Die Stadt investiert viel Geld und Energie in eine nachhaltige Entwicklung. Im Interview spricht Oberbürgermeisterin und RNE-Mitglied Katja Dörner über Erfolgsfaktoren von Transformationsprojekten und wie sich die Bundespolitik auf die Spielräume der Kommunen auswirkt.

Die Stadt Bonn investiert viel Geld und Energie in eine nachhaltige Entwicklung. Foto: Thomas/Pixabay
Bonn hat schon 2019 beschlossen, bis 2035 klimaneutral zu werden und damit eine Vorreiterfunktion in Sachen kommunaler Nachhaltigkeit übernommen. Wie hat das funktioniert?
Katja Dörner: Unmittelbar nach meiner Amtsübernahme im Herbst 2020 habe ich mich an die Umsetzung dieses Ratsbeschlusses gemacht. Wir haben damals etwas für eine Stadtverwaltung Untypisches gemacht: Wir haben ein Gutachter-Konsortium bestehend aus Beratungsunternehmen und Wissenschaftlern beauftragt, konkrete Maßnahmen zu definieren, die uns schnell Richtung Klimaneutralität weiterbringen. Die Ergebnisse haben wir verwaltungsintern weiter ausgearbeitet, im Stadtrat diskutiert und dann einen der bundesweit ambitioniertesten Umsetzungspläne beschlossen, unterfüttert mit den notwendigen finanziellen und personellen Kapazitäten.
Ist Bonn denn finanziell besser aufgestellt als andere Kommunen?
Bonn steht finanziell mit dem Rücken zur Wand wie fast alle Kommunen bundesweit. Aber wir sind nicht im Haushaltssicherungskonzept, d.h. wir haben Handlungsspielräume. Und dann ist es eine Frage der Prioritäten. Allerdings müssen wir jetzt unser Förderprojekt für den Photovoltaik-Ausbau auslaufen lassen.
… das Bonn zur inoffiziellen Balkonkraftwerks-Hauptstadt gemacht hat.
Worauf wir sehr stolz sind. Denn dieses Projekt zeigt beispielhaft, dass Nachhaltigkeit immer eine soziale Komponente hat. Durch die Beteiligung von Mieter*innen konnten auch Menschen mit kleinem Geldbeutel von der Energiewende profitieren. Und der Erfolgt gibt uns Recht: Die Nachfrage war so groß, dass wir bei der Förderung mehrfach nachlegen mussten. Daran wollen wir mit einem neuen Förderprojekt für die Wärmewende anknüpfen, von dem ebenfalls sowohl Hausbesitzer*innen als auch Mieter*innen profitieren sollen.
Gute Beispiele für gelungen nachhaltige Stadtentwicklung findet man bei unseren europäischen Nachbarn, von Helsinki bis Paris. Schauen Sie bei Ihrer Ideenfindung auch darauf, was anderswo gut läuft?
Ja natürlich. Dass wir zum Beispiel versuchen, möglichst viel Durchgangsverkehr aus den Quartieren zu holen, ist von den in Barcelona erfolgreich etablieren „Superblocks“ inspiriert. Die Idee funktioniert auch in Bonn. Oder die Niederlande: auf gemeinsame Einladung der Stadt Bonn und der IHK Bonn/Rhein-Sieg hat eine Delegation aus der Bonner Wirtschaft, Politik, Verwaltung sowie Handels- und Mobilitätsorganisationen im Jahr 2023 die niederländische Universitätsstadt Utrecht besucht. Schwerpunkte der Delegationsreise waren Innenstadtentwicklung und Mobilität. Neben den guten Beispielen aus Utrecht war der Austausch auf Augenhöhe zwischen den Entscheidungsträger*innen mit unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungen zu Mobilität sehr wertvoll. In Bonn realisieren wir jetzt gemeinsam einiges davon, etwa Supermarktparkplätze zum Nachtparken. An der dort sehr erfolgreichen Mobilitätswende wollen wir uns gemeinsam orientieren.
Solche Projekte sind doch gut übertragbar?
Eine wichtige Grundlage und Gelingensbedingung für erfolgreiche Transformationsprojekte ist der politische Wille: In Bonn gibt es im Stadtrat eine Sensibilität und Mehrheit für das Thema. Das eröffnet viele Möglichkeiten. Beispiel Parkraumkonzepte: Wir wollen die Lebensqualität in den Quartieren verbessern, indem wir das Parken im öffentlichen Raum neu ordnen und mehr Platz für alle Nutzungsbedürfnisse schaffen. In der Vergangenheit wurde auch in Bonn oft das Parken auf Gehwegen erlaubt oder toleriert. Wer mit dem Rollator, dem Kinderwagen oder einfach mit schweren Einkaufstaschen unterwegs war, konnte die Gehwege dann nicht mehr oder nur noch schwer nutzen. An dieses Thema hat sich in der Vergangenheit kaum jemand herangetraut. Mit den Parkraumkonzepten achten wir jetzt jedoch darauf, dass überall die Mindestgehwegbreiten wieder eingehalten werden. Mit Erfolg: Zu Fuß gehen ist mittlerweile die meistgenutzte Mobilitätsform in Bonn. Zu Fuß werden mehr Wege zurückgelegt als mit dem Auto.
Wir wollen, dass immer mehr Menschen ihre Wege in Bonn umwelt- und stadtfreundlich zurücklegen. Deshalb investieren wir in den Ausbau unseres Radverkehrsnetzes und fördern das Zufußgehen. Bonn investiert heute zudem so viel in den Ausbau von Bus und Bahn wie seit dem Bau der U-Bahn in den 70er-Jahren nicht mehr. Neben einer neuen, modernen Fahrzeugflotte planen wir den Aus- und Neubau gleich mehrerer Linien: Dazu gehören nicht nur neue Bahnstrecken, sondern auch die erste voll in den Nahverkehr integrierte Seilbahn Deutschlands.
