„Indizes sind Schaufenster der Nachhaltigkeit“ – Interview mit Julia Taeschner von der Deutschen Börse

Börsen helfen Anlegern dabei, Kapital in nachhaltige Unternehmen zu lenken, sagt Julia Taeschner, die als Head of Unit Corporate Responsibility seit 2009 die Nachhaltigkeitsberichterstattung der Deutschen Börse AG verantwortet. Für die Vereinten Nationen sind Anleger eine wichtige Zielgruppe, um künftige nachhaltige Entwicklungsziele (SDGs) zu erreichen.

Frau Taeschner, Investitionen in nachhaltig wirtschaftende Unternehmen machen nur einen winzigen Teil des Kapitalmarktes aus. Nach einer Erhebung des Forums Nachhaltige Geldanlagen sind es 1,5 Prozent. Warum ist dieser Anteil so gering?

Das ist auch eine Definitionsfrage – Investoren und Produktanbieter legen den Begriff Nachhaltigkeit sehr unterschiedlich aus. Einige verfolgen einen Best-in-class-Ansatz. Das bedeutet: Aus jeder Branche werden die nachhaltigsten Unternehmen ausgewählt. Andere schließen bestimmte Sektoren generell aus oder investieren beispielsweise ausschließlich in Branchen, die als besonders ökologisch gelten, wie etwa erneuerbare Energien. Und je weiter man die Definition fasst, desto höher ist auch der Anteil. Nichtsdestotrotz geht es in Summe immer noch um einen sehr kleinen Teil der weltweiten Investments, aber der Anteil steigt.

Die Deutsche Börse und Ihre Tochter STOXX legen selbst Indizes nachhaltiger Unternehmen auf. Wie entwickelt sich die Nachfrage nach diesen Informationen?

An erster Stelle vermarkten wir die Indizes aus der Familie STOXX ESG Global Leaders, die auch auf Wunsch von Kunden entwickelt wurden. Wir haben einen besonders transparenten Ansatz gewählt, sodass man die einzelnen Kriterien und deren Gewichtung nach denen der Index aufgesetzt wurde, im Internet einsehen kann. Als Börse wollen wir für Transparenz im Markt sorgen und unsere Indizes sind hier ein zuverlässiger Wegweiser durch die Vielzahl der Produkte und Ansätze verantwortlicher Investments. Das Interesse ist da, aber es gibt noch keine börsengehandelten Indizes auf diese Produkte.

Kleinanleger nutzen dieses Instrument also noch nicht, um sich zu informieren?

Wesentliche Nutzer sind aktuell vor allem große Kapitalsammelstellen wie Pensionsfonds und Versicherungen mit einem langfristigen Anlagehorizont. Gemäß der Information unserer Kunden fragt das Gros der Privatanleger in der Regel noch nicht nach Nachhaltigkeitsinformationen, aber es gibt durchaus Anleger mit hohem Verständnis und großem Interesse. Auch für diese Zielgruppe funktioniert ein Index wie eine Art Schaufenster. Interessierte Anleger können sich mit ihm darüber informieren, wer besonders nachhaltig wirtschaftet. Über unsere Webseite haben sie dann eine hervorragende Möglichkeit, sich passende Unternehmen herauszusuchen.

Gerade arme Staaten brauchen für eine nachhaltige Entwicklung mehr Kapital – zum Beispiel für Investitionen in Infrastruktur oder neue Arbeitsplätze. Nur so können die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen erreicht werden. Warum bieten Sie keine Indizes für solche Länder an?

Wir sehen diesbezüglich noch keine Nachfrage, stehen aber in den Startlöchern. Es gibt bereits große Datenanbieter, von denen man entsprechende Daten beziehen könnte, und unser transparentes Indexkonzept ist auf alle Märkte ausweitbar. Wir brauchen aber einen Bedarf von der Kundenseite.

Anleger brauchen für ihre Entscheidungen Informationen der Unternehmen über deren Nachhaltigkeit. Deshalb schreiben immer mehr Börsen weltweit den bei ihnen gelisteten Firmen die Veröffentlichung solcher Daten vor. Warum macht die Deutsche Börse das nicht?

Wir schreiben es in der Tat nicht vor, aber wir veröffentlichen schon seit Jahren für 1800 globale Unternehmen ausgewählte Nachhaltigkeitsdaten und Umweltkennzahlen. Im September 2013 haben wir mit Marktteilnehmern einen Best-Practice-Guide entwickelt mit dem Ziel, Nachhaltigkeitsinformationen in eine effektive Kapitalmarktkommunikation aufzunehmen. Ein solches Statement einer großen Börse ist sicher ein wichtiges Zeichen. Bei der Entwicklung des Leitfadens haben uns Investoren aufgezeigt, dass die unternehmensspezifische Auswahl und Priorisierung der berichteten Daten eine große Erkenntnis zur Nachhaltigkeitsleistung der Unternehmen generiert. Wenn man ein standardisiertes Datenset vorgeben würde und Unternehmen nur über dieses berichten müssten, würde das nach Investorenmeinung weniger über die Nachhaltigkeitsleistung der Unternehmen aussagen als ein präskriptiver Ansatz.

Eine neue EU-Richtlinie schreibt ab 2017 zumindest großen Unternehmen von öffentlichem Interesse Nachhaltigkeitsberichte vor. Was für Unternehmen werden das sein?

Für das „öffentliche Interesse“ ist uns noch keine konkrete Definition bekannt. Wir gehen davon aus, dass es sich um kapitalmarktorientierte Unternehmen handeln wird, die entweder an der Börse gelistet sind oder Anleihen begeben. Es ist wichtig, dass nicht nur große Unternehmen aus dem DAX betroffen sind, sondern auch an der Börse gelistete Mittelständler, zum Beispiel aus dem MDAX, erfasst werden. Aus unserer Sicht kommt es darauf an, in einem ersten Schritt die Messlatte nicht zu hoch zu legen und für eine breitere Verfügbarkeit von Nachhaltigkeitsdaten zu sorgen.

Weiterführende Informationen

Nachhaltigkeitsinformationen von Unternehmen bei der Deutschen Börse

Best-Practice-Guide zu Nachhaltigkeit in der Kapitalmarktkommunikation [PDF, 1 MB]

Marktbericht Forum nachhaltige Geldanlagen [PDF, 6,6 MB]

Mitteilung des Europäischen Rates zur Transparenz-Richtlinie [PDF, 172 kB]

World Investment Report der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung [PDF, 8,9 MB]

Jahresbericht der Sustainable Stock Exchanges Initiative [PDF, 3,5 MB]