„Der ausgeglichene Haushalt entbindet uns nicht von weiteren Maßnahmen“ - Interview mit Staatssekretär Werner Gatzer

Der Bund will erstmals seit Jahrzehnten keine Schulden aufnehmen. Werner Gatzer ist seit 2005 Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und sieht in einem ausgeglichenen Haushalt die Grundlage dafür, eine ausufernde Verschuldung in Zeiten des demografischen Wandels zu verhindern. Wichtig seien aber auch genug Zuwanderung oder eine höhere Frauenerwerbsquote.

Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble hat die schwarze Null im Bundeshaushalt für 2015 angekündigt. Sind das nun nachhaltige Staatsfinanzen?

Wir haben mit der Konsolidierung der letzten Jahre und dem ausgeglichenen Haushalt die Voraussetzungen für nachhaltige Staatsfinanzen geschaffen. Das wird unsere Staatsschulden im Vergleich zur volkswirtschaftlichen Gesamtleistung deutlich reduzieren. Wenn wir uns auf diesem Weg fortbewegen, werden wir langfristig tragfähige Staatsfinanzen erreichen.

Reicht der reine Blick auf die Schuldenquote als Definition für nachhaltige Finanzen?

Natürlich sind Finanzkennziffern bei der Definition nachhaltiger Staatsfinanzen wichtig, und auch die Schuldenquote gibt hier eine Orientierung, aber sicher nicht allein. Das verdeutlichen wir auch mit unseren regelmäßigen Berichten zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen. Nachhaltige öffentliche Finanzen zeichnen sich dadurch aus, dass die öffentlichen Haushalte in der Gegenwart und Zukunft in der Lage sein müssen, die anstehenden Herausforderungen finanzieren zu können. Das heißt, sie müssen die Handlungsfähigkeit der politischen Entscheidungsträger auch in der Zukunft sicherstellen.

Viele Ökonomen und Politiker aus dem Ausland kritisieren, dass Deutschland wegen der Fokussierung auf die schwarze Null zu wenig investiert. Ist diese Kritik berechtigt?

Nein. Es sind zum Teil dieselben Ökonomen, die uns über Jahre hinweg aufgefordert haben, den Haushalt zu konsolidieren, die jetzt sagen, man solle die schwarze Null nicht so hoch aufhängen und mehr investieren. Sie können aber nur in Zukunftsprojekte investieren, wenn Sie solide Staatsfinanzen haben. Auch haben wir in den letzten Jahren, als wir wegen der Schuldenbremse den Haushalt konsolidiert haben, die Investitionen geschont. Von 2016 bis 2018 werden wir zehn Milliarden mehr investieren, um den Bedarf in der öffentlichen Infrastruktur abdecken zu können. Beides gehört zusammen.

Die Null steht doch. Woher kommt das Geld für die zusätzlichen Investitionen?

Auf der Grundlage der aktuellen Steuerschätzung und der Zinsausgaben haben wir Spielräume gewonnen, die wir für Investitionen nutzen können.

Investitionen in Bildung oder Infrastruktur tragen doch maßgeblich zur Tragfähigkeit des Wirtschaftsstandorts in Zukunft bei.

Da bin ich bei Ihnen, und deswegen haben wir diese Bereiche auch gestärkt. Die Infrastruktur habe ich bereits erwähnt. Allein die Ausgaben für Bildung und Forschung im Bereich des entsprechenden Ministeriums haben sich in den letzten 10 Jahren nahezu verdoppelt und werden in den kommenden Jahren weiter steigen. Sie dürfen aber auch nicht vergessen: Der Bundeshaushalt hat ein Investitionsvolumen von 25 bis 30 Milliarden Euro pro Jahr. Die Ausgaben für Bildung und Forschung belaufen sich auf etwa 20 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Wir haben ein Bruttoinlandsprodukt von rund 2.900 Milliarden in diesem Jahr, da nehmen die Investitionen des Bundes einen relativ geringen Anteil ein. Viel wichtiger hierzu sind private Investitionen und diese benötigen ein Umfeld solider Staatsfinanzen. Konsolidierte öffentliche Haushalte dämpfen die Zinsentwicklung und erhöhen den Freiraum für private Investitionen. Eine zurückhaltende Ausgabenpolitik stärkt das Zukunftsvertrauen von Anlegern, Investoren und Konsumenten und schafft den notwendigen Spielraum für Zukunftsinvestitionen des Staates.

Das Bundesfinanzministerium erstellt ein Mal in der Legislaturperiode einen Tragfähigkeitsbericht der Staatsfinanzen, der die Ausgaben für eine immer älter werdende Bevölkerung und andere Faktoren hochrechnet. Darin steht, ab 2020 sinkt die Zahl der Erwerbstätigen ab, es gibt deshalb „nennenswerte Risiken“, die „ab 2025 deutlich sichtbar werden“. Was müssen wir dagegen tun?

