Die Agenda 2030 als Auftrag zur Unruhe

Die Agenda 2030 fordert bis 2030 eine Welt ohne Armut und Hunger zu schaffen und die Umwelt zu erhalten. Doch das Ziel ist weiter entfernt denn je. Ab dem 9. Juli trifft sich in New York das High Level Forum on Sustainable Development und versucht, gegenzusteuern.

Niemanden zurücklassen, „leaving noone behind“, so versprachen es die Vereinten Nationen im September 2015. Damals verabschiedete die Staatengemeinschaft die Agenda 2030, die eine nachhaltige ökologische, soziale und ökonomische Entwicklung für alle Länder anstrebt. 17 globale Nachhaltigkeitsziele, kurz SDGs, enthält das Programm. Vier Jahre später zieht der jüngste World Economic Situation and Prospects Report der VN eine ernüchternde Zwischenbilanz. Obwohl die ökonomische Situation global stabil zu sein scheint, verhülle sie die Risiken und Ungleichgewichte in vielen Entwicklungsländern. Menschen mit niedrigen Einkommen hätten nichts von dem Wachstum gehabt und die Hälfte der Weltbevölkerung habe keinen Zugang zu sozialer Absicherung. „Diese Situation lässt die Ziele, Armut zu beseitigen und menschenwürdige Jobs für alle zu schaffen, in weite Ferne rücken und beeinflusst auch die Erreichbarkeit der anderen SDGs“, heißt es in dem Bericht. Der Generalsekretär des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE), Prof. Dr. Günther Bachmann erklärt dazu: „Die einseitige Wachstumsfixierung führt zu dramatischen Verschiebungen im Nord-Süd-Schema, die beispielsweise Luanda (Angola) 2018 zur teuersten Stadt der Welt machen. Gegen diese neue Dynamik brauchen wir eine fundamentale Transformation an allen Fronten – politisch, wirtschaftlich und im Hinblick auf unser aller Verhalten“. Eine aufschlussreiche Bilanz mit den Stimmen vieler Stakeholder liefere der Bericht des Sustainable Development Transition Forum 2018.

Das jährliche Treffen des High Level Political Forum on Sustainable Development (HLPF) findet vom 9. bis 18. Juli in New York statt. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung nennt das Forum die „institutionelle Heimat der SDGs“. Zu dem Treffen reisen Nachhaltigkeitsexpertinnen und -experten aus der ganzen Welt an, darunter Regierungsvertreterinnen und -vertreter, Ministerinnen und Minister sowie Vertreterinnen und Vertreter von NGOs. Sie ziehen Bilanz, tauschen sich über Erfolge und Misserfolge aus, dieses Mal zu den SDGs 4 (Hochwertige Bildung), 8 (Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum), 10 (Weniger Ungleichheiten), 13 (Maßnahmen zum Klimaschutz), 16 (Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen) und 17 (Partnerschaften zur Erreichung der Ziele). Das Forum soll aufzeigen, was getan werden muss, damit die SDGs insgesamt erreichbar werden. Erstmals wird dort ein Bericht zur nachhaltigen Entwicklung weltweit vorgestellt, der Global Sustainable Development Report. „Als Gremium ist das HLPF ein Unikum: Es ist das mit Abstand wichtigste Zentrum des Multilateralismus und wird am wenigsten beachtet. In der zerrütteten Geopolitik ist das HLPF der fast einzige Anker zur gemeinsamen Verständigung, aber die Medien behandeln es als Nebensache. Dabei hinkt die Veränderung der Produktions- und Konsummuster den Umweltschäden und dem sozialen Gefälle hinterher, die Klima-Emissionen steigen. Nicht Wachstum vom Immergleichen, sondern ein mutiger Schritt gegen Korruption und Versklavung von Mensch und Umwelt ist nötig. Das geht nur mit den SDGs“, so Günther Bachmann.

