„Geförderte Unternehmen müssen ihre CO2-Kennziffern offenlegen“

Nachhaltigere Unternehmen kommen tendenziell besser durch die Krise, sagen Kerstin Lopatta und Alexander Bassen, die am Fachbereich Sozialökonomie an der Universität Hamburg forschen und lehren. Sie fordern, Konjunkturprogramme an Nachhaltigkeit auszurichten.

Frau Lopatta, Herr Bassen, in der Corona-Krise ist die Wirtschaft tief abgestürzt. Gibt es Anzeichen dafür, dass nachhaltiger wirtschaftende Unternehmen besser durch die Zeit kommen?

Kerstin Lopatta: Bei vielen Unternehmen steht der Quartalsabschluss noch bevor. Im Detail kann man noch nicht sehen, wer besser durchkommt. Aber man kann jetzt schon genau schauen, wie Unternehmen auf die Krise reagieren und erste allgemeine Rückschlüsse ziehen.

Alexander Bassen: Viele große Investmenthäuser lassen gerade untersuchen, wie nachhaltige im Vergleich zu nicht-nachhaltigen Unternehmen in der Krise performen. Man sieht bisher eine Tendenz bei Aktienkursen, da schneiden die nachhaltigen Aktien und Indizes im Vergleich zu den anderen bisher besser ab, oder besser gesagt: weniger schlecht. Auch bei den Anleihen sieht man durchgängig eine bessere Performance. Bisher ist das ein relativ stabiler Trend.

Wie erklären Sie sich das?

Lopatta: Nachhaltigkeit heißt in dem Fall zunächst mehr Transparenz. Die Unternehmen haben also bessere Informationen darüber, wie ihre Lieferkette aufgestellt ist und können die Folgen der Krise besser abschätzen.

Bassen: Der andere Punkt ist, wie Unternehmen mit Risiken umgehen.

Lopatta: Genau. Derzeit wird oft diskutiert, ob man diese Krise hätte früher sehen können. Als es in China am 31. Dezember vergangenen Jahres den ersten Toten gab, haben die chinesischen Märkte nicht richtig reagiert. Das ist erst passiert, als das Virus zu uns übersprang. Derzeit veröffentlichen Unternehmen ihre Jahresabschlüsse, in denen sie über die Auswirkungen der Krise berichten. Einige Unternehmen hatten schon vor der Krise mögliche Pandemien in ihre allgemeine Risikobetrachtung aufgenommen, jetzt wird speziell über Corona berichtet. Wir haben in einer neuen Studie Unternehmen in den wichtigsten Aktienindizes weltweit angeschaut. Wer ausführlich über Corona berichtet, hat weniger negative Renditen. Eine Risikofrüherkennung kommt also am Markt positiv an. Wer etwa wirklich sehr gut veröffentlicht hat und die Auswirkungen der Krise sehr gut beschrieben hat, ist beispielsweise BMW. Die haben aber auch sehr spät veröffentlicht, am 17. März und konnten die Entwicklung somit besser abschätzen.

Heißt das denn auch, dass diese Unternehmen sozialer oder ökologischer wirtschaften?

Bassen: Der Zusammenhang ist indirekter: Die höhere Transparenz verweist auf eine stärkere Verbindung zur Gesellschaft und deren relevante Themen, was ein Zeichen von gutem Management ist. In der Theorie nennen wir das einen „Good Management Approach“: Wenn ich mich um zuverlässige Zulieferer und um meine Mitarbeiter kümmere, dann ist das nachhaltig und gut.

Wie kommen Unternehmen denn jetzt besser aus der Krise raus?

Lopatta: Wir haben generell zwei wesentliche Punkte identifiziert: mit Flexibilität und Digitalisierung.

Bassen: Im Detail hängt das natürlich stark von der jeweiligen Industrie und vom Geschäftsmodell ab. Ich vermute, dass es jetzt ein Umdenken geben wird. Unternehmen werden ihre Lieferketten resistenter gegen externe Einflüsse aufstellen und sie vielleicht wieder verkürzen. Das muss man abwarten. Ich glaube schon, dass die Wertschöpfungsketten der Unternehmen nochmal neu überdacht werden.

