EU-Kommission verspricht Transparenz und handelt geheim

EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström veröffentlicht einige Verhandlungstexte zum transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA. Ein bisher geheim gehaltenes Papier zu gegenseitigen Mitspracherechten bei der Gesetzgebung ruft jedoch Kritik hervor. Die Auswirkungen auf Entwicklungsländer hat das ifo-Institut untersucht. Verbraucherschützer beharren auf hohen Standards.

Die harsche Kritik an fehlender Transparenz bei den Verhandlungen um das geplante Freihandelsabkommen (TTIP) zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten zeigt Wirkung. Die EU gewährt der Öffentlichkeit zunehmend Einblicke in den Stand der Gespräche. Handelskommissarin Cecilia Malmström hat kürzlich eine ganze Reihe von Originaltexten ins Netz gestellt. Sie geben Aufschluss über die Pläne für den künftigen Wettbewerbsrahmen oder die Lebensmittelsicherheit. Acht Themenbereiche umfasst die Publikation.

Dazu kommen noch Positionspapiere der EU, zum Beispiel zur Nachhaltigkeit. „Ich freue mich, dass wir gleich zu Beginn des neuen Jahres aktiv beweisen können, dass wir für mehr Transparenz sorgen wollen“, sagt die Kommissarin. Ein sehr kontrovers diskutiertes Thema fehlt im Themenreigen aber noch. Über den umstrittenen Investitionsschutz ist auf den Webseiten der Kommission kein Verhandlungstext auffindbar.

Doch die versprochene Offenheit erstreckt sich anscheinend nicht auf alle Bereiche, wie ein Bericht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) nahelegt. Das Blatt beruft sich auf ein Geheimpapier der Kommission: Demzufolge wollen die USA und Europa sich gegenseitige Mitspracherechte einräumen bei der Ausgestaltung von Gesetzen, die Handelsstandards berühren – und zwar noch bevor diese Gesetze verabschiedet werden.

Dafür sollen demnach beide Seiten wenigstens einmal jährlich eine Liste aller Gesetzesvorhaben anfertigen, die Folgen für den Handel oder für Investitionen haben könnten. Eine bei der EU neu geschaffene Einrichtung, „Regulatory Cooperation Body“, übernähme dann die Rolle der obersten Instanz bei der Angleichung von Standards und Regeln.

„Das ist ein Aushebeln unseres Gesetzgebungssystems“, befürchtet der Grünen-Bundestagsabgeordnete Uwe Kekeritz. Ebenso deutlich lehnt Michael Efler, der Bundesvorstandssprecher des Vereins „Mehr Demokratie“, die Pläne ab. „Sie untergraben die parlamentarische Demokratie und institutionalisieren Lobbyismus“, befürchtet er.

Wer verliert, wer gewinnt?

Mit Argumentationspapieren rüsten sich Befürworter wie Kritiker des Abkommens für die nun anstehenden Debatten. Bundesentwicklungsminister Gerd Müller wirbt mit einer Auftragsstudie des Münchner ifo-Instituts für eine Berücksichtigung der nicht beteiligten Länder bei der Formulierung von TTIP.

„Wir müssen die Entwicklungsländer am Diskussions- und Gestaltungsprozess des TTIP-Abkommens beteiligen und es so gestalten, dass sie vom Handel noch stärker profitieren als bisher und ihre berechtigten Sorgen ernst genommen werden“, erläuterte der Politiker anlässlich einer Veranstaltung in seinem Hause.

Müller zufolge kann das transatlantische Bündnis eine globale nachhaltige Entwicklung voranbringen. „Wir wollen ökologische und ökonomische Mindeststandards für die gesamte Welt setzen“, kündigt der Minister laut Informationsdienst Euractiv an.

Die Ifo-Forscher sehen unter den Schwellen- und Entwicklungsländern zwar Gewinner und Verlierer. Doch die Auswirkungen seien relativ harmlos, erläutert Studienleiter Gabriel Felbermayr, „mit dieser Studie geben wir Entwarnung.“ Die Wissenschaftler haben Experteninterviews und Fallstudien zu einzelnen Ländern sowie bereits vorhandene Untersuchungen ausgewertet.

Ein zentrales Resultat der Analyse sind vergleichsweise geringe Wohlstandsverluste der Länder außerhalb der TTIP-Region. Sie seien am ehesten bei asiatischen Ländern zu befürchten, lägen aber über einen längeren Zeitraum hinweg bei nur einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts, was bei geschätzten Wachstumsraten von drei bis vier Prozent dort eine zu vernachlässigende Größe darstelle.

