Parlamentarischer Beirat für nachhaltige Entwicklung wird gestärkt

Noch ist das Gremium nicht offiziell eingesetzt, aber schon jetzt deutet sich an: Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung (PBNE) des Bundestages bekommt mehr Einfluss. Ausschüsse müssen sich künftig schriftlich mit seinen Empfehlungen befassen. Zudem soll der PBNE besser prüfen können, ob ein Gesetz den Leitlinien nachhaltiger Entwicklung entspricht. Das 2004 geschaffene Gremium soll überparteilich dafür sorgen, dass Politik langfristige, ökonomisch, sozial und ökologisch sinnvolle Entscheidungen trifft.

Pionierarbeit habe der PBNE in der vergangenen Legislaturperiode geleistet, sagt Andreas Jung (CDU), Vorsitzender des Beirates von 2009 bis 2013. Das Gremium habe dafür gesorgt, dass Ministerien sich an das halten, was seit dem 27. Mai 2009 die gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien vorsieht: Das neue Gesetze eine Einschätzung beinhalten, ob sie den Leitlinien nachhaltiger Entwicklung entsprechen. Eine entsprechende Prüfung ist mittlerweile obligatorisch.„Der Beirat hat eine Wachhund-Funktion – wir prüfen, ob diese Vorgaben auch eingehalten werden“, sagt Jung.

Allerdings gibt es Verbesserungsbedarf. So sagt Valerie Wilms (Grüne), die ebenfalls im Beirat saß: „Die Erklärungen der Ministerien sind manchmal sehr schwach ausgefallen und waren nicht immer nachvollziehbar. Wir mussten uns oft überlegen, wie häufig wir das anprangern.“ Für die Kriterien einer Nachhaltigkeitsprüfung gibt es bisher nicht mehr als einen unverbindlichen Leitfaden des Bundesinnenministeriums.

Deshalb achtete der PBNE bisher lediglich darauf, ob eine solche Prüfung plausibel und nachvollziehbar war und ob sie sich an den Indikatoren der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie orientiert. Er hat also nur Formalien kontrolliert. Das könnte sich allmählich ändern:

Vermutlich noch im Februar wird der Bundestag den Beirat neu einsetzen, danach bestimmen die Fraktionen der Parteien, welche Parlamentarier sie entsenden werden. Bisher heißt es in der Beschlussvorlage, dass künftig sämtliche Anträge, Verordnungen und Gesetzentwürfe den Leitlinien nachhaltiger Entwicklung entsprechen sollen. „Um dieses Ziel zu erreichen, müssen sukzessive die Nachhaltigkeitsprüfung fortentwickelt und die Kompetenzen des PBNE entsprechend angepasst werden“, heißt es darin.

Konkrete Prüfung wird schwerer

Konkret heißt das: Zukünftig könnte der formelle Prüfauftrag des PBNE weiterentwickelt werden. Gesetzesentwürfe können dann auch inhaltlich auf Nachhaltigkeit geprüft werden. “Nur so erhalten wir die Möglichkeit auf etwaige inhaltliche Mängel in Gesetzesentwürfen hinzuweisen. Dazu müssten wir aber zunächst überparteilich Kriterien entwickeln, anhand derer wie eine solche Prüfung vornehmen”, sagt Jung.

Ist beispielsweise die Mütterrente nachhaltig oder nicht? Ja, denn sie dient der „Stärkung des sozialen Zusammenhalts“, heißt es im entsprechenden Gesetzesentwurf. Allerdings kostet sie jährlich zwischen sechs und sieben Milliarden Euro, was der finanziellen Nachhaltigkeit widersprechen könnte.

Solche Abwägungen wird der Beirat künftig wahrscheinlich treffen müssen. Bisher galt das Prinzip, dass nach Möglichkeit alle Mitglieder, also alle Parteien, einen Beschluss einstimmig annehmen sollen. „Die Entscheidungen des Beirates erhalten dadurch ein besonderes Gewicht“, sagt Jung. So kam es, dass in der vergangenen Legislaturperiode Union, SPD, FDP, Die Linke und die Grünen die Bundesregierung gemeinsam aufforderten, den Export von Atomtechnologie nicht mehr durch Hermes-Bürgschaften des Staates abzusichern. In einem gemeinsamen Beschluss, Deutschland müsse stärker gegen den zu hohen Verbrauch von unverbauten Flächen vorgehen, gab es dagegen ein Sondervotum der Linken.

An dem Prinzip der Einstimmigkeit wollen die vier für diesen Text befragten ehemaligen Mitglieder des Beirats – Andreas Jung, CDU, Matthias Miersch, SPD, Ralph Lenkert, Die Linke, Valerie Wilms, Grüne – nicht rütteln. „Der Vorteil des Beirates ist, dass er nicht in den eingefahrenen parteipolitischen Gleisen und den Schemata der einzelnen Fachgebiete denkt, sondern systemisch“, sagt Lenkert.

Wilms glaubt, die Einstimmigkeit sei „die stärkste Waffe, um Gehör zu finden“. „Streng genommen dürfen keine Vorhaben die Nachhaltigkeitskriterien unterwandern. Aber für mich ist das Konsensprinzip wichtiger, als dass wir uns gar nicht mehr einigen können“, sagt sie.
Einig sind sich auch alle befragten Abgeordneten, dass der Beirat die Nachhaltigkeitsstrategie der EU voran bringen sollte. Auch die internationalen Verhandlungen für ein neues Klimaschutzabkommen und die globalen Nachhaltigkeitsziele der UN, die derzeit verhandelt werden, sollen Schwerpunkte der Arbeit sein. Außerdem wünschen sich alle vier Parlamentarier, dass der Beirat als dauerhafte Einrichtung etabliert und nicht nur von Legislaturperiode zu Legislaturperiode neu eingesetzt wird.

Mut zum Einmischen

„Künftig sollte der Beirat mehr Mut haben, sich auch die großen Vorhaben der Regierung anzuschauen und zu sagen: Das ist uns in Sachen Nachhaltigkeit zu dünn“, sagt Miersch. Er fordert zudem, die Ergebnisse der Enquete-Kommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität als Grundlage für eine umfassende Nachhaltigkeitsdebatte zu nutzen.

Die Kommission hatte parteiübergreifend versucht, ein neues Wachstumsmodell zu entwickeln und legte im Juni 2013 ihren Bericht vor. Miersch will das Thema Nachhaltigkeit generell mehr in den Mittelpunkt rücken. „Der Bundestag sollte einmal im Jahr einen Tag lang seine Vorhaben nur unter dem Aspekt diskutieren, wie sie sich auf künftige Generationen auswirken“, fordert er.

Ralph Lenkert wünscht sich, in die Gesetzgebung eine „Zwangsschleife“ einzubauen: Fällt ein Vorhaben durch eine inhaltliche Nachhaltigkeitsprüfung, sollte sich der Bundestag ein weiteres Mal damit befassen müssen. „Leider schaffen wir das in dieser Legislaturperiode vermutlich nicht“, sagt er.

Der Tenor der vier Politiker: Der Beirat sollte sich auf von allen Parteien akzeptierte Kriterien für eine umfassende Nachhaltigkeitsprüfung von Gesetzen einigen und sich jenseits tagesaktueller politischer Arbeit mehr Gewicht und Gehör verschaffen. Besser langsam, dafür dauerhaft. Klingt nachhaltig.

Weiterführende Informationen

Fortschrittsbericht 2012 zur Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie [pdf, 4,8 MB]

Webseite des Parlamentarischen Beirats für Nachhaltige Entwicklung