Kreislaufwirtschaft: Recycling im Labor

Lassen sich infektiöse Abfälle aus dem Gesundheitsbereich wieder in den Rohstoff-Kreislauf zurückführen? Das Schweriner Prüflabor HygCen Germany glaubt: Das muss gehen. Das Leuchtturmprojekt des Unternehmens wurde im Wettbewerb Projekt Nachhaltigkeit ausgezeichnet.

Frau Köhnlein, Herr Werner: Warum ist es ein besonders dickes Brett, Rohstoff-Kreisläufe im medizinischen Bereich zu etablieren?

Sebastian Werner: Im Gesundheitswesen geht man von dem Grundsatz aus, dass Risiken sehr hoch sind und daher der Schutz ebenso hoch sein muss. Im Sinne der Prävention ist der Gedanke ja auch richtig, wenn man zum Beispiel bedenkt, dass es im Laborbereich um infektiöse Körpersekrete geht. Als Lösung ist seit den 1970er-Jahren der sogenannte „Single Use“ auf dem Vormarsch. Das heißt, man benutzt etwas einmal und dann wirft man es weg – zum Beispiel Material, das zur Abdeckung im OP genutzt wird. Die war früher aus Baumwolle und wurde nach der Nutzung unter sehr hohen Anforderungen gewaschen und gereinigt, dann kontrolliert und wiederverwendet. Dagegen spricht doch überhaupt nichts. Trotzdem ist man lieber mit dem „Single Use“ auf Nummer Sicher gegangen, auch aus Haftungs- und Gewährleistungsgründen. Und das führt dazu, dass wir mittlerweile unglaubliche Abfallberge produzieren.

Johanna Köhnlein: Verschiedene Studien gehen davon aus, dass wir im Vergleich zu anderen Branchen das Zehn- bis Zwölffache an Plastikmüll produzieren. Und medizinische Labore sollen demnach zwei Prozent des Plastiks weltweit verbrauchen.

Welche Rolle wollen Sie als Unternehmen HygCen Germany dabei spielen?

Köhnlein: Wir sind ein mikrobiologisches Prüflabor mit 70 Mitarbeiter*innen. Was wir hier tun: Wir prüfen die Wirksamkeit von Desinfektionsmitteln, aber auch, ob Sterilisatoren und Reinigungs- und Desinfektionsgeräte in Krankenhäusern richtig arbeiten. Dazu verbrauchen wir Unmengen an hochwertigen Kunststoffen, zum Beispiel, um Zellkulturen anzulegen: Mikrotiterplatten, Pipettenspitzen, Petrischalen und vieles mehr.

Werner: Nach der Benutzung muss das alles autoklaviert werden – das ist eine Form eines Dampfsterilisationsverfahrens. Hinterher darf es – das sagt der Gesetzgeber – nicht weiterverwendet werden, es muss thermisch entsorgt, also verbrannt werden.

Wie also reduziert man diese Müllmengen und sorgt dennoch gleichzeitig für höchste Sicherheitsstandards?

Werner: Natürlich darf keinerlei Risiko für Patient*innen, Anwender*innen oder sonst jemanden entstehen. Das ist klar. Deswegen muss man Schritt für Schritt vorgehen und zeigen, was möglich und sicher ist. Also starten wir mit unserem eigenen Abfall, den wir genau kennen. Der ist ja kein Krankenhausabfall, bei dem unklar ist, wie infektiös er ist. An ihm lässt sich daher sehr gut prüfen, ob die Reinigungsprozesse so gut funktionieren, dass man den Abfall wiederverwerten kann. Auf lange Sicht sollte sich das auf das gesamte Gesundheitssystem übertragen lassen. Fachlich ist es am Ende ja egal, ob es um einen einfachen Keim geht oder um Ebola oder HIV – entweder funktioniert der Prozess oder nicht. Dazwischen gibt es nichts.

Köhnlein: Dazu haben wir eine Initiative gestartet. Begonnen haben wir mit einem Expertengespräch mit Vertreter*innen der Landesbehörden, vom Umweltbundesamt und vom Robert-Koch-Institut. Im ersten Schritt haben wir natürlich unsere Prozesse insgesamt optimiert. Wir recyceln alles nicht-infektiöse Plastik sowieso – nicht bloß im gelben Sack, sondern so, dass es separat durch einen Entsorger entsorgt wird, weil es sich dabei um sortenreines Material handelt. Und wir arbeiten daran, in einem Leuchtturmprojekt darzustellen, dass es machbar ist, aus einem ehemals infektiösen Kunststoff wieder hochwertige Produkte herzustellen.

Welche Partner brauchen Sie dafür?