Die Länder draußen sollen stärker einbezogen werden

Das Ifo-Institut gibt eine Reihe von Empfehlungen, damit TTIP zu einem fairen und nachhaltigen Welthandelssystem beitragen kann. So soll auf komplexe Ursprungsregeln soweit wie möglich verzichtet werden. Ursprungsregeln klären die „Staatsangehörigkeit“ einer Ware und sind unter anderem entscheidend für eventuell anfallende Zölle und Anrechnung auf Warenkontingente.

Stattdessen soll wo möglich das Freiverkehrsprinzip verankert werden, wonach beim Import von Handelsware in aller Regel keine Zölle anfallen. Auch sprechen sich die Forscher dafür aus, die gegenseitige Anerkennung transatlantischer Standards auf Drittländer auszudehnen und den Ländern Informationsrechte bei der Festlegung dieser Standards einzuräumen. Durch begleitende Initiativen wie der Senkung von Zöllen oder der Beseitigung bestehender Handelsbarrieren bei wichtigen Exportgütern wie Textilien oder Baumwolle könnten Entwicklungsländer zudem vor Schaden durch TTIP bewahrt werden.

Den Optimismus des Münchner Instituts teilen Kritiker des Abkommens nicht. „Bilaterale Abkommen haben immer den Effekt, dass Dritte nicht so günstig dastehen“, erinnert Christa Randzio-Plath, Vize-Chefin von Venro, dem Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen, an die bisherigen Erfahrungen.

In multilateralen Verhandlungen könnten Entwicklungsländer gemeinsam eher Erleichterungen durchsetzen als einzeln in bilateralen Konsultationen mit den transatlantischen Partnern. Die Wissenschaftlerin kritisiert das ifo-Gutachten: „Wie können sie Auswirkungen ausrechnen, wenn wir nicht wissen, was überhaupt ausgehandelt wird?“, fragt Randzio-Plath.

Auch Kekeritz sieht Gefahren für die Entwicklungs- und Schwellenländer durch TTIP. Diese Länder dürften bei den Verhandlungen nicht mit am Tisch sitzen, kritisiert der Politiker. In diesem Zusammenhang von einem kooperativen Vertrag für diese Länder zu sprechen, wie es Vertreter der EU-Kommission täten, sei ein Zynismus, der kaum zu überbieten sei.

Das Vorsorgeprinzip ist nicht verhandelbar

Besorgt sind auch weiterhin Verbraucherschützer hinsichtlich TTIP. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hat nun auf der Grünen Woche in Berlin einen Forderungskatalog dazu vorgelegt. Darin setzt sich der Verband unter anderem für eine Beibehaltung des Vorsorgeprinzips ein. Es sorgt dafür, dass zum Beispiel Umwelt- oder Gesundheitsschäden möglichst erst gar nicht entstehen.

„Das Vorsorgeprinzip ist nicht verhandelbar“, heißt es im Papier. Im Ernährungsbereich ist dies womöglich einer der Knackpunkte, denn die USA stehen in einer ganz anderen Tradition: Sie erlauben viel und sanktionieren dafür hart, wenn etwas schief läuft. Darüber hinaus fordert der vzbv bei den Herkunftsangaben, der Rückverfolgbarkeit und der Kennzeichnung hohe Standards durchzusetzen.

Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeslandwirtschaftsministerium, Maria Flachsbarth, versicherte bei der Vorstellung des Katalogs zwar, dass sich sowohl die EU-Kommission als auch die Bundesregierung für die Beibehaltung bestehender Schutzstandards einsetze. Doch lediglich bei den europäischen Regelungen für die Herkunftskennzeichnung und die Gentechnikzulassung und -kennzeichnung legt sie sich auf die nicht verhandelbare Position des Status quo fest.

Kritiker wie Efler bemängeln weiterhin fehlende Informationen seitens der EU. „Von der Transparenzinitiative ist wenig zu halten, da sie sich nicht auf Verhandlungstexte bezieht“, stellt er fest.

Weiterführende Informationen

TTIP-Verhandlungstexte, von der EU ins Netz gestellt

FAZ-Bericht zu Geheimpapieren der Kommission

ifo-Untersuchung zu TTIP

Forderungskatalog zu TTIP, Verbraucherzentrale Bundesverband