Kraftwerke nur noch gegen Garantien

Wegen des Siegeszugs von Öko-Strom wirbt die deutsche Energiewirtschaft massiv um neue Milliardenhilfen für Kohle- und Gas-Kraftwerke. Die umfassendste Form eines sogenannten Kapazitätsmarktes führt derzeit Großbritannien ein. Experten sehen darin aber ein abschreckendes Beispiel für missglückte Staatseingriffe.

Die verzwickte Lage der traditionellen Energiewirtschaft zeigt sich an einer steil abfallenden Kurve. Stand der Preis für eine Megawattstunde Strom an der Leipziger Börse 2011 noch bei fast 60 Euro, ist er aktuell auf nur noch 35 Euro gefallen. Verantwortlich sind niedrige Preise für Kohle und CO2-Verschmutzungsrechte und der Boom regenerativer Energien. Seit 2010 hat sich die Leistung der hierzulande installierten Solaranlagen verdoppelt. Bei bestem Sonnenschein können sie nun mehr Strom liefern als alle Gaskraftwerke in Deutschland zusammen.

Noch behelfen sich vor allem die Betreiber von Kohlekraftwerken damit, einen Teil ihres Stroms ins Ausland zu verkaufen, doch dauerhaft lassen sich bei diesen niedrigen Preisen immer weniger fossile Meiler halten. Fast jedes zehnte Gas-, Äl- oder Kohlekraftwerk hat die Stromwirtschaft inzwischen bei der Bundesnetzagentur zur Stilllegung angemeldet, weil sie unwirtschaftlich seien.

Als Teil der Energiewende ist das Aus klimaschädlicher Kraftwerke politisch zwar gewollt, doch für Zeiten, in denen wenig Wind weht und keine Sonne scheint, werden weiterhin fossile Stromerzeuger benötigt. Zudem macht die Elektrizitätswirtschaft wegen der gesunkenen Einnahmen erheblichen Druck auf die Politik.

Stadtwerke und die Gewerkschaft Verdi warnten im Frühjahr, dass 20.000 Arbeitsplätze in der kommunalen Strom- und Wärmeerzeugung in Gefahr seien. Der Energieriese RWE hat seit 2011 bereits 6200 Stellen gestrichen oder durch Unternehmensverkäufe verloren, bis 2016 sollen weitere 6700 folgen. Ähnliche Sparaktionen plant Eon.

Fossile Kraftwerke stehen meistens still

Die beiden größten Branchenverbände VKU (Verband kommunaler Unternehmen) und BDEW (Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft) fordern deshalb, dass die Bundesregierung noch in dieser Legislaturperiode die gesetzliche Grundlage für einen sogenannten Kapazitätsmarkt schafft. Kraftwerke würden dann nicht mehr nur für tatsächlich erzeugte Energie bezahlt, sondern für das bloße Vorhalten von gesicherten Kapazitäten, die als Reserve einspringen, wenn Ökoenergien nicht liefern können.

Mehrere europäische Staaten wie Spanien und Italien haben Kapazitätsmechanismen bereits eingeführt, andere wie Frankreich und Ungarn planen solche Instrumente. Am weitesten will Großbritannien gehen. Bereits im kommenden Dezember soll der zentrale Netzbetreiber National Grid im Auftrag der Regierung in Auktionen über 50 Gigawatt an gesicherter Stromerzeugungsleistung für die Jahre 2018/2019 einsammeln. Das entspricht etwa 50 großen Kohlekraftwerken. Die Betreiber bekommen über 10 bis 15 Jahre garantierte Prämienzahlungen, finanziert von den Stromverbrauchern ähnlich der deutschen EEG-Umlage zur Finanzierung von Solar- und Windkraftanlagen.

