Schafft die EU den Ökolandbau ab?

Die EU will reformieren, was bio im Sinne des Ökolandbaus ist. Bis Ende 2016 könnte eine Einigung zwischen Ministerrat, Kommission und EU-Parlament stehen. Die Meinungen über die Reform gehen auseinander. Ökobauern befürchten das Aus.

Die Verhandlungen um die neue EU-Bioverordnung gehen in die entscheidende Phase. „Wir sind wild entschlossen, bis Ende des Jahres eine Einigung zu haben“, sagt Martin Häusling (Grüne), der für das EU-Parlament die Gespräche mit der EU-Kommission und dem Ministerrat führt. Wie bei EU-Gesetzgebung üblich müssen sich alle drei Gremien einigen. Von Mitte September an soll es bis Ende des Jahres zehn weitere Gesprächsrunden geben.

Bei der Reform geht es um die Frage, was die EU-Bürger im nächsten Jahrzehnt auf den Tisch bekommen, wenn sie etwas mit EU-Biosiegel kaufen. Wie werden diese Waren produziert, wie wird kontrolliert, was wird importiert, wie werden Bio-Tiere gehalten, welche Hersteller profitieren von den neuen Regeln, wer muss sich umstellen?

Die Branche wächst. Am Ende des Jahres 2009, an dessen Beginn die damals neue Europäische Öko-Verordnung in Kraft trat, bewirtschafteten Ökolandwirte 947.115 Hektar in Deutschland. Heute sind es 1.088.838, das macht 6,5 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche (1999: 2,9 Prozent). Der Anteil soll auf 20 Prozent steigen, so lautet die Vorgabe der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, die auch in der aktuellen Fortschreibung der Bundesregierung Bestand haben soll. Der Konsum nachhaltiger Produkte wächst allerdings schneller als der Flächenanteil. Der Umsatz an Biolebensmitteln stieg von 5,8 Milliarden Euro 2009 auf über acht Milliarden 2015 und nimmt weiter deutlich zu.

Grenzwerte

Biobauern wenden die konventionellen Schädlingsbekämpfungsmittel ohnehin nicht an. Die Kommission will trotzdem für Bioprodukte Sondergrenzwerte einführen und bei Überschreitung die Biozertifizierung der Lebensmittel aberkennen. Die Grenzwerte sollen die komplizierten Kontrollen ersetzen. An dieser Stelle wird seit Jahren gerungen.

Mehrfach hat die Kommission schon ein Abrücken von ihren Vorstellungen angekündigt und ist dann doch immer wieder bei ihrer Idee geblieben. Seit Jahren erklären deutsche Ökobauern und allen voran Heinrich Graf von Bassewitz, Ökobauer in Mecklenburg-Vorpommern und langjähriges, ehemaliges Mitglied im Nachhaltigkeitsrat, warum das ein Problem ist. Verwehungen aus der Pestizidanwendung auf Nachbarfeldern und die allgemeine Hintergrundbelastung können selbst auch dort, wo man sie nicht erwartet und in Produkten des Ökolandbaus gemessen werden.

EU-Grenzwerte würden der Prozessqualität des Ökolandbaus im Hinblick auf Biodiversität und Lebensräume nicht gerecht und sie würden das Verursacherprinzip auf den Kopf stellen. Die Ökobranche schätzt, dass sie für einen erheblichen Teil der deutschen Produzenten das Aus bedeuten würde. „Der Vorschlag des Babyfoodstandards ist jetzt im Prinzip vom Tisch“, sagt Häusling. Allerdings pocht die EU-Kommission weiterhin auf getrennte Grenzwerte für Bioprodukte.

Eine Sprecherin des zuständigen Agrarkommissars wollte Details der Verhandlungen auf Anfrage nicht kommentieren. Die Bundesregierung steht auf der Seite der Ökobranche und ist „gegen die Einführung gesonderter Schwellenwerte für Rückstände von Stoffen, die bei der Produktion von Bio-Erzeugnissen nicht erlaubt sind“, erklärte ein Sprecher des Bundeslandwirtschaftsministeriums.

Import mit gleichen Standards?

Ein weiterer Konflikt ist die Frage, wie die komplizierten Importregeln für Bioprodukte geändert werden sollen. Bisher gab es eine weitreichende wechselseitige Anerkennung von Standards zur Bioproduktion zwischen der EU und Staaten, die hierher importierten – genau genommen 60 verschiedene Sonderregelungen, was nach Ansicht der Kommission das Vertrauen in Bioprodukte untergrabe.