Aber wie könnte sich die Krise auf die sozial-ökologische Transformation der Wirtschaft auswirken?

Lopatta: Die Berichterstattung als Grundlage für die Transformation wird ein ganz zentraler Punkt sein. Und wie Unternehmen mit Biodiversität umgehen, denn die ist der beste Schutz vor weiteren Pandemien.

Bassen: Das glaube ich auch ganz sicher. Wir haben ja eben erst das Jahrzehnt der Biodiversität hinter uns. Auf EU-Ebene sind ohnehin einige Regularien unterwegs. Finanzmarktakteure müssen künftig Anlegerinnen und Anlegern wesentlich mehr Informationen über die Auswirkungen ihrer Produkte auf Umwelt und Gesellschaft nach dem „do no significant harm“-Prinzip offenlegen.

Wie könnte denn ein grüner Neustart nach der Corona-Krise aussehen?

Bassen: Kurzfristig schlagen wir einen Taxonomie-Schnelltest für alle Konjunkturprogramme vor. Diese erst kürzlich im Grundsatz verabschiedete EU-Taxonomie definiert einheitlich, was ökologisch nachhaltiges Wirtschaften ist. Mit ihr ließe sich also prüfen, was im Sinne der Nachhaltigkeit förderfähig ist. Da die Taxonomie bisher nur für das Thema Klimawandel detailliert ausgearbeitet ist, ist sie aktuell auch nur in dieser Ausrichtung sinnvoll einsetzbar.

Lopatta: Mittelfristig sollten alle geförderten Unternehmen verpflichtet werden, ihre CO2-Kennziffern und ihre Auswirkungen auf Umwelt und Soziales offen zu legen. Das sollte generell mit allen Konjunkturmaßnahmen geschehen. Dadurch entstünde auch ein öffentlicher Druck, die finanziellen Förderungen von Anfang an nachhaltig auszugestalten.

Verfügen die Unternehmen denn über entsprechende Daten?

Lopatta: Zumindest steht das Instrumentarium zur Verfügung, diese für klimaorientierte Ziele etwa mithilfe der weltweit gültigen Berichtsstandards der Task Force on climate-related Financial Disclosures zu erfassen. Bei einer weiter gefassten Ausgestaltung könnte auf die Empfehlungen des Deutschen Nachhaltigkeitskodex, der Global Reporting Initiative oder des International Integrated Reporting Council zurückgegriffen werden. Die Berichterstattung sollte auch zukunftsorientierte Elemente enthalten, also eine Darstellung, wie Unternehmen ihre Emissionen so senken, dass sie mit dem Klimaschutzabkommen von Paris in Einklang stehen.

Wäre nicht besonders der Mittelstand damit überfordert?

Bassen: Die Berichterstattung müsste zwar für alle verpflichtend sein, aber sie lässt sich an die Gegebenheiten der Unternehmen und die Konjunkturhilfen anpassen. So liegt es nahe, die nichtfinanzielle Berichterstattung gestaffelt ab bestimmten Unternehmensgrößen einzuführen. Damit könnten Selbständige und kleine Unternehmen befreit sein. Für mittelständische Unternehmen reicht eine Berichterstattung mit wenigen, zentralen Indikatoren aus, also Key Performance Indicators. Für große und kapitalmarktorientierte Unternehmen sind umfassendere Offenlegungspflichten auch von zukunftsorientierten Informationen möglich. Damit einhergehen müsste eine Ausweitung der Wirtschaftsprüfung auf die zu berichtenden nichtfinanziellen Aspekte.

Und was könnten Kleinanlegerinnen und -anleger tun?

Bassen: Wir fordern, Ecolabels für alle Finanzprodukte einzuführen, um Anlegern eine solide Entscheidungsgrundlage zu bieten. So können sie ihre Nachhaltigkeitspräferenzen in Investitionsentscheidungen einbeziehen.
Lopatta: Wir dürfen nicht vergessen: Die staatlichen Mittel, die jetzt mobil gemacht werden, können nur einmal aufgebracht werden. Sonst laufen wir in eine staatliche Verschuldung, die nicht finanzierbar ist. Die Maßnahmen, die jetzt ergriffen werden, müssen also beides leisten: die Konjunktur anreizen und Unternehmen zur Transformation anhalten.