Chancen für die Kreislaufwirtschaft durch Chinas Plastikmüll-Importstopp?

Die chinesische Regierung verschließt die Staatsgrenzen vor ausländischen Kunststoff-Abfällen. Der Umweltwissenschaftler Henning Friege erläutert im Interview mögliche Folgen dieser Entscheidung und warnt vor zu schlichten Lösungen für komplexe Probleme.

RNE: Im vergangenen Jahr sind aus Deutschland rund 1,5 Millionen Tonnen alter Kunststoffe exportiert worden, vor allem nach China und Hongkong  und damit etwa ein Viertel der Gesamtmenge, die hierzulande anfällt. Hauptsächlich wurden Polyethylen-Folien und PET-Kunststoffe verschifft. Das ist nun vorbei: China lässt keinen unsortierten Müll mehr ins Land, ab März soll auch der sortierte draußen bleiben.

Dr. Henning Friege: Die Entscheidung kommt nicht überraschend, die chinesische Regierung hatte diesen Schritt ja bereits im vergangenen Sommer angekündigt. Und die International Solid Waste Association (ISWA) hat schon vor fünf Jahren davor gewarnt, dass die Chinesen irgendwann stärker auf Qualität setzen würden. Im vergangenen halben Jahr konnte man bereits beobachten, dass die Preise für gemischte Kunststofffolien erheblich gesunken sind. Aber wir können derzeit nur spekulieren, was die Folgen sein werden.

Was vermuten Sie?

In einem ersten Schritt werden die meisten jetzt versuchen, Ausweichmöglichkeiten zu finden. Auch bisher wurde Plastikmüll ja bereits nach Vietnam und Indien exportiert, also wird man wohl versuchen, diese bisher nicht besonders großen Mengen auszuweiten. Allerdings: Auch die indische Regierung denkt derzeit über Restriktionen nach.

Aus welchem Grund?

Der Importstopp hat nicht viel mit Ökologie zu tun, sondern ganz klar mit wirtschaftlichen Eigeninteressen. Chinas Recyclingindustrie besteht aus vielen mittleren und kleinen Unternehmen, die keinen guten technischen Standard haben – die aus aller Welt ins Land gebrachten Altkunststoffe werden zum Teil in Hinterhöfen getrennt. Den Kleinunternehmern, die dieses Geschäft betreiben, ist der Import-Stopp deswegen auch alles andere als recht: Genau diese Strukturen will die Regierung auflösen, um stattdessen eine professionelle Recyclingindustrie aufzubauen. Produkte aus schlechtem Sekundärkunststoff bekommt China ebenso wenig wie andere Länder auf dem Weltmarkt los – und die Ansprüche steigen weiter.

Der Durchschnittsdeutsche produziert 20 Prozent mehr Plastikmüll als der EU-Durchschnitt…

Kein Wunder: Wie viel Müll ein Land verbraucht, korreliert ungefähr mit dem Pro-Kopf-Einkommen. Allerdings bin ich mir sicher, dass wir beim Verwerten besser sind als die meisten Staaten, vor allem in Süd- und Osteuropa.

Warum ist Plastikmüll im Gegensatz zu Papier oder Aluminium nichts wert?

Weil die Verwertung so teuer ist. Solange es um gemischte Kunststoffe geht und die Vermischung von Materialien in Kunststoffprodukten so hoch ist, kosten Sortierung und Verwertung sehr viel Energie und damit Geld. Wobei in China noch händisch sortiert werden kann, weil Arbeitskraft dort so billig ist. Verpackungen haben eine Fülle von Funktionen – zum Beispiel Lebensmittel frisch halten, über den Preis informieren, Reklame anpreisen, den Inhalt transportfähig machen –, die ein anderer Werkstoff nicht erfüllen kann. Deswegen enthält Plastikmaterial auch so viele Zusatzstoffe: Farben, Stabilisatoren, Sauerstoffbremsen, Flammhemmer und viele mehr. Außerdem ist Plastikabfall aus Verpackungen, die in der gelben Tonne landen, verschmutzt und mit Hausmüll vermischt. All das macht es schwer, Plastikmüll zu sortieren, zu verwerten und einen qualitativ hochwertigen Sekundärrohstoff herzustellen.

Was sind die Folgen?

Kunststoffgemische können daher meist nicht stofflich verwertet werden. Der Anteil der hochwertigen stofflichen Verwertung von Plastikabfällen – lässt man die Produktionsabfälle einmal weg – liegt wohl immer noch unter 20 Prozent. Der größte Teil der Sortierreste wird direkt in Müllverbrennungsanlagen oder, nachdem daraus ein Ersatzbrennstoff hergestellt wurde, in Zementöfen energetisch genutzt. Ein etwa gleich großer Teil wird bisher vor allem nach China exportiert. Und etwa ein Drittel des Abfalls wird in Europa immer noch deponiert, also auf die Müllhalde gekippt, und das ist der denkbar schlechteste Weg für den Klimaschutz. Was nicht stofflich verwertbar ist, muss zur Energiegewinnung genutzt werden.

Michael Wiener, CEO des Grünen Punkts, hat den chinesischen Importstopp für Papier- und Kunststoffabfälle eine Chance für die Kreislaufwirtschaft in Deutschland und Europa genannt. Sind Sie auch so optimistisch?

