Wie die EU die Wegwerfgesellschaft wegwerfen will

Europa macht allmählich ernst mit der Kreislaufwirtschaft. Bald sollen Konsumentinnen und Konsumenten anhand digitaler Produktpässe sehen können, wie gut Geräte, die sie kaufen, auch recycelt werden können.

Vermissen Sie den vertrauten morgendlichen Duft von Kaffee, weil Ihre Kaffeemaschine den Geist aufgegeben hat? Genau die Frage stellt seit Ende April das österreichische Umweltministerium auf einer Webseite und bietet seinen Bürgerinnen und Bürgern auch gleich einen Ausweg aus der Misere. Denn die können sich mit wenigen Mausklicks einen Reparaturbon herunterladen, mit dem gibt es in Partnerbetrieben im ganzen Land 50 Prozent Rabatt, maximal 200 Euro, auf die Reparatur von Elektrogeräten aller Art – Rasenmäher, Waschmaschinen, Toaster, Kaffeemaschinen. Die EU fördert den Reparaturbonus, den ersten in dieser Form in der Staatengemeinschaft, mit 130 Millionen Euro.

Die Idee dahinter: Österreich will damit einen Schritt in Richtung Kreislaufwirtschaft machen und die ist eben nur möglich, wenn man Neukäufe möglichst vermeidet und Geräte langlebiger werden. In der EU könnten ähnliche Projekte bald gängig sein: Am 30. März hat die Kommission ein ganzes Paket an Vorschlägen vorgelegt, die helfen sollen, sämtliche Waren in der EU umweltfreundlicher, kreislauffähiger und energieeffizienter zu machen. Besonders in sich hat es der Vorschlag für eine Überarbeitung der Ökodesign-Richtlinie, die in ihrer ersten Version 2005 erlassen wurde. Dank dieser Richtlinie klebt heute auf jedem Kühlschrank und jeder Waschmaschine ein Sticker, der auf einen Blick zeigt, wie energieeffizient die Geräte sind.

Die neue „Ökodesign-Verordnung für nachhaltige Produkte“ soll wesentlich weiter gehen. Unter anderem sieht sie vor, dass Verbraucherinnen und Verbraucher mit einem digitalen Produktpass künftig umfassend darüber informiert werden, welchen ökologischen Fußabdruck ein Produkt hat, woher die Rohstoffe kommen oder wie viel Recyclingmaterialien enthalten sind. Die Produkte sollen so „dauerhafter, zuverlässiger, wiederverwendbar, nachrüstbar, reparierbar, leichter zu erhalten und wiederaufzubereiten sowie energie- und ressourceneffizienter“ werden, schreibt die Kommission. Die Details für einzelne Produkte werden in diesem Jahr verhandelt, geplant ist, die üblichen Kennzeichnungen nach Buchstaben von A bis G beizubehalten. Die Kommission schlägt vor, die neuen Vorgaben zunächst auf Textilien, Möbel, Matratzen, Reifen, Detergenzien, also Stoffe für Reinigungsmittel, Farben, Schmierstoffe sowie Zwischenprodukte wie Eisen, Stahl und Aluminium anzuwenden, später sollen weitere Produktklassen folgen.

Förderung nachhaltiger Konsummuster

„Wenn Konsumentinnen und Konsumenten einfach soziale und ökologische Auswirkungen von Produkten vergleichen können, fördert das auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Konsummuster – so die Idee des Produktpasses“, sagt Gunda Röstel, Geschäftsführerin der Stadtentwässerung Dresden GmbH und Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung. Der digitale Produktpass sei vergleichbar mit einer Waschanleitung für Kleidungsstücke und werde auch Informationen zu den jeweiligen Herstellungsprozessen enthalten. „In den Produkten unseres täglichen Lebens steckt eine Vielzahl verschiedener Ressourcen, man kann sich Smartphones, Laptops und Waschmaschine wie kleine Materialkästen vorstellen. Nur wenn nachvollziehbar ist, welche Ressourcen in Produkten stecken, können diese auch einfach und im großen Maß über die erste Lebensphase hinaus genutzt werden“, sagt Röstel.

Der Rat für Nachhaltige Entwicklung hat bereits im vergangenen Jahr in einer Stellungnahme betont, wie wichtig die Transformation hin zu einer zirkulären Wirtschaftsweise ist. Möglichst geschlossene Ressourcenkreisläufe seien von maßgeblicher Bedeutung, um die verschiedenen Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Der RNE forderte deshalb „einen neuen, ressortübergreifenden Steuerungsmechanismus zu organisieren, der vom Kanzleramt koordiniert werden sollte.“ Deutschland müsse sich konkrete Ziele setzen, wie stark der Verbrauch von Primärrohstoffen vermindert werden soll.

Die EU hat solche Zwischenziele zwar noch nicht formuliert, ist sich aber der Größe der Aufgabe bewusst. Die Hälfte aller Treibhausgasemissionen und 90 Prozent des Verlusts an biologischer Vielfalt sind weltweit darauf zurückzuführen, dass Primärrohstoffe gewonnen und verarbeitet werden, schreibt die Kommission. Bis 2050 soll die EU klimaneutral werden und das Ziel sei nur mit einer Kreislaufwirtschaft zu schaffen: In einem Zwischenschritt sollen deshalb in der EU bis 2030 doppelt so viele kreislauforientierte Materialien verwendet werden wie bisher.

Das vorgeschlagene Maßnahmenpaket vom März ist nur eines von vielen im Rahmen des Europäischen Grünen Deals. Es enthält eine ganze Reihe weiterer Vorhaben, so sollen etwa Textilien haltbarer werden, leichter repariert und recycelt werden können. Und die Kommission begründet die Vorhaben nicht mehr nur ökonomisch und ökologisch, sondern auch sicherheitspolitisch: Eine Kreislaufwirtschaft schaffe eine EU, die „nicht mehr von Energie- und Ressourcenabhängigkeit geprägt ist, externen Schocks besser standhalten kann und die Natur und die menschliche Gesundheit respektiert“. Bis 2030 könnten dank des neuen Rahmens 132 Millionen Tonnen an Primärenergie eingespart werden, so die Kommission. Das entspreche der Gesamtheit der russischen Erdgasimporte in die EU.