„Wir müssen einen Weg finden, die gesellschaftliche Wirkung zu messen und dafür zu bezahlen“

Zarah Bruhn ist Sozialunternehmerin, Beauftragte für Soziale Innovationen im BMBF und seit Anfang des Jahres RNE-Mitglied. Ein Gespräch über die großen Herausforderungen dieser Zeit und darüber, warum sie von ihrer Lösung her gedacht werden sollten.

Frau Bruhn, Sie haben eine in der deutschen Politik wahrscheinlich einzigartige Position. Eigentlich sind Sie Sozialunternehmerin: Mit der Social-Bee gGmbH arbeiten Sie an der Integration von geflüchteten Menschen in den Arbeitsmarkt. Seit fast genau einem Jahr sind Sie aber parallel dazu Beauftragte für Soziale Innovationen im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Social Entrepreneurin und Ministeriums-Mitarbeiterin – wie geht das?

Zarah Bruhn: Also zuallererst freue ich mich immer noch unheimlich darüber, dass das Ministerium einen Quereinstieg ermöglicht hat, der mich weiter in meiner Firma arbeiten lässt. Dabei achte ich auf strikte Trennung beider Funktionen. Denn mein Unternehmen hätte ich nicht aufgeben können. Aber natürlich konnte ich auch nicht nein zu dieser Chance im BMBF sagen. Als Sozialunternehmerin will ich ja die die Gesellschaft ein Stück besser machen – und ich will die großen Hebel bewegen. Also auch den in der Politik.

Nach einem Jahr in dieser Position: Welche Rolle spielen soziale Innovationen wirklich, wenn es um die großen Herausforderungen wie den Klimawandel geht? Im öffentlichen Ansehen sind sie den technologischen fast immer unterlegen.

Wir müssen unbedingt aufhören, in diesen Schubladen zu denken. Stattdessen sollten wir anfangen, von der Lösung des gesellschaftlichen Problems her zu denken. Sehr häufig ist diese Lösung nur durch eine Kombination von technologischen und gesellschaftlichen Innovationen zu erreichen. Ob das dann gewinnorientierte Konzerne oder Start-ups oder Non-Profits oder Wohlfahrtsunternehmen übernehmen, ist nicht entscheidend. Stattdessen muss es immer darum gehen, wer das Problem am besten löst. Und meistens gibt es ganz unterschiedliche Lösungen für dasselbe Problem. Zum Beispiel beim Fachkräftemangel: Dem kann man durch Automatisierung, Robotik und Künstliche Intelligenz entgegenwirken, dann braucht man einfach weniger Fachkräfte. Und man kann es über Qualifizierung von Minderheiten und von benachteiligten Gruppen lösen. Idealerweise gelingt eine Kombination solcher Ansätze.

Oft fehlt dafür der Anreiz. Ein gesellschaftliches Problem zu lösen, ist nur selten etwas, was die finanzielle Rendite eines Unternehmens erhöht…

Deswegen sage ja schon seit ein paar Jahren, dass wir unser Wirtschaftssystem anders denken müssen. Wir müssen einen Weg finden, die gesellschaftliche Wirkung – den Social Return – zu messen und dafür zu bezahlen. Nur so können wir den gesellschaftlichen Mehrwert oder die gesellschaftlichen Ersparnisse in das Finanzierungssystem einpreisen. Das würde eine echte Vergleichbarkeit zwischen den Akteuren herstellen, egal ob es Non-Profit- oder For-Profit-Organisationen sind. Und es wäre gleichzeitig eine Antwort auf die Frage: Wie können wir mit den Mitteln, die wir heute schon investieren, mehr erreichen, indem wir sie wirkungsorientiert investieren und für das gewünschte Ergebnis bezahlen?

Bisher gibt es keine Standards, wenn es darum geht, gesellschaftlichen Impact zu messen.

Ja, aktuell ist eine Wirkungsmessung eher nettes Beiwerk. Jeder entwickelt seine eigenen Kriterien, seine eigenen Ansätze. Es gibt ein paar internationalere Frameworks, die jede*r für sich auslegen kann. Vor allem hat es in den allermeisten Fällen keine finanziellen Folgen, ob man sich daran hält oder nicht. Das muss sich ändern, wenn wir technologie- und akteursübergreifend vom Outcome her denken wollen. Wir haben im BMBF eine Studie gestartet, die uns einen Überblick über mögliche Instrumente verschafft. Es gibt einiges, was man sich international abschauen kann – wir fangen in Deutschland gerade erst damit an. Wenn es uns gelingt, Standards zu schaffen und diese Standards mit Finanzierungsinstrumenten zu hinterlegen, dann wird es spannend.

Von dieser Vision sind wir aber noch weit entfernt, oder?

Das ist ein dickes Brett. Ob man am Ende CO2-Einsparungen mit der Verbesserung von Lebensqualität eins zu eins vergleichen kann, kann ich jetzt auch noch nicht sagen. Aber wir bewegen uns auf jeden Fall in eine richtige Richtung. Ich sehe das nicht nur in meiner Rolle als Ministeriumsbeauftragte, sondern auch als RNE-Mitglied. Wenn man sich anschaut, was im Bereich Sustainable Finance in den vergangenen Jahren passiert ist, macht das Mut. Das Thema Nachhaltigkeit ist am Kapitalmarkt angekommen und hat große Veränderungen in Gang gebracht. Das zeigt, was möglich ist, wenn wir Wirkung messbar, quantifizierbar und damit standardisierbar machen und mit Hilfe geeigneter Finanzierungsinstrumente akteurübergreifende Marktanreize setzen. Dann wären auch Sozialunternehmer*innen nicht mehr gegenüber der konventionellen Wirtschaft benachteiligt. Ziel muss es sein, dass die Finanzmärkte und andere Geldgeber die Gewinne für Umwelt und Gesellschaft einpreisen.