Ja, ich sehe auch Chancen. Der Druck, die stoffliche Verwertung zu steigern, dürfte sich auch dadurch erhöhen, dass die Verwertungsanforderungen durch das Verpackungsgesetz demnächst steigen: Konkret erhöht sich die Kunststoffrecyclingquote von 36 auf 58,5 Prozent im Jahr 2019 und auf 63 Prozent nur drei Jahre später. Technische Verbesserungen der Sortieranlagen sind tägliches Geschäft, weitere Anlagen auf neuestem Stand der Technik sind in der Planung, aktuell zum Beispiel in Hessen eine Sortieranlage als Kooperation zweier privater Abfallwirtschaftsunternehmen. Zusätzlich kommen andere Verfahren zum Einsatz: zum Beispiel eines, das den Plastikmüll zu seinen chemischen Grundstoffen zurückführt. Beim Recycling zurück zu den Ausgangsstoffen spielt die Frage keine große Rolle, ob der Abfall verschmutzt ist oder nicht. Das für solche Innovationen nötige Geld wird dann investiert, wenn ein billigerer Ausweg versperrt ist.

Sie erwarten also einen Anstieg des Recyclings von Kunststoffen innerhalb Europas?

Ja, wobei man aufpassen muss, dass keine Ausweichmanöver gemacht werden, etwa in Richtung von Ländern wie Rumänien, Griechenland, Malta oder Bulgarien, wo es derzeit noch üblich ist, Abfälle, auch Plastik-Sortierreste, einfach zu deponieren – das gibt es in Deutschland seit zehn Jahren nicht mehr.

Auch Karmenu Vella, EU-Kommissar für Fischerei und maritime Angelegenheiten, bezeichnet das chinesische Import-Verbot als Chance. Die EU hat ja gerade eben ihre neue Plastik-Strategie veröffentlicht, die zusammen mit den neuen EU-Recycling-Zielen die notwendigen Veränderungen im Kunststoffsektor vorantreiben soll…

Tatsächlich setzt die Plastik-Strategie der EU richtige Ziele: Es wäre viel wert, wenn es gelänge, Produkte aus Kunststoffen von Vornherein einfacher zu konstruieren und zusammenzusetzen. Das heißt: viel weniger Additive, keine aus verschiedenen Materialien wie Kunststoff und Pappe zusammengesetzten Produkte. Leider stehen dem unsere eher steigenden Ansprüche an die Funktionalität von Werkstoffen – denken Sie an Elektronikgeräte oder die immer aufwendigeren Verpackungen – entgegen.

Wo lassen sich einfacher konstruierten Kunststoffe nutzen?

Bei bestimmten Verpackungen – etwa für Putzmittel – sind die Ansprüche geringer als zum Beispiel bei Lebensmitteln, da kann man durchaus heute schon Recyclingmaterial einsetzen. Das gilt auch für Agrarfolien oder für Folien im Baubereich. Entscheidend dabei ist, dass die Verbraucher, zumindest ein wichtiger Teil der Verbraucher, für solche Veränderungen offen und bereit sind, Produkte aus Sekundärrohstoffen zu kaufen. Auch bei der Entsorgung wäre es wünschenswert, dass die Verbraucher umdenken: Der Missbrauch vor allem der „gelben Tonne“ für den Restmüll muss ein Ende haben. Ein Problem, um das sich Entsorgungswirtschaft und Kommunen mal gemeinsam kümmern sollten.

Was halten Sie von der Plastiksteuer, die Günther Oettinger, EU-Kommissar für Haushalt und Personal, ins Gespräch gebracht hat?

Steuern auf Rohstoffe oder Abfälle müssen zielgerichtet und nachvollziehbar sein, und sie müssen genau das erreichen, was sie erreichen sollen. Das aber ist das Problem: Was ist bei Kunststoffen gewollt? Es gibt so viele verschiedene Ziele: dass das Plastik nicht mehr in den Ozeanen landet. Dass es besser verwertbar ist. Aber auch, dass wir technisch noch bessere Materialien mit geringerem Gewicht entwickeln und zum Beispiel seltene Metalle durch organische Materialien – also auch Kunststoffe – ersetzen. Den Ozeanen würde eine europaweite Steuer kaum helfen, weil der Plastikmüll, der im Meer landet, zum ganz überwiegenden Teil ein Problem mangelnder Entsorgungsstrukturen in Entwicklungs- und Schwellenländern mit langen Küstenlinien ist. Erfahrungsgemäß trägt eine Steuer auch nur begrenzt dazu bei, den Verbrauch zu vermindern, wie wir bei der Öko-Steuer auf Benzin beobachten konnten. Und eine pauschale Steuer würde ignorieren, dass wir Kunststoffe auch weiterhin als technische Problemlöser brauchen. Wir fokussieren in dieser Diskussion zu stark auf die Plastiktüte, und das verengt den Horizont für die wirklich nachhaltigen Lösungen: Auf komplexe Fragen gibt es keine schlichten Antworten.

Das Interview führte Carolyn Braun.

Publikationen & Broschüren

Dr. Henning Friege - "Ressourcenmanagement und Siedlungsabfallwirtschaft" - Challenger Report für den Rat für Nachhaltige Entwi...

texte Nr. 48: Ressourcenmanagement und Siedlungsabfallwirtschaft - Challenger Report für den Rat für Nachhaltige Entwicklung von Dr. Henning Friege