Der Bericht stellt Modellrechnungen auf und entwirft verschiedene Szenarien. Wichtig ist, dass der Bericht aufzeigt, welche großen Auswirkungen bereits geringe Abweichungen heute in der Zukunft haben können. Die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen wird durch viele verschiedene Faktoren beeinflusst. Dazu gehört etwa die Verschuldung, aber auch die Gewinnung von Fachkräften durch Zuwanderung, die Erwerbsquote von Frauen oder älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Ist etwa der Arbeitsmarkt dynamisch und das Fachkräftepotential hoch, entlastet das die Staatskasse langfristig enorm. Wichtig ist, dass wir erkannt haben, wie groß der Handlungsbedarf aufgrund des demografischen Wandels ist. Wir müssen die Sozialversicherungssysteme entsprechend umgestalten, weil die Menschen immer älter werden. Der Tragfähigkeitsbericht zeigt klar: Wir müssen die Schuldenbremse einhalten, dann sind wir gut aufgestellt.

Selbst im besten Szenario des Tragfähigkeitsberichts rutscht der Staat ab 2030 wieder in ein Defizit. Im schlechtesten Fall steht da sogar ein Minus von zehn Prozent.

Der ausgeglichene Haushalt entbindet uns nicht von weiteren Maßnahmen, um auch dauerhaft die Schuldenbremse einhalten zu können. Wir müssen etwa überlegen, wie wir den Anteil der Frauen am Erwerbsleben oder der älteren Arbeitnehmer weiter steigern können oder unseren Fachkräftebedarf durch Zuwanderung decken können.

Stichwort Arbeit: Reicht die Rente mit 67?

Wie bereits gesagt: Viele Faktoren spielen eine Rolle. Ein dynamischer Arbeitsmarkt und Fachkräftesicherung sind wichtige Faktoren, um Wachstum zu generieren.

Auffällig ist, dass es im Tragfähigkeitsbericht nur um demografische Risiken geht. Müsste es nicht Aufgabe des Finanzministeriums sein, auch die Risiken des Klimawandels für den Staatshaushalt zu quantifizieren?

Zunächst bin ich froh, dass wir uns mit dem Tragfähigkeitsbericht regelmäßig mit den langfristigen Herausforderungen für die öffentlichen Haushalte beschäftigen. Die zentrale Rolle spielt dabei der demografische Wandel. Vor 10 bis 15 Jahren haben wir uns noch gar nicht damit auseinandergesetzt, wie sich die Staatsfinanzen langfristig entwickeln. Aber unabhängig davon stellt sich stets die Frage nach möglichen Verbesserungen.

Gibt es entsprechende Planung im Ministerium?

Bisher noch nicht, aber wenn wir die Risiken sehen, werden wir das aufgreifen. Da gehören auch Klimaschutz und die Auswirkungen der Energiewende dazu.

Lässt sich das überhaupt adressieren, was da auf uns zukommt?

Die Fragen sind vielschichtig. Nehmen wir etwa die Auswirkungen des Klimawandels auf die Wanderungsbewegungen der Menschen, etwa weil es weniger Niederschlag in bestimmten Regionen geben könnte. Werden die Menschen in die Städte ziehen, was macht das mit der Infrastruktur und wie stellt man Daseinsvorsorge auf dem Land sicher? Diskutiert werden diese Fragen unter anderem im Rahmen der Diskussion zum Länderfinanzausgleich.

Immer mehr Unternehmen erstellen Nachhaltigkeitsberichte, ab 2017 müssen Konzerne in der Europäischen Union Auskunft über die ökologischen und sozialen Auswirkungen ihres Handelns abgeben. Wann erstellt Ihr Bundesministerium einen solchen Bericht?

Das planen wir momentan nicht, was aber nicht heißt, dass das Thema nicht aktuell ist. Wir haben Nachhaltigkeit im Beschaffungswesen als Kriterium eingebracht, etwa bei Energielieferungen oder in unserem Fuhrpark, der ein gewisses Maß an Elektromobilität vorhalten soll. Bei den Unternehmen, an denen wir beteiligt sind, wirken wir darauf hin, dass sie sich der Nachhaltigkeit verpflichten. Positive Beispiele gibt es etwa bei der Deutschen Post mit dem Programm GoGreen oder anderen Projekten zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes. Trotzdem haben wir aber noch einiges vor uns.

Sie sind nun seit 2005 Staatssekretär. Was hat sich in Deutschland seitdem in der finanzpolitischen Diskussion geändert?

Die Einstellung zur Verschuldung. Vor 2005 war die Auffassung, Schulden bis zur Investitionsgrenze seien kein Problem. Nun haben wir in der Finanzkrise gesehen, wie Regierungen und Parlamente aufgrund von Schulden handlungsunfähig wurden. Wir haben festgestellt, dass man den Weg des Schuldenmachens nicht fortsetzen kann. Das hat vieles verändert.

Weiterführende Informationen

Tragfähigkeitsbericht des Bundesfinanzministeriums

Der Bundeshaushalt 2015