Köhnlein: Wir haben vergangenes Jahr an einer Veranstaltungsreihe, „Transformationreise Wirtschaft“ teilgenommen, die wurde hier in Mecklenburg-Vorpommern von der Zukunftswerkstatt aufgelegt. Die brachte NGOs und Unternehmen zusammen. Wir wurden da mit der hiesigen “Cradle to Cradle“-Gruppe gematcht. So ist die Grundidee entstanden. Die ersten Vorversuche haben wir bereits gemacht.

Wo stehen Sie derzeit?

Köhnlein: Wir als Prüflabor validieren ja Aufbereitungsprozesse. Wir sind also durchaus in der Lage, die Sicherheit und das Risikomanagement eines Aufbereitungsprozesse zu beurteilen.
Außerdem haben wir ein Partnerunternehmen gefunden, das Geräte herstellt, die den Abfall schreddern und autoklavieren können. Deren Prozesse sind für die Fragestellung noch nicht optimal angepasst, aber daran arbeiten sie. Außerdem kooperieren wir mit einer Firma in Wismar, einem Institut für Polymertechnik. Sie wird das entstehende Rezyklat untersuchen und daraus erste Prototypen herstellen. Und natürlich haben wir verschiedene Expert*innen in den Prozess eingebunden.

Werner: Wichtig ist zu verstehen, dass die Innovation eigentlich gar nicht so sehr eine technische ist. Die nötigen Gerätschaften sind seit Jahrzehnten vorhanden. Es geht vielmehr stark um regulatorische Themen, die natürlich auch ihre Berechtigung haben. Es ist also auch eine politische Arbeit. Glücklicherweise hat sich die Stimmung in den vergangenen Jahren verändert. Durch die aktuellen Rohstoff- und Lieferengpässe kann man inzwischen auch im Gesundheitsbereich über sekundäre Rohstoffkreisläufe und darüber, wie man sie ermöglicht, sprechen. Es hilft sehr, dass der Wirtschaftlichkeitsfaktor hinzugekommen ist.

Was ist Ihr Ziel?

Köhnlein: Wir sind nicht davon überzeugt, dass wir eine Situation erreichen können, wo man auch im Gesundheitsbereich wirklich jedes Produkt aufbereiten und recyceln kann. Wir könnten uns zum Beispiel eine Art Kreislauf-Bonus-System für bestimmte Rohstoffe vorstellen. Nur eine von vielen möglichen, ganz einfachen Lösungen, die das Engagement für viel mehr Labore interessant machen würde.

Werner: Natürlich ist das alles eher ein Langfristprojekt. Aber gerade bei solchen Nischen-Fragestellungen, bei denen nur wenige Akteure sich auskennen, muss man einen langen Atem haben. Das können wir, denn wir kennen das von der Normungs- und Standardisierungsarbeit. Und wir wissen: Wenn wir jetzt nicht anfangen, haben wir in zehn Jahren immer noch keine Veränderung.

Köhnlein: Dabei darf man nicht zu nah dran sein. Besser ist es zu fragen: Was hat man in den
letzten fünf oder zehn Jahren vorangebracht? Wenn man immer nur auf die letzten vier Wochen schaut, dann wird man keine großen Veränderungen wahrnehmen. Aber auf längere Sicht lässt sich etwas bewegen, da kann man als Unternehmen wirksam werden.

Werner: Aus meiner Sicht muss man immer schauen: Ist das ein Missstand, den ich nicht verändern kann, oder ist es ein Missstand, den ich mit der Kompetenz und der Macht, die ich – zum Beispiel als Unternehmer – habe, ändern kann? Wenn ich eine Chance habe, eine Veränderung anzustoßen, dann muss ich die ergreifen. Auch wenn es nicht heißt, dass morgen alles anders ist.

 

Sebastian Werner, Facharzt für Hygiene, leitet das 1996 in Schwerin gegründete Unternehmen HygCen Germany in zweiter Generation. Das akkreditierte Prüflabor sichert die Qualität von Medizinprodukten, Desinfektionsmitteln und Hygienetechnik wie Reinigungs- und Desinfektionsgeräte und Sterilisatoren.

Die Diplom-Umweltwissenschaftlerin Johanna Köhnlein, bei HygCen Germany Scientific Coordinator Research & Development sowie Sustainability Officer Green Lab, arbeitet seit über zwei Jahrzehnten im Unternehmen.

Der Wettbewerb Projekt Nachhaltigkeit

Seit fünf Jahren zeichnet Projekt Nachhaltigkeit herausragende Initiativen und Projekte des Wandels in Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Kommunen aus, die sich für eine nachhaltige Entwicklung einsetzen. Vergeben wird der Nachhaltigkeitspreis von den vier RENN (Regionale Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien) in Kooperation mit Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) unter dem Dach des Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit.