„Freihandel kann nicht nachhaltig sein“ - Interview mit Peter Fuchs, Geschäftsführer von PowerShift

Er setzt alle Hebel in Bewegung, um das geplante Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP zwischen den USA und der EU zu verhindern: Peter Fuchs, Geschäftsführer der Vereins PowerShift, lässt kein gutes Haar an der Idee des Freihandels an sich. Eine ökologische und soziale Wirtschaft, für die sich sein Verein einsetzt, sei in einem solchen System nicht möglich.

Herr Fuchs, sind Sie und Ihre Organisation PowerShift generell gegen Freihandel oder nur gegen TTIP?

Peter Fuchs: „Freihandel“ entsprechend der klassischen Wirtschaftstheorie ist generell kein zukunftsfähiges Konzept. Wir benötigen vielmehr ein ökologisch-ökonomisches Verständnis des internationalen Handels – und wir brauchen starke sozial-ökologische Regeln, um Handel zu regulieren. TTIP und die vielen anderen ‘Freihandels’-Abkommen der EU laufen leider auf das Gegenteil hinaus.

Was kritisieren Sie an den theoretischen Grundlagen?

Sie blenden die sozialen und ökologischen Kosten des internationalen Handels komplett aus. Die geltenden Annahmen, etwa über die vollständige Informiertheit der Marktteilnehmer oder über die Angemessenheit der Preissignale sind völlig untauglich, wenn wir nach Wegen zur Wohlfahrtsmehrung für alle Beteiligten suchen. „Freier Handel“ zwischen nicht-zukunftsfähigen Ökonomien wie der europäischen und der amerikanischen verschärft die sozial-ökologische Krise, in der wir schon jetzt stecken.

Warum sollen diese Ökonomien nicht zukunftsfähig sein? Europa ist gerade dabei, eine CO2-Minderung von 40 Prozent bis 2030 zu vereinbaren.

Einzelne CO2-Minderungsziele sagen nichts darüber aus, ob Ökonomien in der Gesamtheit zukunftsfähig sind. Die Nachhaltigkeitsforschung zeigt immer wieder eindrücklich, dass das Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell unserer wachstumsorientierten westlichen Industrienationen nicht global verallgemeinerbar ist. Wir ignorieren systematisch die so genannten ‘planetarischen Grenzen‘, die einen sozial und ökologisch zukunftsfähigen Umweltraum markieren. So ist Europas fossil-atomare Energiestruktur noch weit entfernt von Zukunftsfähigkeit, ebenso unser riesiger Ressourcenverbrauch oder der Umgang mit Biodiversität – und in sozialer Hinsicht klafft eine große Gerechtigkeitslücke zwischen Arm und Reich, zwischen den Geschlechtern und besonders brutal im Nord-Süd-Verhältnis.

Wie könnte denn ein nachhaltiger Freihandel aussehen?

Freihandel kann nicht nachhaltig sein, das ist ein Widerspruch in sich. Freihandel heißt immer möglichst viel und möglichst dereguliert handeln. Unser Konzept sieht dagegen einen begrenzten, stark regulierten, strategischen und ökologisch eingehegten Handel vor. Wir brauchen nachvollziehbare Handelsketten, einen Schutz von Umwelt, Kleinproduzenten und alternativen Energien, eine bäuerliche Landwirtschaft, gesicherte Arbeits- und Menschenrechte. Außerdem braucht es scharfe Wettbewerbsregeln gegen Monopolisierung und so genannte „Corporate Accountability“-Pflichten für Transnationale Konzerne. Bestimmte Bereiche, wie öffentliche Dienstleistungen oder die Kultur, dürfen nicht im internationalen Wettbewerb stehen. Diese Perspektive findet sich im so genannten „Alternativen Handelsmandat“, wie es europäische NGOs im EU-Wahlkampf vorgelegt haben.

Wie bewerten Sie in dem Kontext die 5. TTIP-Verhandlungsrunde?

Bei den Verhandlungen kann nichts Fortschrittliches herauskommen, denn die Verhandler haben ein völlig fehlgerichtetes Mandat. Das gilt übrigens auch für CETA, dem Freihandelsabkommen mit Kanada, für die Freihandelsverhandlungen zwischen der EU und Japan oder der EU und Indien. Die sind allesamt Ausdruck falscher theoretischer Grundlagen sowie sehr wirkmächtiger Konzerninteressen in der Praxis, die auf scharfen Eigentums- und Investitionsschutz sowie vermeintlich „freien“ Handel setzen. Exportorientierte Akteure wie die deutsche Automobilindustrie haben ein ganz praktisches Interesse an den Abkommen, weil sie zu den Gewinnern gehören. Aber solche Abkommen führen eben immer zu einem Strukturwandel, der Gewinner und viele Verlierer kennt.

Trotzdem: Könnte man nicht gemeinsame ökologisch-soziale Standards vereinbaren?

Nicht in einem Freihandelssystem. Dort sind sozial-ökologische Standards schlicht Handelshemmnisse, auch wenn in Presseerklärungen und Sonntagsreden etwas anderes steht. Das explizite Mandat von TTIP ist es, handelsrelevante Aspekte zu behandeln und Störungen zu beseitigen. Da sitzen nicht Gesundheits-, Umwelt, oder Arbeitsminister und verhandeln über gemeinsame sozial-ökologische Standards, über Marktversagen oder Klimaschutz. Die oberste Prämisse von TTIP ist es, den freien Handel nicht zu stören – und Eigentumsinteressen von Investoren mit scharfen Sonderklagemöglichkeiten zu versehen.