Sie haben auch schon öfter dafür argumentiert, dass Sozialunternehmen dem Staat Aufgaben abnehmen und so die Effizienz insgesamt steigern könnten. Geht es Ihnen da auch darum, die Akteure mit dem größten „Impact“ in den Fahrersitz zu setzen?

Man sieht ja oft, dass das, was aus der Zivilgesellschaft heraus entsteht, passgenauer ist. Die Leute, die vor Ort daran arbeiten, wissen häufig besser, was gebraucht wird, und können flexibler und bedarfsgerechter agieren, als es in Behördenstrukturen möglich ist. Aber darum geht es nicht – sondern darum, dass es einen fairen Wettbewerb um die wirksamste Vorgehensweise geben sollte. Und ich glaube, sich da als Staat zu öffnen, würde uns weiterbringen.

Sie sehen kein Problem darin, dass der Staat Aufgaben an Akteure abgibt, die gegebenenfalls eigene Interessen verfolgen und nicht die Gesellschaft als ganze im Blick haben?

Ich glaube, wenn wir die besten Lösungen für die bestehenden Herausforderungen finden, bringt das der Gesellschaft insgesamt am meisten – zumal der Staat ja seine Kontrollfunktion nicht dadurch abgibt, dass er bestimmte Aufgaben anderen Akteuren überträgt.

Wenn es darum geht, das Verhältnis zwischen dem Staat und anderen gesellschaftlichen Akteuren zu ändern und dadurch Innovationen zu ermöglichen, können Open Social Innovation (OSI)-Prozesse sinnvoll sein. Der RNE plant einen solchen Prozess rund um das Thema „Nachhaltiges Bauen und Wohnen“ im Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit, Sie selbst haben im BMBF ebenfalls einen solchen Prozess gestartet …

Genau. Bei uns geht es derzeit darum, ob man Jugendlichen zum Einstieg in den Arbeitsmarkt verhelfen und dadurch gleichzeitig dem Fachkräftemangel in Dekarbonisierungsberufen entgegenwirken kann. Ich glaube, solche Prozesse sind sehr hilfreich, um Akteure zu vernetzen und Kooperationen zu unterstützen. Ich weiß das aus der Praxis mit unserem eigenen Sozialunternehmen Social-Bee: Theoretisch finden wir es natürlich ganz toll, mit anderen zu kooperieren, aber im Alltag fehlen dafür oft Zeit und Geld oder auch nur das Wissen übereinander. Dadurch entstehen natürlich viele Parallelstrukturen. In den OSI-Prozessen kann es gelingen, viele Akteure zusammen an einer Wertschöpfungskette arbeiten zu lassen, die Sollbruchstellen offenzulegen und diese Lücken zu schließen. Wenn man die durch diese Kollaboration entstehenden Innovationen dann unterstützt und finanziert, kann man große Hebel für das gesellschaftliche Problem finden, das man angehen möchte.

Wenn Sie jetzt selber vom Ergebnis her denken, nämlich vom Ende Ihrer jeweiligen Amtszeit als RNE-Mitglied und als Ministeriumsbeauftragte: Was wollen Sie erreicht haben?

Ich will dazu betragen, eine Wirtschaft zu bauen, die für Umwelt und Gesellschaft arbeitet und nicht auf deren Kosten. Ich hoffe sehr, dass wir in fünf bis zehn Jahren einen signifikanten Schritt weiter sind, vor allem, was das Thema Finanzierung und Anreize für Unternehmen und Organisationen betrifft und dass die Förderung von Sozialen Innovationen viel stärker auf der internationalen Agenda steht. Ganz konkret würde ich mir wünschen, dass diese Entwicklung dazu führt, dass Sozialunternehmer*innen dann besser gestellt sind als jetzt: Heute ist es ja so, dass man als Social Entrepreneur das gleiche unternehmerische Risiko trägt wie konventionelle Unternehmer*innen, aber viel, viel schlechtere Finanzierungsbedingungen hat. Aktuell muss ich eine absolute Überzeugungstäterin sein, um diesen Sprung zu wagen. Wenn wir diese strukturelle Benachteiligung ausgleichen, dann öffnen wir diesen Karriereweg für die Mitte der Gesellschaft und machen es möglich, dass sich am Ende wirklich die klügsten Köpfe um die wichtigsten Themen kümmern.

 

Zur Person:

Seit fast genau einem Jahr ist die Gründerin und Unternehmerin Zarah Bruhn Beauftragte für Soziale Innovationen im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). In ihrem 2016 zusammen mit Maximilian Felsner gegründeten Sozialunternehmen Social-Bee ist sie weiterhin Co-Geschäftsführerin. Die Social-Bee gGmbH versteht sich als Deutschlands erster Integrationsdienstleister für Flüchtlinge und ist vielfach ausgezeichnet worden. 2023 ist sie in den Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) berufen worden.

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