„Bionahrung wirkt wie eine zusätzliche Portion Obst am Tag“ - Interview mit dem Agrarökologen Urs Niggli

Die Debatte, ob Bioessen gesünder als konventionelle Nahrung ist, wendet sich: Eine internationale Metastudie unter Leitung der Universität Newcastle hat 343 Studien zu dem Thema ausgewertet – demnach enthält Bioobst und Biogemüse deutlich mehr gesundheitsfördernde Stoffe als die konventionellen Pendants. Mit im Team war Urs Niggli, Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau in der Schweiz. Er warnt davor, die Ergebnisse zu politisieren.

Herr Niggli, liefert ihre Studie einen Beweis dafür, dass Biolebensmittel gesünder als konventionelle sind?

Nein. Die Metastudie zeigt aber wissenschaftlich einwandfrei, dass es in der Qualität und von den Inhaltsstoffen her deutliche Unterschiede zwischen konventionellem und biologischem Essen gibt. Es ist die bisher umfassendste Studie zu dem Thema. Aber ich muss klar sagen: Für eine gesunde Ernährung gibt es viele Faktoren. Wenig Fett und Zucker, viel Obst und Gemüse. Wer sich daran hält, lebt gesund. Wenn ich nur Bioburger esse, lebe ich ungesund.

Ok, nehmen wir Zwillinge, die komplett gleich leben und das gleiche essen – der eine bio, der andere konventionell. Lebt der, der nur Bio isst, gesünder?

Nein, nicht mal das können wir sagen. Aber: Bisher wussten wir nur, dass Bio-Nahrung weniger unerwünscht Stoffe wie Nitrat, Cadmium oder Pestizidrückstände enthält. Mit der Studie wissen wir nun, dass es auch mehr Stoffe wie Antioxidantien enthält. Denen können wir nach gegenwärtigem Stand des Wissens eine gesundheitsfördernde Wirkung zuschreiben. Wir wissen aber nicht, ob der Unterscheid in der festgestellten Menge für die Gesundheit relevant ist. Das kritisieren Fachleute zu recht.

Wo liegt die Schwierigkeit?

Es gibt schlichtweg keine Studien dazu. Wir haben lediglich sogenannte Kohortenstudien, bei denen große Gruppen von Menschen nach ihrem Lebensstil, ihren Essgewohnheiten und ihrer Gesundheit untersucht werden. Dort hat man gesehen, dass sich Leute, die sich ökologisch ernähren, gesünder sind. Das liegt aber daran, dass sie generell gesünder leben, mehr Obst und Gemüse essen, mehr Sport machen, häufiger zu Vorsorgeuntersuchungen gehen. Wir wissen nicht, ob die Bioernährung einen Effekt hat.

Was sagt dann Ihre Studie aus?

Sie ist absolut relevant. Unser Verdauungssystem verarbeitet während unseres Lebens 50 Tonnen Lebensmittel. Es könnte durchaus sein, dass eine höhere Konzentration an Antioxidantien einen positiven Effekt ergibt. Aber einen Beweis haben wir nicht. Wenn die Bioverbände jetzt sagen: Bio-Nahrungsmittel ist gesünder, geht das zu weit. Das kann niemand sagen.

In Ihrer Metastudie werden nur sechs Antioxidantien erwähnt, allerdings sind wesentlich mehr bekannt. Sinkt damit die Wahrscheinlichkeit eines positiven Effektes?

Nein, das nicht. Tatsächlich sind in den meisten Studien, die wir untersucht haben, die gleichen sechs Antioxidantien wie etwa Phenolsäure untersucht worden. Unabhängig von den Standorten enthält Bioobst und Biogemüse 20 bis 69 Prozent mehr davon. Das hat bei den Stoffen den Effekt von einer zusätzlichen Portion Obst oder Gemüse am Tag, wenn sie sich normal ernähren. Das finde ich schon bemerkenswert. In einigen Studien sind auch andere Stoffe untersucht worden, die haben sich gleich verhalten. Diese sechs Stoffe stehen also sehr wahrscheinlich exemplarisch für Antioxidantien in Biolebensmitteln generell.

Warum können Biopflanzen mehr solcher Stoffe enthalten?

Stickstoffdünger im konventionellen Landbau puscht Pflanzen, sie wachsen schneller, haben größere Zellen und lagern mehr Wasser ein. Die Inhaltsstoffe verdünnen sich schlichtweg. Zudem werden durch Kompostdüngung im Biolandbau die Bodenbakterien aktiviert und interagieren mit den Pflanzenwurzeln. Wenn sich also mehr Humus im Boden bildet, produzieren Pflanzen mehr Antioxidantien. Die bilden auch das Immunsystem der Pflanzen. Das bildet sich stärker aus, wenn keine Insektizide und Fungizide verwendet werden. Allerdings sind kranke Pflanzen zu schwach, um eine gute Qualität auszubilden. Vorbeugende Maßnahmen sind deshalb im Ökolandbau sehr wichtig.

Die FSA, die britische Food Standards Agency, veröffentlichte 2009 eine Metastudie, nach der Bioessen nicht mehr gesundheitsfördernde Stoffe enthält. Wo liegt der Unterschied zu Ihren Ergebnissen?

Wir haben jetzt wesentlich mehr Studien mit einer sehr hohen Qualität ausgewertet. Zudem haben wir die Rahmenbedingungen seriöser gewählt. Ich habe schon 2009 kritisiert, dass die FSA sehr willkürlich Studien auswerten ließ. Ein Beispiel: Einen mehrjährigen Feldversuch der University of California, die signifikante Vorteile bei den Inhaltsstoffen von Biopflanzen ergab, haben sie nicht berücksichtig, weil die Flächen nicht biozertifiziert waren – obwohl eine solche Zertifizierung in einem sonst korrekten wissenschaftlichen Versuch völlig irrelevant ist.

Gibt es in der Forschung auch politisierte Lager, die pro und contra Bio sind, wie in der öffentlichen Diskussion?

Auch die Diskussion in der Wissenschaft ist extrem politisiert. Ich ärgere mich darüber sehr. Ich versuche das zu überwinden und kritisiere auch die Schwächen des Ökolandbaus. Die Entwicklungen in der konventionellen Landwirtschaft gehen auch in die richtige Richtung. Ich plädiere für mehr gegenseitiges Lernen.

Wie kann man die Lager versöhnen?

Ich habe ganz ehrlich keine Ahnung. Aber immerhin kann man mit unserer Studie jetzt sagen, dass Bioessen sowohl für die Umwelt als auch für die gute Qualität etwas bringt. Für viele Verbraucher sind beide Aspekte gleich wichtig.

Weiterführende Informationen

Urs Niggli auf der Homepage seines Instituts

Die aktuelle Studie zum download [pdf, 461 KB]

Studie 2009 zur Gesundheitseffekten von Bionahrung [pdf, 333KB]