Ende Juli hat die EU-Kommission der britischen Regierung die beihilferechtliche Genehmigung erteilt, der Einführung steht nun nichts mehr im Weg. Die britische Kapazitätslösung ist besonders umfassend. Andere Länder wie Polen und Schweden sichern einen viel kleineren Teil ihres maximalen Stromverbrauchs durch sogenannte Strategische Reserven ab.

Dahinter steht die Überzeugung, dass nur eine kleine Zahl von Backup-Kraftwerken zum Beispiel für extreme Wetterereignisse nötig ist. Da bei diesem Modell nur wenige Kraftwerke staatlich bezuschusst werden, bleibt nach einer Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) der bisherige Strommarkt weitgehend unbeeinflusst. Damit erhöhe sich die Chance, dass der Strompreis an der Börse wieder steigt und sich die Wirtschaftlichkeit der Kraftwerke wieder verbessert.

Staatsgeld hält Uralt-Kraftwerke am Markt

Im britischen Kapazitätsmarkt können zudem nicht nur emissionsarme Kraftwerke zusätzliches Geld erhalten, sondern auch besonders umweltschädliche, ältere Kohlekraftwerke. Als Folge des Kapazitätsmarktes werden ausgerechnet diese Anlagen in Großbritannien länger in Betrieb bleiben, heißt es beim Informationsdienstleister Bloomberg New Energy Finance. Investitionen in neue, CO2-arme Gaskraftwerke würden verzögert – genauso wie Anstrengungen, den Stromverbrauch von Industrieanlagen oder Verbrauchern stärker am Wind- und Solarstromaufkommen auszurichten.

Selbst langfristig setzt der britische Kapazitätsmarkt den Analysten zufolge falsche Anreize. Wegen schärferer Emissionsauflagen der EU würden 2024 zwar die ältesten Kohlekraftwerke trotzdem abgeschaltet. Selbst dann würden aber nicht die CO2-ärmsten Gaskraftwerke mit Wirkungsgraden von derzeit 60 Prozent gebaut, sondern weiterhin günstigere, dafür aber ineffizientere Gas-Turbinen zum Einsatz kommen, die gerade mal halb so viel Strom aus dem Erdgas herausholen wie ihre komplexeren Pendants.

„Weil die Investitionen so hoch sind, werden Investoren die Risiken minimieren und sich mit den garantierten Kapazitätszahlungen begnügen, statt auf zusätzliche, aber unsichere Einnahmen an der Strombörse zu spekulieren“, erklärt Monne Depraetere von Bloomberg.

Bei den Grünen gibt es Überlegungen, dieses Problem durch das Vorschreiben hoher Mindestwirkungsgrade zu verhindern. Doch daran wird deutlich, wie komplex die Einführung eines Kapazitätsmarktes ist und wie er immer neue Regulierungen nach sich zieht. Gerade in Großbritannien stehen die Kapazitätszahlungen am vorläufigen Ende einer ganzen Reihe staatlicher Änderungen des Strommarktes.

„Die Teilnehmer auf dem britischen Markt sind nach einer Anzahl an Marktdesignänderungen und regelmäßig wechselnden politischen Eingriffen derart verunsichert, dass sie ohne staatliche Garantien nicht mehr zu Investitionen in den Markt bereit sind“, schreiben Gutachter des Bundeswirtschaftsministeriums in Berlin.

Mehrere Studien für die Bundesregierung hatten sich zuletzt dafür ausgesprochen, zunächst kleinere Änderungen am bestehenden Strommarkt vorzunehmen und auf Kapazitätszahlungen zu verzichten. Das Wirtschaftsministerium will nun erst einmal einen längeren Konsultationsprozess starten, bevor es über die Einführung eines Kapazitätsmarktes entscheidet.

Weiterführende Informationen

Britische Regierung zum Kapazitätsmarkt

EU-Kommission zur beihilferechtlichen Genehmigung

Kommentar von Bloomberg New Energy Finance

Gutachten für das Bundeswirtschaftsministerium

Analyse des DIW [pdf, 213 KB]