HLPF 2020: Die globalen Nachhaltigkeitsziele im Zeichen von Corona

Bis 2030 will die Staatengemeinschaft die Globalen Nachhaltigkeitsziele erreichen. Doch die weltweite Pandemie wirft viele Staaten in ihren Aktionsplänen zurück - und um den Multilateralismus steht es in diesen Zeiten schlecht.

Covid-19 hält die Welt seit Monaten in Atem. In einigen Staaten scheint die Pandemie eingedämmt. Andere Länder kämpfen verzweifelt gegen das Virus, die Infiziertenzahlen steigen rasant. Wiederum andere befinden sich bereits mitten in der sogenannten zweiten Welle. Die meisten Länder des Globalen Südens haben sehr früh mit einem Lockdown reagiert und stehen nun vor den verheerenden, indirekten sozialen und ökonomischen Folgen der Pandemie. Corona trifft die Staatengemeinschaft in einer Zeit, in der alle Kraft auf der Erreichung der 17 Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals – SDGs) der Vereinten Nationen (VN) liegen müsste. Bis 2030 sollen weltweit Hunger und Armut beendet sein, Klimaschutzziele erreicht, Bildung für alle Menschen zugänglich, Geschlechtergerechtigkeit hergestellt sein.

Vom 7. bis 16. Juli kamen Staatenvertreterinnen und -vertreter sowie Expertinnen und Experten vor allem aus Nichtregierungsorganisationen beim Hochrangigen Politischen Forum für Nachhaltige Entwicklung (High Level Political Forum – HLPF) zusammen. Das jährliche Treffen ist die wichtigste Plattform der Vereinten Nationen, um den Stand der Umsetzung der VN-Nachhaltigkeitsziele bis 2030 abzufragen. Im Fokus des diesjährigen Forums stand der Startschuss für eine Aktionsdekade, in der die Umsetzung der Ziele einer nachhaltigen Entwicklung beschleunigt werden sollen. In diesem Jahr fanden die Sitzungen im virtuellen Raum statt, um einer Verbreitung des Coronavirus vorzubeugen. Dabei sei das Forum aus Sicht von Expertinnen und Experten auch gleich inklusiver geworden: das virtuelle Format hat einer Vielzahl von Akteuren die Teilnahme ermöglicht, die sonst wegen der hohen Reisekosten nach New York meist nicht dabei sein können.

47 Staaten präsentierten ihre freiwilligen nationalen Berichte (voluntary national review – VNR) zu ihren Fortschritten bei den VN-Nachhaltigkeitszielen. Das Coronavirus prägte die Debatten um Aktionspläne und die Art und Weise, wie die internationale Staatengemeinschaft auf die Pandemie reagieren kann, um dennoch im Zeitplan bis 2030 zu bleiben.

Covid-19: Kampf gegen Armut ausgebremst

Die Sorge ist groß, dass Fortschritte, die bisher gemacht wurden, durch die Ausbreitung des Coronavirus zunichte gemacht werden. Insbesondere die Zahl der Menschen, die in Armut leben, dürfte steigen. Die Folgen der Pandemie werden – so vermuten Expertinnen und Experten aus Entwicklungspolitik oder dem Gesundheitswesen – über Generationen sichtbar sein. Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 und langfristige Entwicklungspläne müssten zusammengehen, um Armut und Hunger weltweit zu beenden, lautete die Forderung während des VN-Forums. Der Zugang zu guter medizinischer Versorgung, Schutz vor tödlichen Krankheiten, sowie qualitativ hochwertigen Bildungsangeboten müsse stärker gewährleistet werden. Kooperationen und Dialog zwischen verschiedenen Stakeholdern seien dazu notwendig, betonte Christina Duarte, Beauftragte der Vereinten Nationen für den afrikanischen Kontinent. „Es ist an der Zeit, dass politische Entscheider Prioritäten setzen für die Entwicklung der Menschheit.“

Imme Scholz, Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) und stellvertretende Direktorin des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE), wies in ihrem Beitrag auf dem VN-Forum auf den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Armutsbekämpfung und Klimaschutz hin. Wächst die Bevölkerung, so steigt auch der Ausstoß von Kohlendioxid. Zugleich ist die Zahl der Menschen, die in Armut leben groß. Um mehr Nachhaltigkeit zu erreichen, sei es notwendig, dass reiche Staaten ihr Konsumverhalten nach unten schraubten und auf Recycling oder regenerative Energien umschwenkten, sagte Scholz.

Für eine Erhebung des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik wurden 53 Entwicklungsländer beleuchtet. 70 Prozent dieser Staaten verbesserten zwar ihre Armutsraten innerhalb von 15 Jahren (zwischen 2000 und 2015), doch zulasten des Klimaschutzes. Zu den besten Ergebnissen kamen Uruguay und Costa Rica. In beiden Staaten wurde auf Bildungs- und Gesundheitsprogramme gesetzt. Zudem wurde in Erneuerbare Energien investiert. Scholz plädierte dafür, diesen Beispielen zu folgen, um im 21. Jahrhundert Armutsbekämpfung und Klimaschutz nicht gegeneinander auszuspielen. Denn genau dies droht zu passieren: eine politische Deklaration des HLPF hat es mangels Einigung der Staaten dieses Jahr nicht gegeben, sodass es ausgerechnet zum 75-jährigen Bestehen der VN in 2020 keine Agenda-2030-Deklaration geben könnte. Das wäre ein trauriges Zeugnis für den Multilateralismus.

Angreifbare Gesundheitssysteme

Covid-19 zeigt weltweit, wie angreifbar die Gesundheitssysteme sind. Insbesondere vulnerable Gruppen, vor allem Kinder, Frauen, ältere Menschen oder Personen mit Behinderungen, würden nicht ausreichend geschützt, sagte Githinji Gitahi, Direktor von AMREF Health Africa, einer Organisation, die die Gesundheitsversorgung auf dem afrikanischen Kontinent verbessern will. Gitahi forderte auf dem HLPF eine Stärkung nicht nur der allgemeinen Gesundheitssysteme, sondern auch der einzelner Gruppen sowie Präventionsprogramme. „Gesundheit beginnt zuhause“, sagte Gitahi.

2015 wurden die 17 VN-Nachhaltigkeitsziele verabschiedet. Sie sind heute das Herzstück der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und gehen zurück auf die VN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992. Die Ziele gelten für alle Staaten weltweit gleichermaßen und sehen alle drei Aspekte der Nachhaltigkeit, nämlich Soziales, Wirtschaft und Umwelt, gleichberechtigt. In Deutschland ist die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie der Rahmen für die Umsetzung der Agenda 2030.

Im September wird der Rat für Nachhaltige Entwicklung in einem Online-Forum mit Ratsmitgliedern und weiteren Experten und Expertinnen über den Stand der Umsetzung der VN-Nachhaltigkeitsziele diskutieren. Im kommenden Jahr ist Deutschland gefragt, seinen freiwilligen nationalen Bericht zur Agenda 2030 zu veröffentlichen. Zudem wird aktuell die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie überarbeitet, in der laut Empfehlungen des Rates ebenfalls eine stärkere internationale Verantwortung Deutschlands für die globale Nachhaltigkeitspolitik Eingang finden muss.