Der schwierige Weg zu einem fairen Gesundheitswesen

Die EU hat sich die Förderung einer gerechten Gesundheitsversorgung auf die Fahnen geschrieben. Denn noch immer nehmen die Chancen für ein langes und gesundes Leben mit jedem Schritt nach unten auf der sozialen Stufenleiter ab: Männer an und unter der Armutsgrenze leben im Durchschnitt mehr als 10 Jahre kürzer als Wohlhabende. Alte, Schwule, Lesben, Illegale sowie Sinti und Roma werden oft ausgegrenzt.

Zu diesem Ergebnis kam auch eine Fachtagung der EU-Kommission. Deutschland steht bei der Versorgung von Kranken zwar gut da, doch die Strukturen des Gesundheitswesens weisen Schwächen auf, sagt der Gesundheitswissenschaftler Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes.

Wenn der griechische Gesundheitsminister einen gerechten Zugang zur Gesundheitsversorgung für alle Europäer verspricht, weiß er um die großen Unterschiede in der Europäischen Union (EU). „Sehr viele Menschen in Griechenland haben keinen Zugang zu Versorgungsleistungen“, räumt Adonis Georgiadis ein. Das ist eine direkte Folge der Finanzkrise des Landes.

Denn nach zwei Jahren Arbeitslosigkeit können sich immer mehr Bürger die staatliche Krankenversicherung nicht mehr leisten. Wer nicht bezahlt, fliegt aus der Versicherung raus, wie es in einem Beitrag des Deutschlandfunks anschaulich geschildert wird. Georgiadis will einen gerechteren Zugang zu Gesundheitsleistungen, und zwar in der gesamten EU.

Über ein gerechteres Gesundheitswesen haben gut 400 Fachleute einen Tag lang in Brüssel diskutiert. Mit dabei waren auch die für Grundrechte zuständig EU-Kommissarin Vivian Reding und Gesundheitskommissar Tonio Borg. Seit 2007 setzt sich die Kommission für faire Chancen auf Gesundheit für alle Bürger ein. Mit ersten Erfolgen, wie Borg feststellt. „Die Lücke bei der Kindersterblichkeit und der Lebenserwartung schließt sich“, sagt er, räumt aber weiterhin bestehende große Gerechtigkeitslücken ein.

Für viele gehört Diskriminierung zum Alltag

Wozu die Ungleichheit führt, hat Reding herausgefunden. „Die Lebenserwartung von Roma bei der Geburt liegt zehn Jahre unter der anderer Kinder“, berichtet die Luxemburgerin. Die Kommission hat auch deshalb 2012 eine Strategie zur Integration von Roma vorgelegt, doch bis die Umsetzung in den Mitgliedsländern Erfolge zeigt, wird noch viel Zeit vergehen.

Eine Bestandsaufnahme der Kommission zeigt, an wie vielen Stellen es noch ungerecht zugeht im Gesundheitswesen. Bei der Einschätzung der Defizite sind sich die Experten in vielen Punkten einig. „Diskriminierung ist ein Problem“, fasst Isabel de la Mata, Sonderberaterin des Gesundheitskommissars, die Situation zusammen. Beispiele dafür liefert die Analyse: Ethnische Gruppen wie Sinti und Roma wird der Zugang zu Gesundheitsleistungen oft erschwert.

Es gibt Benachteiligungen aufgrund der sexuellen Orientierung von Schwulen und Lesben, illegale Zuwanderer haben oft keine Anlaufstelle für die ärztliche Versorgung. Chronisch Kranke oder Behinderte werden von staatlichen Stellen nicht ausreichend unterstützt, Alte ausgegrenzt. Und wo es gute Regelungen gegen die Diskriminierung gibt, mangelt es häufig an der Implementierung der entsprechenden Instrumente. So fasst de la Mata die Ergebnisse der Tagung zusammen. Ein Bericht dazu soll in der nächsten Zeit veröffentlicht werden.

Lösungsansätze im Kampf für ein faires Gesundheitswesen gibt es jedoch auch. Dabei spielen neben der Beseitigung von Zugangshemmnissen zur Versorgung von Kranken vor allem vorbeugende Maßnahmen die wichtigste Rolle. Dazu zählt neben der direkten Gesundheitsprävention wie Anti-Raucher-Programmen auch, stärker gegen Einkommens- und Bildungsarmut vorzugehen. Dazu bekennt sich auch Kommissar Borg, wenngleich die Erfolge diesbezüglich noch auf sich warten lassen. „Die Einkommensschere öffnet sich eher etwas“, räumt er ein.

In Deutschland mangelt es an Prävention

Erschwerend kommt aus Sicht der Kommission hinzu, dass Gesundheitspolitik nach wie vor Sache der einzelnen Mitgliedsländer ist. Deutschland stehe hier nur auf den ersten Blick glänzend da, sagt Rosenbrock. „Beim Zugang zu Gesundheitsleistungen liegt Deutschland mit an der Spitze“, erläutert der Wissenschaftler. Doch die Versorgung sei nur ein Aspekt des Gesundheitswesens. In anderen Bereichen stellt Rosenbrock dem Land schlechte Noten aus.

Vor allem mangele es an Prävention, sagt er, auch an Armutsprävention. Für ungleiche Chancen auf ein gesundes Leben stehe auch die ungerechte Verteilung der Chancen auf dem Arbeitsmarkt. „In keinem anderen Land sind die Bildungschancen so sehr abhängig vom Elternhaus wie in Deutschland“, kritisiert Rosenbrock, „ich sehe keinen Politiker, der das ändern will.“

Unfair sei darüber hinaus auch die Finanzierung der Gesundheitsversorgung. Zwar sei die Politik mittlerweile von der Kopfpauschale weggekommen. Doch die jüngste Festschreibung des Arbeitgeberbeitrags zur Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hält Rosenbrock für einen Fehler.

„Die Arbeitgeber haben jetzt kein Interesse mehr an einer Kostendämpfung“, befürchtet er und erwartet künftig deutliche Kostensteigerungen, die zu Lasten der Arbeitnehmer gehen. Als Alternative für eine nachhaltige Finanzierung des Gesundheitswesens sieht Rosenbrock die Bürgerversicherung und eine Abschaffung der Privaten Krankenversicherung. Den politischen Willen zu einem gerechten Gesundheitssystem vermag der Forscher derzeit jedoch nicht zu erkennen.

Weiterführende Informationen

Statement des griechischen Gesundheitsministers Adonis Georgiadis

Bericht Deutschlandfunk zum Gesundheitswesen in Griechenland

Bestandsaufnahme der Kommission zum EU-Gesundheitswesen