Nachhaltiger Tourismus: Mobilität, Marke und Magen

Wie kommt Nachhaltigkeit im Tourismus raus aus der Nische? Eine Fachtagung in Lübeck zeigt, wie Regionen mit guten Konzepten, richtigen Zertifikaten und regionalem Essen das Gegenmodell zur Hotelburg mit überfülltem Strand voranbringen.

In der österreichischen Region Kärnten zahlt sich Nachhaltigkeit aus: Seit der Jahrtausendwende ist dort die Zahl der Touristen erst zurückgegangen; doch dann drehte sich der Wind. Es gibt wieder mehr Übernachtungen, nach über 15 Jahren waren es in Kärnten 2017 mehr als 13 Millionen. Welchen Anteil das neue Tourismuskonzept hat und welchen die geopolitische Situation – Urlaub in Österreich statt der Türkei – lässt sich nicht feststellen, sagt Christian Kresse, Geschäftsführer der landeseigenen Kärnten Werbung.

Dennoch lässt Kresses Konzept aufhorchen: Kärnten wirbt mit Nachhaltigkeit. Als erste Region der Welt trägt das Bundesland das Label „Slow Food Travel“ der Slow Food Organisation. Es wird regional gekocht, Touristen können beim Ernten und Kochen selbst Hand anlegen. Die Region hat außerdem die Radwege massiv ausgebaut, wirbt mit 1.500 E-Bikes, die überall gemietet werden können und vieles mehr. „Die Gäste wollen das Land erleben, wie es ist“, sagt Kresse.

Er stellte sein Konzept auf der Fachtagung Nachhaltiger Tourismus in Lübeck vor, bei der sich Betriebe, Politik und Tourismusexperten über Trends und Chancen austauschten. Organisiert haben sie das Branchennetzwerk Tourismus-Cluster Schleswig-Holstein und RENN.nord, eine von vier Regionalen Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien. Die Größe der Aufgabe insgesamt skizzierte Anke Erdmann, Staatssekretärin im Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung (kurz: Melund) des Landes Schleswig-Holstein.

“Ist das was für den großen Sommerurlaub?”

Nachhaltiger Tourismus müsse raus aus der Nische, sagte Erdmann. „Ist der nachhaltige Tourismus ein Add-On, nehme ich das nur für die Kurzurlaube, für die Wellness zwischendurch, oder auch für den großen Sommerurlaub?“, fragte Erdmann. Ihre Vision für Schleswig-Holstein: Bis 2030 solle eine autofreie Natur die Norm, nicht die Ausnahme sein. Außerdem gab sie das Ziel aus, dass bis dahin 40 Prozent der Produkte, die in der Branche umgesetzt werden, aus regionalen Lieferketten stammen könnten. Insgesamt sah sie drei wichtige Trends im nachhaltigen Tourismus: „Mobilität, Marke und Magen.“ Also nachhaltige Transportmöglichkeiten wie E-Mobilität, Regionen als nachhaltige Marken etablieren und gutes, regionales Essen.

Insgesamt sehen die Zahlen zum nachhaltigen Tourismus ernüchternd aus: Laut einer Studie des Bundesverbandes Die Verbraucher Initiative und des Zentrums für Nachhaltigen Tourismus an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde bekunden 40 Prozent der deutschen Urlaubsreisenden, auf nachhaltigen Tourismus wert zu legen. Wobei sich das „nur selten in entsprechendem Konsumverhalten niederschlägt“, heißt es in der Studie. Im Gastgewerbe trügen schätzungsweise fünf Prozent der Betriebe eines der zahlreichen Nachhaltigkeitssiegel. In allen anderen touristischen Sektoren wie Reisevermittler oder Destinationen sei der Anteil „äußerst niedrig“. Dazu komme, dass die Zahl der Label sehr hoch sei, was Konsumenten verwirren könne.

Laut einer neuen Studie der Universität Lancashire im Auftrag des EU-Parlaments gibt es europaweit über 100 verschiedene Label für nachhaltigen Tourismus. Auch hier äußern die Autoren die Sorge, dass die Zahl und Verschiedenheit der Siegel Konsumenten eher verunsichert, als ihnen zu helfen. Die Studie empfiehlt der EU-Kommission, eine Arbeitsgruppe zum Thema Label für nachhaltigen Tourismus einzurichten.

„Nachhaltigkeit muss authentisch sein”

Das Thema Label und Siegel war auch in Lübeck wichtig – und kontrovers. „Ich halte von den ganzen Logos und Zertifikaten wenig“, sagte etwa Christian Kresse. Man müsse den Kunden vor Ort zeigen, dass Nachhaltigkeit einen Mehrwert schaffe. Barbara Kenner, Betreiberin des Bio-Hotels Kenners LandLust, sah dagegen durchaus Positives: „Der Austausch unter den gemeinsam Zertifizierten ist enorm wichtig. Man lernt voneinander und schaut, wie die anderen es machen“, sagte sie. Kenner empfiehlt Betrieben, sich die Siegel zu suchen, die zur Philosophie des Hauses passen. „Nachhaltigkeit muss authentisch sein. Die Kunden fragen da sehr genau nach“, sagt sie.

Henning Scholtz leitet bei der RAL gGmbH den Bereich Umweltzeichen und ist damit unter anderem für den Blauen Engel zuständig. Er empfiehlt, vor allem auf Typ1-Umweltzeichen zu setzen, also solche, bei denen die Zertifizierer nach einheitlichen Normen zugelassen und geprüft sind.

Auf der Konferenz zeigte sich, dass Nachhaltigkeit im Tourismus noch „ganz viel Luft nach oben hat“, wie es Anne Benett-Sturies ausdrückte, Leiterin des RENN-Partners Bildungszentrum für Natur, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein. Doch insgesamt zogen die Veranstalter ein positives Resümee. So sagte Dietmar Fahnert vom Melund: „Nachhaltigkeit erzeugt Nachfrage und ist heute ein Marketinginstrument. Das zeigt, dass sich in der Gesellschaft etwas verändert hat.“