Der Homo Oeconomicus kauft nicht gern nachhaltig

Gleich drei neue Bücher beschäftigen sich mit der Frage, warum Menschen ethisch konsumieren. Grundsätzlich sind sich alle Autoren einig, dass klassische Theorien rationaler Entscheidungen, wie sie in den Wirtschaftswissenschaften angewandt werden, nicht als Erklärungsmuster taugen. Daraus ergeben sich Ideen für die Praxis.

Florian Lottermoser macht in seinem Buch „Der reflexive Konsument“ früh klar, dass es ihm um eine umfassendere Theorie geht, die ethischen, sozialen oder ökologischen Konsum erklärt. „Der reflexive Konsument betritt die Bühne der Gesellschaft“, schreibt er gleich zu Beginn seines Buches. Hinter dem „reflexiven Konsumenten“ steckt die Weiterentwicklung eines Gedankenganges des deutschen Soziologen Ulrich Beck.

Beck beschrieb in seinem Buch „Die Risikogesellschaft – Konzept, Kontext und Kritik“ 1986 eine Gesellschaft, der das Gefühl kollektiver Sicherheit verloren geht, weil sie sich der Probleme ihres technischen und ökonomischen Fortschritts bewusst wird – die reflexive Gesellschaft. Sie verteilt nicht nur Güter, sondern auch Risiken, die durch die Lebensweise, also den Konsum, entstehen.

Lottermoser beschreibt gewissermaßen die Konsequenz daraus, den reflexiven Konsumenten. „Während sich bei Beck ‘reflexiv’ – im Sinne von ‘selbstbezüglich’ – auf die unerwünschten Nebenfolgen der Moderne, die auf die Gesellschaft treffen, bezieht, handelt es sich im meinem Buch um ausdrücklich erwünschte ‘positive’ Nebenfolgen des Konsums, die wiederum der Gesellschaft selbst zugute kommen“, erläutert Lottermoser, der an der Universität Hamburg am Kompetenzzentrum Nachhaltige Universität sowie am Institut für Soziologie zu nachhaltigem Konsum forscht.

Macht über die Ohnmacht

Nachhaltiger Konsum dient also dazu, die Risiken des technologischen Fortschritts wieder zu minimieren. Der Mensch ist demnach kein rein dem eigenen Vorteil nachjagender Homo Oeconomicus. „Der Konsument wird gesellschaftlich verankert und das Gesellschaftsinteresse als Pendant zum Eigeninteresse hervorgehoben“, schreibt Lottermoser. Außerdem gewinnen Konsumenten ein Stück Sicherheit zurück: „Der Konsument gewinnt Macht über seine vermeintliche Ohnmacht“, fasst Lottermoser zusammen.

Neben der Theorie überprüft er seine These auch gleich empirisch mit einer Befragung von 1.037 Konsumenten. Die gaben an, welche Erwartungen sie hinsichtlich der unternehmerischen Verantwortung von Reiseveranstaltern haben und wie sie selbst gern reisen. Das allgemeine Gesellschaftsinteresse präge demnach auch die Erwartungen der Konsumenten und beeinflusste ihre Kaufentscheidung.

Was wiederum die Gesellschaft prägt, würde Mathias Peyer vielleicht anfügen. In seinem Buch „Konsumentenverhalten. Analyse von Einflussfaktoren auf die Kaufentscheidung und Zahlungsbereitschaft für faire Produkte“ versucht er empirisch herauszufinden, warum Konsumenten zu Fairtrade-Produkten greifen. „Ohne ein moralisches Verpflichtungsgefühl fehlt ein zentrales Motiv für fairen Konsum“, so seine Schlussfolgerung.

Faitrade als Routine

Beide Autoren, Peyer und Lottermoser, sehen eine dynamische Wechselwirkung zwischen den gesellschaftlichen Prämissen zum fairen Konsum und den persönlichen Wertvorstellungen: Beide beeinflussen sich gegenseitig. Peyer hält die persönlichen Werte für die treibende Kraft bei der konkreten Kaufentscheidung, Lottermoser sieht die Gesellschaftsvorstellung als treibende Kraft hinter einem reflexiven Konsum, der sich allmählich zur Routine entwickelt.

