„Wir müssen dringend von Projekten zu Strukturen kommen“ – Interview mit dem Bildungsforscher Gerhard de Haan

Noch bis 2014 geht die Welt-Dekade der Vereinten Nationen „Bildung für nachhaltige Entwicklung“. Ihr Ziel: das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung in allen Bereichen der Bildung zu verankern. Deshalb  gibt es  vom 20. bis 29. September 2013 in ganz Deutschland wieder die Aktionstage Bildung für nachhaltige Entwicklung. Teilnehmen können Schulen und andere Bildungsträger sowie Unternehmen und Organisationen. Über die Aktionstage sprach News Nachhaltigkeit mit dem Erziehungswissenschaftler Professor Dr. Gerhard de Haan von der FU Berlin. Er ist Vorsitzender des Nationalkomitees, das hierzulande im Auftrag der Deutschen UNESCO-Kommission die Umsetzung der UN-Dekade koordiniert.
Herr Professor de Haan, Schulen können sich ab sofort für die Aktionstage zur Bildung für nachhaltige Entwicklung zu Beginn des neuen Schuljahres anmelden. Wie wichtig sind solche Projekte, um den Gedanken der Nachhaltig zu verbreiten?
Solche Initiativen erhöhen ganz wesentlich die Aufmerksamkeit auf die Sache. Darüber hinaus werden Initiativen, die sich schon für Nachhaltigkeit engagieren, durch die Teilnahme an den Aktionstagen honoriert und sie können ihre Sichtbarkeit erhöhen. Schwierig ist es allerdings, wenn Aktionen sich nicht regelmäßig wiederholen. „Jugend forscht“ und ähnliche Programme haben dadurch Bekanntheit erlangt, dass sie ganz kontinuierlich fortgesetzt worden sind. Das halte ich für sehr wichtig. Förderlich ist es auch, wenn Bildungsprogramme in einer größeren Community verortet sind. Wir machen das, indem wir im Rahmen der UN-Dekade Bildung für nachhaltige Entwicklung Projekte auszeichnen und in eine Datenbank einstellen. In den letzten nunmehr knapp zehn Jahren haben wir ungefähr 1750 Projekte zusammengetragen. Diese umfangreiche Datenbank wird sehr intensiv genutzt – nicht nur von denen, die mitgemacht haben, sondern auch von anderen, die dort sehr gute Beispiele finden.
Kommen wir zum Schulunterricht. Einige Bundesländer haben Bildung für nachhaltige Entwicklung in ihre Rahmenpläne aufgenommen. Ist diese Ebene konkret und verbindlich genug?
Das ist eins der großen Probleme auf diesem Gebiet. Man muss versuchen, Nachhaltigkeit bezogen auf das jeweilige Fach wirklich durchzubuchstabieren. In Erdkunde ist das Thema schon gut platziert, teilweise auch in der Biologie. In dem ganz zentralen Fach politische Bildung wären jedoch erhebliche Veränderungen nötig. Die Rahmenpläne gehen immer noch in Richtung Institutionenkunde. In Ländern wie Schweden oder Großbritannien hat die politische Bildung stattdessen mehr zivilgesellschaftliche Aspekte. In Deutschland müsste man sich also ganz grundsätzlich überlegen, was politische Bildung eigentlich heißt.
Die Vereinten Nationen diskutieren zurzeit über ein Nachfolgeprogramm für die Dekade Bildung für nachhaltige Entwicklung. Wie bewerten Sie den Vorschlag eines Weltaktionsprogramms?
Grundsätzlich positiv, ich hätte mir allerdings eine zweite Dekade gewünscht, weil die zeitlich präziser festgelegt wäre. Weltaktionsprogramme sind in der Regel zeitlich offen. Da können einige Akteure versucht sein, sich zu sagen: Wir müssen nicht heute anfangen, wenn wir Jahrzehnte Zeit haben. Das Aktionsprogramm wird aber wohl so aussehen, dass die UN wieder einen Zyklus von zwei mal fünf Jahren mit einer Zwischenbilanz in der Mitte vorsehen. Das Programm wird dann erfolgreich sein, wenn man sich nicht darauf kapriziert, nur ein oder zwei Themenschwerpunkte zu setzen, sondern die Breite beibehält, die das Thema Nachhaltigkeit nun mal hat – sowohl bezogen auf die Akteure, als auch auf die Lernbereiche. Handeln muss man unbedingt, weil wir bei den Bildungsanstrengungen nicht so weit fortgeschritten sind, wie wir sein sollten, weder national noch international.
Welche Aufgaben werden während des Aktionsprogramms auf Deutschland zukommen?
Wir müssen das Thema weiterentwickeln, von Seiten des Nationalkomitees der Dekade haben wir ein Perspektivpapier vorgelegt. Wir müssen dringend von Projekten zu Strukturen kommen. Das sieht man auch international so und Deutschland spielt in der Wahrnehmung von außen schon eine gewisse Vorreiterrolle.
Welche Strukturen sind außerhalb der Schulen nötig?
Stärkere Verpflichtungen brauchen wir auch von den Hochschulen. Bei Studiengängen oder im Forschungssegment ist schon einiges passiert, aber es muss noch mehr in der Organisationsstruktur von Hochschulen passieren. Bildungspläne müssen auch in der Elementarbildung – also im Kindergarten – überarbeitet werden. Dort ist das Thema Nachhaltigkeit bisher nur ganz rudimentär verankert. Oder nehmen Sie die Volkshochschulen: Dort könnten sich Netzwerke von Bildungseinrichtungen bilden, die den Nachhaltigkeitsgedanken gemeinsam und mit konkreten Projekten vorantreiben, wie es bereits in Rheinland-Pfalz passiert.
Das Gespräch führte Manuel Berkel.

Weiterführende Informationen

Portal zu den Aktionstagen Bildung für nachhaltige Entwicklung vom 20. bis 29. September 2013

Portal zur UN-Dekade Bildung für nachhaltige Entwicklung