Obwohl die größten Verbesserungen erst noch kommen, wird das neue Angebot bereits sehr gut angenommen: 71 Prozent der Wege in Bonn werden zu Fuß, mit dem Rad oder Bus und Bahn zurückgelegt. Das ist ein gewaltiges Plus von elf Prozentpunkten in den vergangenen Jahren – und der Anteil des Autos ist im gleichen Maße gesunken.
Und Sie haben das Carsharing mit festen Stellplätzen für Anbieter massiv ausgebaut?
Carsharing ist die Alternative für alle, die mal ein Auto brauchen, aber nicht darauf angewiesen sind. Davon profitieren alle, denn Carsharing-Autos sparen wertvollen Platz im öffentlichen Raum. Während ein privates Auto in der Regel 23 Stunden am Tag steht, sind Carsharing-Autos viel häufiger unterwegs. Ein Carsharing-Auto ersetzt so im Schnitt zehn bis 16 private Autos. Dadurch sinkt der Parkdruck im Quartier und es wird Platz frei für Aufenthalts- und Grünflächen oder sichere Fuß- und Radwege.
Wir wollen den Parkraum insgesamt effizienter nutzen und haben dabei besonders den Wirtschaftsverkehr im Blick. Denn mit der Bonner Mobilitätswende wollen wir auch Platz für die Verkehre schaffen, die nicht oder noch nicht ohne Kraftfahrzeuge möglich sind. Deshalb waren wir in NRW 2024 die erste Stadt, die Wirtschaftsparkplätze eingeführt hat. Bei Neuplanungen richten wir zudem Ladezonen ein und ermöglichen dem Wirtschaftsverkehr mit Ausnahmegenehmigungen, auch in engen Stadtstraßen Parkmöglichkeiten zu finden. So erreichen beispielsweise Pflegedienste und das Handwerk verlässlicher ihre Kund*innen und Patient*innen.
Honoriert die Bevölkerung Ihren Umgestaltungswillen?
Meine Erfahrung ist: Gerade bei verkehrspolitischen Maßnahmen gibt es erst starken Gegenwind, aber nach einer gewissen Zeit sind immer mehr von den Neuerungen begeistert. Veränderung wird dann honoriert, wenn die Effekte sichtbar und erlebbar werden. Es gibt Studien dazu, dass der Verlust durch Veränderung im Vorfeld höher gewertet wird als der potenzielle Nutzen. Und nach anderthalb, zwei Jahren denkt niemand mehr drüber nach. Am spürbarsten war das bei der Umgestaltung des Bonner Rheinufers: Zu Beginn gab es viel Aufregung darüber, dass Autos nicht mehr durchfahren oder parken können. Heute ist das Rheinufer eine der beliebtesten Radstrecken im Stadtgebiet, wir haben Platz für neue Grünflächen gewonnen und die Menschen halten sich sehr gerne am jetzt ruhigen Ufer auf. Jetzt verkaufen die größten Kritiker das als eigene Idee. Gut so! Aber bis dahin braucht man Durchhaltevermögen.
Die neue Bundesregierung schafft finanziell gerade über Sondervermögen auch für Infrastruktur neue Spielräume. Profitieren davon auch die Kommunen?
Wir begrüßen das Investitionspaket mit Blick auf den jahrelangen Investitionsstau in Infrastrukturen vor Ort, wie z.B. für Verkehr, Energie oder Bildung. Aber uns besorgt die aktuell diskutierte Steuerreform. Sie würde die Einnahmesituation der Kommunen in den Kernhaushalten noch einmal verschlechtern. Das wäre dramatisch. In den vergangenen Jahren hat der Bund den Kommunen immer mehr Aufgaben übertragen, aber finanziell nicht nachgezogen. Daher ist meine Forderung, auch als Vizepräsidentin des Deutschen Städtetags: Ein größerer Anteil der Einnahmen an den Umsatzsteuern, aber auch insgesamt der Steuereinnahmen des Bundes, muss an die Kommunen gehen. Das Problem ist die grundsätzliche Finanzausstattung in den Kommunen.
Inhaltlich befürworte ich viele angekündigten Maßnahmen, etwa den Ausbau der Ganztagsbetreuung. Das ist bildungspolitisch wichtig, das ist für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wichtig, also auch im Sinn der Geschlechtergerechtigkeit. Das Problem ist nur, dass die Eltern im Zweifel den Kitaplatz bei den Kommunen einklagen, diese aber nicht über die für den Ausbau erforderlichen zusätzlichen Mittel verfügen. Oder die Reform des Wohngeldes 2024: sozialpolitisch sinnvoll. Aber weil durch die Anpassung der Bemessungsgrenzen in Bonn jetzt dreimal so viele Menschen Anspruch auf Wohngeld haben, mussten wir neue Mitarbeitende einstellen, die die zusätzlichen Anträge bearbeiten. Oder Gesetze wie das Wachstumschancengesetz, mit dem die Bundesregierung Impulse für Wachstum und Investitionen setzen wollte. Die Mindereinnahmen, die sich daraus ergeben, betreffen nicht primär den Bund, sondern die kommunalen Haushalte. Das sind Mindereinnahmen, auf die wir keinerlei Einfluss haben. Auf den Punkt: Wer bestellt, sollte auch zahlen.