Das Treffen dient auch als Vorbereitung auf den September 2019: Da tagen die Staats- und Regierungschefs der Welt im Rahmen der VN-Generalversammlung zur Agenda 2030, was alle vier Jahre vorgesehen ist. Sie legen das Arbeitsprogramm für die Zeit bis 2023 fest. Sie befassen sich ebenfalls im September mit Klimaschutz und der Finanzierung von Entwicklung. Alle drei Themen sind eng miteinander verknüpft. Hier drei Punkte, um die es jetzt im Juli auf dem Vorbereitungstreffen in New York geht:

1. Freiwillige Länderberichte: Voluntary National Reviews

Die Staaten haben sich verpflichtet, regelmäßig zu berichten, wie sie die Agenda 2030 umsetzen. Diese Voluntary National Reviews sind allerdings freiwillig, rund 140 Staaten haben bisher welche abgegeben. Doch besonders aussagekräftig scheinen sie nicht zu sein. Es bestünden Zweifel daran, dass die Berichte die Umsetzung der Agenda 2030 voranbringen, schrieb der Nachhaltigkeitsrat in seiner Stellungnahme bereits im vergangenen Jahr. Es gibt zwar Richtlinien, Mindestanforderungen und Lerngruppen, wie die Berichte zu erstellen sind, außerdem präsentieren Länder ihre Berichte auf den jährlichen Treffen des HLPF vor und stellen sich auch kritischen Fragen etwa von NGOs. Trotzdem zieht der RNE eine kritische Bilanz: „Es mangelt am Gesamtüberblick über die Umsetzung der Agenda 2030.“ Vor allem gebe es keine Arbeitsprozesse, die der wechselseitigen Abhängigkeit der SDGs Rechnung tragen: So blieben auf dem HLPF 2018 etwa die Expertinnen und Experten für Ziel 6 (Sauberes Wasser und sanitäre Einrichtungen) unter sich. Der RNE regt beispielsweise an, für die nationalen Berichte der einzelnen Länder Peer Reviews von unabhängigen Expertinnen und Experten aus dem Ausland in Auftrag zu geben.

2. Reform des HLPF

Der RNE hat Reformvorschläge für das HLPF entwickelt, die Bachmann 2018 auch international mit Erfolg in ein internationales Statement eingebracht hat, das dem HLPF offiziell vorliegt. Erst kürzlich hat ein VN-interner Workshop konstatiert, dass institutionalisierte Stakeholder-Beteiligung ein Schlüssel zur Umsetzung der SDGs ist. Die Zeiten seit 2015 haben sich allerdings massiv verändert: „Die Vernunft ist unter Beschuss. Zunehmend isolationistisch orientierte Regierungen initiieren und ermutigen eine stetige Erosion der internationalen Zusammenarbeit in der Welt“, schrieb der Rat für Nachhaltige Entwicklung im April in einer Stellungnahme. Er fordert von der Bundesregierung, aus der Not eine Tugend zu machen, den Konflikten nicht auszuweichen und vor allem zu verhindern, dass die Agenda 2030 rückabgewickelt wird. Das wollen auch EU und Bundesregierung nicht. Brüssel und Berlin fokussieren sich für den September-Gipfel deshalb darauf, dass überhaupt eine gemeinsame Erklärung aller Staaten zur nachhaltigen Entwicklung verabschiedet wird. So wollen sie ein Zeichen setzen, dass der Multilateralismus lebt und die Agenda 2030 ein von allen Staaten anerkanntes Rahmenwerk ist, auch von den USA. Washington hatte in der Vergangenheit immer wieder Vorbehalte gegen Formulierungen in Bezug auf den Klimawandel geltend gemacht. Die Trump-Administration zweifelt die Existenz des Klimawandels an und steht multilateralem Vorgehen zum Schutz der Erde skeptisch gegenüber.

3. Finanzierung von Entwicklung

Ohne eine Finanzierung kann die Agenda 2030 nicht umgesetzt werden. Das Problem stellt sich ähnlich wie beim Klimaschutzabkommen von Paris. Immer wieder steht die Frage im Raum, wie Finanzhilfen, Investments und Finanzmärkte umgebaut werden können, damit sie die Agenda 2030 umsetzen – ohne dass bislang Wesentliches geschehen ist. „Die freiwilligen Berichte (VNRs) müssen anders als bisher gelesen und genutzt werden, nämlich als eine Quelle für das Identifizieren von wesentlichen Kosten, Risiken und Chancen für Investitionen oder Finanzhilfen. Sie müssen einen Wert erhalten, ob die Staaten das wollen oder nicht“, fordert Bachmann. Nur so werde das Verhältnis von politischer Selbstdarstellung der Staaten einerseits und Finanzierung respektive Finanzmärkten andererseits neu zu denken sein, und zwar auf allen Seiten.