Nun wurde diese Woche ein EU-Verhandlungstext für Energiefragen bei TTIP geleakt. Da steht drin, man wolle den Import von US-Äl und US-Gas in die EU erleichtern. Überraschend?

Das ist nicht überraschend. Das stand als Grundaussage schon im EU-Mandat für TTIP. Die EU möchte mit den USA neue Freihandelsregeln für den Handel mit Energie und Rohstoffen vereinbaren. Das ist nicht zukunftsfähig, sondern brandgefährlich, weil dann beispielsweise jeder Energieexport zugelassen werden muss. Er darf nicht mehr, wie jetzt noch in der US-Gesetzgebung, nach ökologischen oder wirtschaftlichen Kriterien überprüft und auch untersagt werden. Die EU versucht also, sich selbst und den USA ein Instrument aus der Hand zu schlagen, welches die Handelsströme von klimagefährlichen Produkten wie Kohle, Äl oder Fracking-Gas begrenzen könnte. Das ist eine verheerende Selbstaufgabe der Politik. Ich kann nicht erkennen, dass mit TTIP oder CETA erneuerbare, zukunftsfähige Energie gefördert werden soll. Es geht um Freihandel mit fossilen Rohstoffen, nicht um eine internationale Energiewende.

Es ist doch auch nicht die Aufgabe eines Freihandelsabkommen, die Energiewende zu regeln. Ökologische und soziale Aspekte beim Import von Energieträgern lassen sich doch auch jenseits von TTIP regeln.

Richtig, es ist nicht Aufgabe eines Freihandelsabkommens, die Energiewende zu regeln. Freihandelsabkommen werden geschlossen, um den alten mächtigen Industrien der fossilen Energiewirtschaft den Zugang zum Weltmarkt oder ihre Rohstoffversorgung zu sichern. Freihandelsabkommen haben zudem eine bindende Wirkung auch für Energie- und Umweltpolitiker. Sie verringern den politischen Handlungsspielraum, den wir dringend brauchen, um die Energiewende zu gestalten, um unsere Industrie, Landwirtschaft, Rohstoffwirtschaft oder unsere Sozialsysteme zukunftsfähig umzubauen. Genau deswegen dürfen wir uns nicht weiter die Fesselungen der Freihandelsabkommen gefallen lassen – sondern nach neuen, ganz anderen internationalen Verträgen suchen, die zum Beispiel eine Kooperation für eine internationale Energiewende beinhalten.

Auf der Homepage der EU-Kommission heißt es, die Vorschriften zum Umgang mit Chemikalien seien zwischen EU und USA nicht harmonisierbar. Ein Zeichen, dass TTIP scheitert?

Solche Sätze werden auf Webseiten gestellt, um die Öffentlichkeit zu beruhigen. Geplant ist stattdessen eine so genannte „regulatorische Kooperation“ zwischen EU- und US-Behörden, gepaart mit enger Abstimmung mit Wirtschaftsvertretern beiderseits des Atlantik. Jede neue Regulierung soll dann vom Grundsatz her den Handel befördern und die Geschäfte erleichtern. Dabei bekommt die Industrie das Recht, früh gehört zu werden. Wenn man so unterschiedliche Regulierungskulturen wie in Europa und den USA hat, wird es zwangsläufig viele Konflikte geben. Was aber langfristig droht, ist, dass sich am Ende immer der niedrigste Umwelt- und Sozialstandard durchsetzt oder fadenscheinige Kompromisse auf halbem Wege gefunden werden. Als Demokraten müssen wir uns dagegen wehren und darauf bestehen, dass europäische Regulierungen in demokratischen Prozessen von den Bürgerinnen und Bürgern Europas gemacht werden – und nicht mit Handelspartnern in intransparenten Gremien.

Selbst EU-Handelskommissar Karel de Gucht sagt mittlerweile, wahrscheinlich müssten alle 28 nationalen Parlamente der EU-Mitgliedsstaaten TTIP zustimmen. Wäre das ein Garant, dass das Abkommen keine europäischen Standards unterläuft?

Das ist gut und auch notwendig, garantiert aber nichts. Im Prinzip ist eine Zustimmung der Parlamente kein Erfolg, sondern eine grundsätzliche, demokratische Selbstverständlichkeit. Selbst wenn einzelne Länder TTIP dann nicht ratifizieren wollen, würde versucht werden, eine „vorläufige Anwendung“ des Abkommens durchzuboxen, die dann auch ohne vollständige Ratifizierung viele Jahrzehnte dauern kann. So lief es auch beim Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen GATT, das später in die Welthandelsorganisation WTO aufging. Es gibt in der EU zudem genug politische und ökonomische Erpressungsmechanismen, die es einigen Ländern enorm schwer machen werden, ein ausverhandeltes Abkommen abzulehnen.

Das Interview führte Ingo Arzt

Weiterführende Informationen

TTIP-Check des BUND bei Kandidaten der Europawahl

Vorschlag europäischer NGOs zum Handel:

PowerShift zum geleakten Entwurf zu Energie bei TTIP

EU-Webseite zu TTIP