Ein Großteil der in der EU verbrauchten Biowaren wird schließlich eingeführt. Laut Häusling gibt es nun die Einigung, dass Importe grundsätzlich den europäischen Standards entsprechen müssen. „Warum soll Weizen aus der Ukraine andere Bedingungen haben als aus Deutschland?“, fragt der Berichterstatter. Ausnahmen soll es nur für eine Übergangszeit geben und das nur für solche Produkte, die ohnehin nicht in der EU angebaut werden. . Zudem soll es einen besseren Datenaustausch zwischen den Behörden geben, die mit der Überwachung der Biovorschriften in den Ländern betraut sind. Denn bei der konkreten Überwachung gibt es Defizite, die auch die besten Standards zur Makulatur machen.

Auch die privaten Prüfer sollen besser registriert werden, bei Verstößen gegen ihre Aufsichtspflicht soll es leichter werden, ihnen die Lizenz zu entziehen. Bisher gab es immer wieder Bioskandale – etwa konventioneller Weizen, der in großem Umfang als bio etikettiert wurde – bei denen sich Behörden der Länder nicht gegenseitig informierten. Nun soll ein besserer Datenaustausch her. Zu diesen Punkten gebe es immerhin eine vorläufige Einigung, sagt Häusling.

Was ist Biosaatgut?

Keine Einigung gibt es bisher bei der Frage von Biosaatgut. Grundproblem ist, dass es keine umfassende Versorgung mit Saatgut gibt, das nach Biostandards produziert wurde. Nationale Behörden erlassen deshalb zahlreiche Sondergenehmigungen, mit denen Landwirte auch konventionell produziertes und damit günstigeres Saatgut im Biolandbau verwenden dürfen. Die Regelungen fallen von Land zu Land unterschiedlich aus, was zu Wettbewerbsverzerrungen führt.

Die Kommission wollte es deshalb schlichtweg verbieten, konventionelles Saatgut im Biolandbau zu verwenden. Was allerdings, so kritisierten es beispielsweise deutsche Bioverbände, viele Landwirte vor unlösbare Probleme gestellt hätte, weil es schlicht noch nicht genug biologische Alternativen gibt – etwa bei winterfestem Saatgut für Nordeuropa. Heute müssten Ökolandwirte in Deutschland, bevor sie konventionelles Saatgut verwenden dürfen, der Kontrollbehörde über eine Datenbank nachweisen, dass es keine Bio-Alternative gibt, erklärt Felix zu Löwenstein, Vorsitzender des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Das sei bei Gemüse oder Kräutern immer wieder der Fall. „Wenn wir jetzt die reine Lehre umsetzen würden, dann gibt es eben kein Bio-Brokkoli mehr“, sagt er.

Das Parlament fordert deshalb, auch weiterhin konventionelles Saatgut verwenden zu dürfen, wenn es nicht anders geht. Das sieht auch der Ministerrat und die Bundesregierung so: „Die Ausnahmegenehmigungen sind weiter erforderlich, soweit auf dem Saatgutmarkt ökologisch erzeugtes Saatgut und ebensolches vegetatives Vermehrungsmaterial noch nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen“, sagte ein Sprecher von Agrarminister Christian Schmidt.

Das Parlament will eine europaweite Verordnung für Biosaatgut, die es bisher nicht gibt, mehr Geld für Forschung und Entwicklung, Produzenten von Biosaatgut sollen gefördert werden – und konventionelles Saatgut soll im Biolandbau nicht verboten, die Ausnahmen allerdings von der Kommission einheitlich geregelt werden.

Die Position des RNE

Das sind laut Häusling die drei wichtigsten Knackpunkte, die es in den kommenden Monaten noch zu lösen gilt. Ursprünglich war geplant, dass die Änderungen 2019 in Kraft treten. „Der Zeitplan wird aber selbst bei zügigen Verhandlungen nicht mehr zu halten sein“, glaubt Häusling. Für die Biobauern wäre eine schnelle Einigung wichtig. „Für die Biowirtschaft ist das sehr unangenehm. Wir wollen investieren, wissen aber nicht, welche Regeln wir in zwei Jahren einhalten müssen“, sagt Felix zu Löwenstein.

Der Nachhaltigkeitsrat unterstützt die Position der deutschen Ökolandwirte. Günther Bachmann, Generalsekretär des Rates, lehnt die EU-Idee als Schein-Reform ab und erinnert an die Empfehlung des Nachhaltigkeitsrates, den Ökolandbau zu einem Goldstandard für den Weg in eine nachhaltige Landbewirtschaftung zu machen. „Gerade jetzt, angesichts des Impulses der Sustainable Development Goals wäre es töricht, eine Selbstabschaffung der Nachhaltigkeitsziele für Ökolandbau und nachhaltige Landwirtschaft zuzulassen“, so Bachmann, „vielmehr wäre eine breite Forschungsoffensive nötig.“ Öko-Verarbeiter und Händler sollten heimische Rohstoffe bevorzugen.