraph 2, Absatz 7 die Erprobung dieser Angebote für bis zu vier Jahre genehmigen. Berlin, Hannover, Hamburg machen das schon. Andere Städte sollten nachziehen. In ländlicheren Regionen müssen indessen moderne Fahrgemeinschaften erlaubt werden, damit morgens nicht fünf Leute mit fünf Autos in die Stadt fahren. Kommerzielle Fahrgemeinschaften sind nach dem Personenbeförderungsgesetz bisher ebenfalls verboten.

Das allein soll die Wende bringen?

Nein, das eigene Auto muss an Attraktivität verlieren, das Parken darf in Zukunft keine Selbstverständlichkeit mehr sein. Man kann ja auch seine alte Kommode nicht einfach auf die Straße stellen. Darum sollten am Tag mindestens zehn Euro Parkgebühren für ein Auto fällig werden, auch für Anwohner. In New York oder Stockholm kostet das schon heute mehr.

Wie wird die Stadt dann 2030 aussehen?

Sie wird klimafreundlicher, leiser, lebenswert sein – fangen wir jetzt an, das einzuführen, was technisch möglich ist. Tun wir das nicht, werden wir das erleben, was Menschen in Lagos, Rio de Janeiro oder Mexiko City schon heute kennen, nämlich das Gegenteil von Mobilität, heißt: Staus ohne Ende.

 

Andreas Knie, Professor für Soziologie, ist einer der führenden Verkehrsforscher in Deutschland. Er leitet die Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und das Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ).

Prof. Dr. Andreas Knie diskutiert auf der 19. Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung das Thema „Klimaneutrale Mobilität – was kommt, was stört, was geht?“. Die Konferenz findet am 4. Juni 2019 in Berlin statt und kann auf Twitter via #RNE19 verfolgt werden. Die Veranstaltung ist ausgebucht. Das Programm im Plenum können Sie per Livestream verfolgen. Den Link dazu finden Sie am Tag der Veranstaltung auf unserer Jahreskonferenz-Seite oder der Startseite.