Peyer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre der Universität Potsdam, leitet aus seiner Analyse auch Ideen für Werbetreibende ab: Verbraucher müssten demnach allmählich ihre moralischen Wertvorstellungen ändern, um fairer zu kaufen.

Das ließe sich gezielt umsetzen. Informationskampagnen, die im konkreten Fall das von ihm untersuchte Fairtrade-Label erklären, seien daher zweitrangig – die Konsumenten wüssten darüber Bescheid. Wichtiger sei es, über gesellschaftliche Normen langfristig ein moralisches Konsumbewusstsein in jedem einzelnen aufzubauen, etwa über Rollenbeispiele durch Prominente, die zu fairem Konsum raten.

Lebenszufrieden dank Bio?

Jan Kühlin konzentriert sich in seinem Buch „Nachhaltiger Konsum und individuelle Konsumwahl. Eine Analyse umweltfreundlichen Konsumverhaltens“ auf die Frage, wie effizient umweltfreundlicher Konsum ist. Nicht im ökonomischen Sinne, sondern im Sinne der Lebenszufriedenheit.

Auch Kühlin verwirft die Vorstellung des Menschen als rational entscheidender r Homo Oeconomicus. Er verwendet stattdessen den sogenannten Lebenszufriedenheitsansatz, bei dem auch Erkenntnisse aus der Psychologie mit einfließen – der Mensch trifft Entscheidungen demnach nicht nur aus einem Kosten-Nutzen-Vergleich, sondern auch danach, wie zufrieden sie ihn subjektiv machen.

Kühlin, Wirtschaftstheoretiker an der Universität Oldenburg, listet eine ganze Reihe an Untersuchungen auf, nach denen Befragte bekunden, sich besser zu fühlen, wenn sie umweltfreundlicher konsumieren. Bio macht demnach glücklicher. Kühlin stellte sich die Frage, ob es sich auch andersherum verhält: Verpassen Menschen, die nicht umweltfreundlich Konsumieren eine Möglichkeit, glücklich zu sein? Oder sind Menschen, die fair und biologisch konsumieren schlicht generell glücklicher, weil sie bewusster durchs Leben gehen, über mehr Bildung und Wohlstand verfügen?

Allgemeingut Natur

Um das heraus zu finden, wertete Kühlin drei umfangreiche Datensammlungen des World Value Survey und des Sozio-ökonomischen Panels aus, außerdem führte er eigene Umfragen zum Konsumverhalten bei Biolebensmitteln, Ökostrom, und Solarthermieanlagen durch. Im Ergebnis, sagt er vorsichtig, deute vieles darauf, dass Konsumenten generell zufriedener mit sich und ihrem Leben sein könnten, wenn sie nachhaltiger und bewusster einkaufen würden.

Weil sie es nicht tun, handeln sie im Sinne des eigenen Glücks ineffizient, wodurch auch der Gesellschaft etwas verloren geht: das Allgemeingut Natur, das durch den normalen Konsum belastet wird. Viele Menschen, die nie umweltbewusst konsumieren, wüssten schlicht nicht, dass sie dadurch ein besseres subjektives Lebensgefühl verpassen, so Kühlin. Er rät deshalb zu Aufklärungskampagnen. „Dann kann das Verhalten durch die Gesellschaft hindurch diffundieren“, schreibt er.

Weiterführende Informationen

Jan Kühling: Nachhaltiger Konsum und individuelle Konsumwahl. Eine Analyse umweltfreundlichen Konsumverhaltens, Metropolis Verlag, Marburg 2014

Mathias Peyer: Faires Konsumentenverhalten – Analyse von Einflussfaktoren auf die Kaufentscheidung und Zahlungsbereitschaft für faire Produkte, Verlag Dr. Kovaà, Hamburg 2014

Florian Lottermoser: Der reflexive Konsument. Gesellschaftsinteresse im 21. Jahrhundert, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2014

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