Ethische Mindeststandards bei Autoherstellern

Volkswagen, Daimler, Toyota und andere große Konzerne vereinbaren gemeinsame soziale und ökologische Mindeststandards. Auf quantifizierbare Ziele aber verzichten sie. Die Unternehmen verstehen die neuen Leitlinien als „Minimalanforderung für Geschäftsethik“.
Mehrere große Automobilhersteller haben gemeinsame soziale und ökologische Basisstandards für die Produktion in ihren weltweiten Lieferketten vereinbart. Die Unternehmen verstehen die neuen Leitlinien als „Minimalanforderung für Geschäftsethik“. Zu den Unterzeichnern gehören die Unternehmen BMW, Daimler und Volkswagen.
Veröffentlicht wurden die Vorgaben von den Organisationen für Unternehmensethik CSR Europe und Automotive Industry Action Group (AIAG). Neben den deutschen Firmen unterstützen den Standard unter anderem auch Fiat, Ford, General Motors, Jaguar, PSA Peugeot Citroen, Toyota und Volvo. 
Öko-Fußabdruck soll kleiner werden
Die Konzerne bekennen sich dazu, in ihren eigenen Fabriken und in der Produktionskette ihrer Zulieferer „den ökologischen Fußabdruck zu reduzieren“. Auch möchte man die Öko-Bilanz der Fahrzeuge „im Verlauf des Lebenszyklus“ verbessern. Als konkrete Ziele sind in den Leitlinien genannt: geringerer Energie- und Wasserverbrauch, weniger Ausstoß von klimaschädlichen Gasen, größerer Einsatz von erneuerbaren Energien und besseres Abfallmanagement. Quantifizierbare Reduktionsziele nennen die Unternehmen allerdings nicht, Zeitpläne ebenso wenig.
Beim Thema „Arbeitsbedingungen und Menschenrechte“ basieren die Leitlinien in mehreren Punkten auf den Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Dies gilt unter anderem für das Gebot, keine Kinderarbeit zu dulden, Zwangsarbeit auszuschließen, Diskriminierung aller Art zu unterbinden sowie den Beschäftigten zu ermöglichen, sich zu organisieren und über ihre Arbeitsbedingungen frei zu verhandeln.
Außerdem erklären die Automobilkonzerne, die Bezahlung und die Arbeitszeit der Beschäftigten in der gesamten Produktionskette so gestalten zu wollen, dass sie mit den jeweiligen örtlichen Gesetzen harmonieren. Ausdrücklich wird der Anspruch der Arbeitnehmer auf Mindestlöhne erwähnt, falls die einzelnen Staaten, in denen die Zulieferwerke stehen, dies vorschreiben. Auch bei diesen Punkten fehlen allerdings quantifizierbare Zusagen.
Hier wird deutlich, dass es sich tatsächlich um Mindeststandards handelt. Die gemeinsamen Empfehlungen der Autofirmen bleiben teilweise klar hinter den Regeln zurück, die andere Branchen und Unternehmen bereits akzeptiert haben. Ein Beispiel: Der Kodex der Elektronikindustrie, den unter anderem Apple, Foxconn und Blackberry anerkennen, legt fest, dass die Arbeitszeit der Beschäftigten 60 Stunden pro Woche nicht überschreiten darf. Auch mindestens ein freier Tag nach sechs Arbeitstagen sieht der Kodex der Branche vor.
Löhne, die die Exitenz sichern
Einzelne Unternehmen greifen mittlerweile die Forderung von Arbeits- und Bürgerrechtsorganisationen auf, dass auch die Beschäftigten in der Zulieferkette existenzsichernde Löhne erhalten sollten: Diese Bezahlung geht in der Regel über das Minimum hinaus, das staatliche Mindestlohngesetze in Asien, Afrika und Lateinamerika vorsehen. Existenzsichernde Löhne sollen beispielsweise die Möglichkeit schaffen, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter in eine Sozialversicherung einzahlen, etwas Geld für ihre Altersversorgung zu sparen und ihre Kinder zur Schule schicken können. 
Vor dem Hintergrund dieser Debatte kündigte der Modekonzern H&M Ende 2013 an, dass die Beschäftigten in allen Zulieferunternehmen existenzsichernde Löhne bekommen sollen. Bis Ende 2014 wolle man das Projekt zunächst in drei „Modellfabriken“ umsetzen. Dieses Thema sucht man in den Leitlinien der Automobilhersteller vergebens.
Maik Pflaum von der Christlichen Initiative Romero (CIR), die sich viel mit Unternehmensverantwortung beschäftigt, kommentiert: „Der Standard ist extrem schwach. Letztlich sagt er nur, dass die Gesetze eingehalten werden müssen – was ja eine Selbstverständlichkeit ist. Kontrollen werden gar nicht angesprochen, ebenso wenig ein Lohn, der Grundbedürfnisse befriedigen sollte.“
„Es ist gut, dass die Automobilhersteller sich um einen gemeinsamen Standard bemühen“, sagt dagegen Markus Löning (FDP), früherer Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung und heute Berater für Unternehmensverantwortung. Er lobt das „Bekenntnis zur Vereinigungsfreiheit“ – vor dem Hintergrund, dass „sich viele deutsche Firmen bei ihren ausländischen Töchtern selbst nicht daran halten“.
Löning weiter: „Eine deutliche Schwäche des Papiers ist der ständige Verweis darauf, dass lokale Gesetze eingehalten werden sollen. Das ist einerseits selbstverständlich, andererseits in vielen Fällen zu wenig.“ Stattdessen wäre ein ausdrückliches „Bekenntnis zu den ILO-Kernarbeitsnormen“ und existenzsichernden Löhnen angebracht, so Löning.
Der Prozess, der zur Formulierung der Automobil-Leitlinien führte, kam unter anderem durch eine Medienrecherche zustande. 2006 berichtete Bloomberg über Arbeiter, die in Brasilien unter sklavenähnlichen Bedingungen Roheisen herstellten, das dann in der Produktionskette mehrerer Autokonzerne verwendet wurde. Die Unternehmen mussten reagieren, um erhebliche Imageschäden und nachfolgende wirtschaftliche Verluste zu vermeiden.

Weiterführende Informationen

„Minimalanforderung für Geschäftsethik“: Die Leitlinien der Autokonzern

Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO

Der Kodex der Elektroindustrie

Existenzsichernde Löhne – Definition

Bericht: H&M will existenzsichernde Löhne

Bloomberg: Sklavenähnliche Bedingungen in der Herstellung von Roheisen